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Kultureller Triangulationspunkt
Neue Zürcher Zeitung

Herzog & de Meuron planen das Auditorium du Jura

Ein von Herzog & de Meuron entworfenes Konzerthaus bei Courgenay könnte zu einem kulturellen Kristallisationspunkt im Jura werden. Das Gebäude soll für das «Festival du Jura» genutzt werden, ist aber auch eine Hommage an den verstorbenen Künstler Rémy Zaugg.

5. Mai 2006 - Hubertus Adam
Kurz nach der Gründung des jüngsten Schweizer Kantons etablierte der Dirigent Georges Zaugg 1977 das «Festival du Jura». Nach anfänglichen finanziellen Schwierigkeiten hat sich das Festival der klassischen Musik konsolidiert und findet nun im Turnus von zwei Jahren statt. Dem Renommee, das sich die Veranstaltungen erworben haben, stehen allerdings die problematischen räumlichen Bedingungen entgegen, mit denen sich die Organisatoren seit Beginn konfrontiert sehen. Genutzt werden Säle und Kirchen in verschiedenen Orten, doch keiner der Räume gilt in akustischer Hinsicht als zufriedenstellend. Überdies fehlt es an der Infrastruktur, die ein Musikfestival heute benötigt - ob Künstlergarderoben, Lagerräume oder Gastronomie.

Hommage an Rémy Zaugg

Gemäss den Vorstellungen - oder Visionen - der Festivalmacher könnte sich diese Situation in naher Zukunft ändern. Seit geraumer Zeit verfolgt Georges Zaugg, bis heute der künstlerische Leiter des Festivals, die Idee eines eigenen Konzerthauses. Gemeinsam mit seinem Bruder, dem im vergangenen August verstorbenen Künstler Rémy Zaugg, begab er sich auf die Suche nach einem möglichen Standort. Fündig wurde man südöstlich von Courgenay, dem Geburtsort der beiden Brüder. Der avisierte Bauplatz liegt im Weideland oberhalb der Ortschaft. Nach Süden hin bilden die bewaldeten Jurahöhen, die steil zum Doubs abfallen, die landschaftliche Kulisse; nach Norden schweift der Blick über die nur leicht wellige Ebene bis hinein nach Frankreich.

Durch die Vermittlung von Rémy Zaugg wurden Herzog & de Meuron mit dem Entwurf des Auditorium du Jura betraut. Die Basler Architekten haben immer wieder mit Künstlern zusammengearbeitet, doch mit keinem gab es eine so intensive Kooperation wie mit Rémy Zaugg, dessen Vortrag «Le Musée des Beaux-Arts auquel je rêve» von 1986 zur wichtigsten Inspirationsquelle für die reduktionistische Museumsarchitektur der neunziger Jahre avancierte. Die gemeinschaftliche Tätigkeit von Architekten und Künstler begann 1989, zunächst mit einem Masterplan für die Universität Dijon. Danach war Zaugg an der urbanistischen Studie «Basel, eine Stadt im Werden» beteiligt und gestaltete die Herzog-&-de- Meuron-Ausstellung 1995 im Centre Pompidou. Für das Roche-Laborgebäude in Basel entwickelte er eine Wandgestaltung, ausserdem war er an dem Münchener Projekt der «Fünf Höfe» beteiligt und liess sich sein eigenes Atelier in Mülhausen von den Baslern errichten.

Die Frage nach der Phänomenologie der Wahrnehmung war es, die Herzog & de Meuron mit Rémy Zaugg verband, und so ist das neue Auditorium nicht zuletzt auch eine Hommage an den früh verstorbenen Künstlerfreund. Von Zaugg selbst stammt die Skizze eines virtuellen, die schweizerisch-französische Grenze übergreifenden Dreiecks von Kunstorten: Ronchamp mit der Kapelle von Le Corbusier, Ornans, der Geburtsort von Courbet, und schliesslich Courgenay mit dem zukünftigen Auditorium du Jura. Der Gedanke des Dreiecks prägt nun auch den Entwurf von Herzog & de Meuron: Von Wald hinterfangen, scheint die dreiseitige Pyramide des Auditoriums am Hang oberhalb von Courtemautruy zu schweben. Angesichts der Silhouette kann man an einen kulturellen Triangulationspunkt denken, aber entfernt mag der Solitär im Weideland auch an eine grosse Scheune erinnern.

Komplexe Schichtung

Tritt man näher an das Bauwerk heran, so zeigt sich, dass die Form längst nicht so einfach ist, wie sie sich aus der Ferne darstellt. Das Innere besteht aus drei Teilen: einem schüsselartig in den Erdboden eingetieften Bereich für Orchester und Zuschauerparkett, einer ringsum verglasten Erdgeschosszone und einer grandiosen, sich darüberwölbenden Kuppel. Jacques Herzog verweist im Gespräch auf die hybride Schichtung dreier Typologien, nämlich des antiken Theaters, einer entmaterialisierten Stahl-Glas-Struktur à la Mies van der Rohe und einer expressionistisch-barocken Kuppel, wie sie Hans Poelzig mit der Tropfsteinhöhle des Grossen Schauspielhauses realisierte.

Konnten Herzog & de Meuron bei der amphitheatralischen Anordnung des Sockelbereichs auf Erfahrungen zurückgreifen, die sie bei der Planung der Elbphilharmonie in Hamburg gewonnen haben, so stellt die wie die Hohlform eines Tannzapfens in die dreiseitige Pyramide eingeschriebene und sich aus den Flächen herauswölbende, mit Holz ausgekleidete Kuppel eine Neuerung dar. Der Akustik wegen ist die Kuppel aus ondulierend verschliffenen Sechsecken aufgebaut, die gegeneinander versetzt sind, sich zunächst erweitern, dann nach oben hin verjüngen. In den konvex geführten Bereichen sind ringsum in fünf Ebenen übereinander kleine Zuschauertribünen eingelassen, so dass neben den 350 Besuchern auf Orchesterniveau weitere 350 Personen an den Aufführungen teilnehmen können. Kuppel-Innenraum und Parkett sind mit Holz ausgekleidet, nach dem derzeitigen Entwurfsstand könnte das Äussere, das ja eigentlich nur Dach ist, mit Schindeln gedeckt werden. Die Ecken der Pyramide sind als Foyers und Ausstellungsräume für Arbeiten von Rémy Zaugg konzipiert.

In dem eben erst der Öffentlichkeit vorgestellten Projekt des Auditorium du Jura ist es Herzog & de Meuron gelungen, Einfachheit und Komplexität zu verschmelzen. Aufgrund der verglasten Erdgeschosszone fliesst die Landschaft durch das Volumen hindurch; von einem Freiluftauditorium abgesehen, wird auf weitere bauliche Massnahmen in der Umgebung verzichtet. Zusatzräume, beispielsweise für das Catering, sind im Sockel versteckt, und die Parkplätze werden als Rasenflächen belassen.

Wie die letzte Architekturbiennale in Venedig aufgezeigt hat, zählen Konzertsäle derzeit zu den stark favorisierten Bauaufgaben, wenn es um das Branding von Städten und Regionen geht, und die nachhaltige Begeisterung, welche die von Herzog & de Meuron entworfene Elbphilharmonie in Hamburg ausgelöst hat, ist der beste praktische Beweis dafür. Ohne Zweifel besitzt das Auditorium bei Courgenay als erster neu errichteter öffentlicher Kulturbau seit Gründung des Kantons das Potenzial, die Identität der Region zu stärken. Es wäre das Signal eines kulturellen Aufbruchs in einer nicht eben finanzkräftigen Region. Dass Festspielhäuser nicht permanent genutzt werden müssen, zeigen Beispiele wie Bayreuth oder Glyndebourne. Finden sich bald die erhofften Geldgeber, könnte das Gebäude vielleicht schon in drei Jahren über der Juralandschaft schweben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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