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Betonkünstler und Kommunist
Betonkünstler und Kommunist, Foto: Nelson Kon
Betonkünstler und Kommunist, Foto: Nelson Kon
Der Standard

Der brasilianische Architekt Paulo Mendes da Rocha erhält heute den Pritzker-Preis. Seine Sprache ist die des nackten, skulpturalen Stahlbetons, den er - wie sein Landsmann Oskar Niemeyer - mit unvergleichlicher Eleganz zu formen versteht.

30. Mai 2006 - Ute Woltron
Istanbul - Außerhalb seines Heimatlandes Brasilien ist er so gut wie unbekannt, und es ist ausgesprochen bedauerlich, dass Paulo Mendes da Rocha erst jetzt, im Alter von 77 Jahren, mit der Verleihung des Pritzker-Preises ins internationale Architekturbewusstsein rückt. Heute bekommt er in Istanbul den renommiertesten Architekturpreis der Welt überreicht. Nach Oscar Niemeyer ist er der zweite Brasiliner, der den von der Hyatt Foundation gestifteten und mit 100.000 US-Dollar dotierten so genannten Nobelpreis der Architektur erhält.

Paulo Mendes da Rocha ist einer jener Architekten, die dem großen Tropenland diese unverwechselbare, unerhört kräftige Architektur verpasst haben, die als brasilianischer „Brutalismus“ bekannt ist. Seine Sprache ist die des nackten, skulpturalen Stahlbetons, den die Brasilianer allerdings mit einer Leichtigkeit und Eleganz zu formen im Stande sind, wie kaum andere.

Unmittelbar nach seinem Studium in Sao Paulo gewann Rocha den Wettbewerb für einen großen Sportkomplex in Sao Paulo, 1969 baute er den brasilianischen Pavillon für die Expo in Osaka. Sein jüngstes herausragendes Werk ist ein Skulpturenmuseum, ebenfalls in Sao Paulo. Derzeit arbeitet er an einem urbanistischen Konzept für die Universität von Vigo in Nordspanien, ansonsten war der national gut beschäftigte Brasilianer kaum international tätig.

Paulo Mendes da Rocha, der über seine Architektur ungern spricht und sich selbst gern Paulinho (Paulchen) nennen lässt, kam 1928 in der Hafenstadt Vitória zur Welt. Er verbrachte einen Teil seiner Kindheit auf der damals noch idyllischen, heute in der Kloake der Guanabara-Bucht versinkenden Insel Paquetá in Rio de Janeiro. Seit den 50er-Jahren lebt er in Sao Paulo, das, wie Rio, zu einem monströsen, nicht mehr überschaubaren Stadtmoloch ausufert.

Wie auch Oscar Niemeyer (99) ist Paulo Mendes da Rocha Kommunist. Beide alten Herren werden nicht müde, die brasilianischen Stadtentwicklungen aufs Schärfste zu geißeln. In einem Ö1-Interview meinte der Preisträger unlängst, die brasilianischen Städte seien auf einem gefährlichen Weg in den Abgrund.

Die eigentlich bessere Architektur als jene des kommerziell getriebenen, die soziale Apartheid verstärkenden Wildwuchses seien die Slums, die sich beständig ausbreiten: „Ich mag die Favelas sehr, sie sind intelligenter Urbanismus. Lobenswert ist die Courage unseres Volkes, selbst in dieser Form die Stadt mitzubauen. Die Leute sagen, ich warte nicht, bis die Stadt fertig ist, ich kampiere schon daneben. Die Menschen dort haben Selbstvertrauen. Sie manifestieren klar und politisch scharf: Wir wollen hier bleiben, wir wollen Lebensqualität, wir haben Wünsche und Hoffnungen.“

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