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Meisterwerke unter dem Messer
Neue Zürcher Zeitung

Zur Restaurierung und Rekonstruktion von Bauten Frank Lloyd Wrights in den USA

Nicht zuletzt dank seiner Vielseitigkeit war Frank Lloyd Wright der bedeutendste Architekt des 20. Jahrhunderts in den USA. Von seiner heutigen Wertschätzung zeugen derzeit Restaurierungsprojekte in Buffalo, Minneapolis und Mason City. Diese stellen aber auch widersprüchliche Beispiele für den Umgang mit Baudenkmälern der Moderne dar.

24. Juni 2006 - Hubertus Adam
Die Berufskarriere von Frank Lloyd Wright begann 1887 und endete 1959. In dieser Zeitspanne konnte er mehr als 430 Bauten realisieren. Gewiss, es sind formale Reprisen darunter. Doch die unbändige Schaffenskraft und Vielseitigkeit des auch als Designer und Urbanist tätigen Architekten nötigt Respekt, ja Bewunderung ab. Bauten wie das Robie House (1910) in Chicago, das Haus Fallingwater (1937) in Mill Run oder das Guggenheim-Museum (1959) in New York zählen zu den grossen architektonischen Meisterwerken des 20. Jahrhunderts, und Wrights Atelier- und Wohnhaus im Villenvorort Oak Park bei Chicago fungiert nachgerade als Pilgerstätte. Leider ist aber auch der Verlust einiger aussergewöhnlicher Bauten zu beklagen; noch 1968 fiel das Imperial Hotel in Tokio, Wrights bedeutendster im Ausland realisierter Bau, dem Abriss zum Opfer. Doch vielerorts in den USA werden inzwischen Anstrengungen unternommen, gefährdete Bauten zu restaurieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das breite Interesse macht derlei Vorhaben auch ökonomisch interessant.

VERLUSTE UND NEUBAUTEN

Als Anfang Januar 2006 das Wilburt Wynant House in Gary, Indiana, niederbrannte, entschloss sich der Eigentümer unverzüglich, das Gebäude wiederaufzubauen. Dabei handelt es sich um eine Totalrekonstruktion, denn das 1916 errichtete Wohnhaus ist eines jener präfabrizierten, aus Holz bestehenden «American System- Built Houses», die der Architekt zwischen 1911 und 1917 für die Richards Company in Milwaukee entwarf. Ziel der Kooperation war es, vergleichsweise preisgünstige, aber räumlich dennoch variable Systembauten für die Mittelschicht anzubieten; viele der Häuser sind erst jüngst als Wright-Entwürfe wieder entdeckt worden.

Ganz anders in Buffalo: Für den dort ansässigen Seifenkonzern Larkin erhielt Frank Lloyd Wright im Jahr 1902 den Auftrag, ein Verwaltungsgebäude zu errichten. Der neue Sitz der Versandabteilung mit seinen offenen Bürozonen, die sich um einen von Pfeilern rhythmisierten Lichthof gruppierten, zählte zu den Inkunabeln der Architektur des 20. Jahrhunderts. Nach dem Konkurs der Firma wurde das Gebäude 1949 durch die Stadt zum Abriss freigegeben. Bis heute ist der Ort des Gebäudes nicht neu bebaut worden. - Besser erging es dem Haus, das der Verwaltungsleiter von Larkin, Darwin D. Martin, für sich im Villenviertel Parkside errichten liess - einem Quartier, dessen städtebauliches Layout auf einen Entwurf von Frederick Olmsted, dem Schöpfer des New Yorker Central Park, zurückgeht. Eigentlich handelt es sich bei der Residenz von Martin nicht um ein Einzelhaus, sondern um ein Konglomerat verschiedener Bauteile. 1903 entstand für Martins Schwester und Schwager das George-Barton-Haus im Nordosten des ausgedehnten Grundstücks, ein typisches Prairie- House in Kreuzform, mit dem Wright um 1900 ein der amerikanischen Landschaft angepasstes Wohnmodell erfunden hatte: Der Eingang liegt im Süden, das Speisezimmer im Westen, der Wohnbereich im Osten, die Küche im Norden, die Schlafzimmer im Geschoss darüber.

Das Haus für Martin selbst, das etwas später im Südwesten des Grundstücks errichtet wurde, folgt - um 90 Grad gedreht - dem gleichen Organisationsprinzip. Allerdings sind die Dimensionen deutlich grösser und die Haupträume von einer Reihe weiterer Zimmer umgeben. Nach Norden liess der Bauherr eine lange Pergola anfügen, die auf der Höhe des Barton House in einer Blumenhalle endete. Daneben plante Wright eine Garage mit Stall und ein Gewächshaus. Ein orthogonaler Raster liegt der Gesamtanlage, zu der auch der Gartenbereich zählt, zugrunde. Es handelte sich um das grösste Präriehaus-Projekt, das der Architekt je realisierte; vom Luxus der Ausstattung, die erst 1907 fertig gestellt war, zeugt nicht zuletzt die Vielzahl dekorativer Glasfenster. Nach einigen Jahren der Verwahrlosung erwarb 1955 ein neuer Eigentümer das Anwesen.

Zwölf Jahre später gelangte es in den Besitz der University of Buffalo, State University of New York. Allerdings waren schon 1960 die Pergola, die Garage und die Gewächshäuser abgerissen worden, um Platz zu schaffen für drei Apartmentbauten. 1992 gründete sich die Martin House Restoration Corporation mit dem Ziel, das Ensemble wieder in den Ursprungszustand zurückzubauen. Das Fundraising war erfolgreich, die benötigten 23 Millionen Dollar für die Restaurierung der bestehenden beiden Häuser, den Neubau der abgerissenen Bauteile sowie ein neues Visitors' Center (nach dem Entwurf des in Harvard lehrenden Toshiko Mori) liegen vor. Im Herbst 2004 konnten die Bauarbeiten im Gartenbereich mit der Niederlegung der Apartmentbauten beginnen. Inzwischen ist die Pergola weitgehend wiederhergestellt, die Fundamente für Garage und Gewächshäuser sind gegossen. Rechtzeitig zum Hundertjahrjubiläum des Darwin D. Martin House im kommenden Jahr soll das Ensemble in neuer Pracht glänzen. Unfreiwillig verräterisch spricht die Restoration Corporation vom «latest Wright», der jährlich 100 000 Besucher anziehe und 20 Millionen Dollar in die regionale Ökonomie fliessen lasse.

PROBLEMATISCHE REKONSTRUKTIONEN

Mag der frühere Ensemble-Charakter das Rekonstruktionsvorhaben auf dem Martin-Grundstück noch legitimieren, so fällt man mit der Realisierung von drei Entwürfen für Buffalo, die der Meister zu seinen Lebzeiten nicht ausführte, hinter die internationalen Standards im Umgang mit einem abgeschlossenen Œuvre zurück. Den Anfang machte 2004 das Blue-Sky-Mausoleum, eine aus einem aufragenden Block und zwölf sich abtreppenden Stufenpaaren bestehende Memorialarchitektur. Zwischen 1925 und 1928 zeichnete Frank Lloyd Wright das Mausoleum als Familiengrabstätte für die Martins; der jetzt nach diesen Plänen an der vorgesehenen Stelle auf dem parkartigen Forest Lawn Cemetery realisierte Bau in weissem Granit wird durch den Verkauf von 24 Gruften finanziert. Diese böten, so die Frank Lloyd Wright Foundation, «the only opportunities in the world where one can choose memorialization in a Frank Lloyd Wright structure». Als Souvenir für zu Hause erhalten die Käufer eine Stele aus Steuben-Kristall, deren oberer Abschluss Treppenanlage und Monument des Blue- Sky-Mausoleums nachbildet.

Nun hat sich ausserdem der ebenfalls in Buffalo ansässige Westside Rowing Club, der bedeutendste Ruderklub des Landes, entschlossen, den viel publizierten Entwurf für ein Rowing Boathouse aus dem Jahr 1905 zu bauen. Dem Projekt wurde unlängst seitens des Staates New York eine Million Dollar zugesprochen - wie auch der Errichtung der ebenfalls von Wright konzipierten Tydol Filling Station auf dem Gelände des Buffalo Transportation Museum. Wie das Darwin D. Martin House sollen auch Ruderklub und Tankstelle im nächsten Jahr fertig gestellt sein.

ERFOLGE IN MASON CITY

Wright reiste 1908 nach Mason City im ländlichen Iowa, das auf halber Strecke zwischen Minneapolis und Des Moines gelegen ist. J. E. E. Markley, Verwaltungsratsmitglied der lokalen City National Bank, hatte Kontakt mit ihm aufgenommen - seine Töchter besuchten die von Tanten des Architekten geführte Hillside Home School in Spring Green, Wisconsin, Wrights später mehrfach erweitertes Erstlingswerk von 1887. Die Bauarbeiten für das neue Bankgebäude und das anschliessende «Park Inn»-Hotel begannen 1909. Da Wright in jenem Jahr mit seiner neuen Lebensgefährtin Hals über Kopf nach Europa aufbrach, wo er seine erste umfassende Publikation für den Berliner Verlag Ernst Wasmuth vorbereitete, wurden die Gebäude unter der Leitung von William Drummond fertig gestellt, einem Mitarbeiter aus dem Oak Park Studio.

Der neue Stil war so erfolgreich, dass Drummond gleich den Auftrag für ein weiteres Gebäude erhielt und zwei weitere frühere Schüler von Wright, Walter Burley Griffin und Francis Barry Byrne, von einem Developer der Abwesenheit des Meisters wegen mit einer ganzen Siedlung von Häusern im Prairie-Style beauftragt wurden. Die in parkartigem Ambiente eines kleinen Flusstals realisierten Bauten sind eine touristische Attraktion in Mason City; in unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das vor einigen Jahren um einige hundert Meter versetzte und heute als Museum geführte Stockman House, das Wright 1908 für einen Nachbarn von Markley errichtet hatte. Grundlage dieses Präriehauses war der vielbeachtete, 1907 im «Ladies Home Journal» veröffentlichte Entwurf eines «Fireproof House of $ 5000» - hier allerdings nicht in Beton, sondern als typisch amerikanische Balloon- Frame-Konstruktion in Holz ausgeführt.

Während das Bankgebäude schon 1926 in ein Ladenlokal umgewandelt wurde, schloss das Hotel erst 1972 seine Pforten. Obwohl seit dieser Zeit unter Denkmalschutz stehend, verfiel das relativ gut erhaltene Gebäude, so dass es 1999 als eines der zehn gefährdetsten Baudenkmäler in Iowa eingestuft wurde. Doch inzwischen hat sich die Situation zum Positiven gewendet: Im Februar 2000 erwarb die Stadt das Haus, und im vergangenen Jahr begannen unter Leitung der gemeinnützigen Organisation «Wright on the Park» die Restaurierungsarbeiten. 2010 soll das Gebäude, dessen Ausstattungsdetails sich in Teilen erhalten haben, als Hotel mit 42 Zimmern wieder zum Leben erweckt werden - Restaurant und Souvenirshop im Erdgeschoss inklusive. Besondere Bedeutung besitzt das «Park Inn», weil es als symmetrischer Ziegelsteinbau mit expressiver Körpergliederung den Vorläufer zweier zerstörter Meisterwerke Wrights darstellt: der Midway Gardens in Chicago (1913) sowie des Imperial Hotel in Tokio (1914-1922). Die Wiederherstellung des Bankgebäudes ist ebenfalls geplant.

EIN SCHLÜSSELWERK IN MINNEAPOLIS

In den dreissiger Jahren wandte sich Frank Lloyd Wright vom Konzept der Prairie-Houses ab und entwickelte einen neuen Typ, der unter dem Namen «Usonian House» bekannt wurde. Typisch für diese Gebäude sind das reduzierte Raumprogramm und die freiere, fliessende Grundrissanordnung: Wohn- und Essbereich sowie Küche bilden ein Kontinuum. Das Malcolm Willey House in Minneapolis von 1933 ist nicht zuletzt deshalb ein wichtiges Werk, weil es den Übergang zum Usonian House markiert: Die Räume sind entlang einer Backsteinmauer aufgereiht und öffnen sich Richtung Süden mit Terrassen zum Garten. Der topographische Kontext des einstmals in idyllischer Lage am westlichen Steilufer des Mississippi in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schwesterstadt St. Paul gelegenen Hauses wurde durch den in den sechziger Jahren angelegten Interstate Highway 94 empfindlich gestört. In den neunziger Jahren stand das Gebäude leer und verkam zusehends. Steve und Lynette Sikora, die neuen Eigentümer, begannen im Jahr 2002 als Privatleute eine vorbildliche, denkmalgerechte Sanierung, deren Fortschritte sie mit mehreren ausführlichen Reports pro Jahr im Internet dokumentieren. Neuerdings ist es nach Voranmeldung auch hier möglich, das inzwischen zu grossen Teilen wiederhergestellte Meisterwerk des Architekten zu besichtigen.

Der Umgang mit dem Œuvre des grossen Amerikaners zeigt paradigmatisch, dass sich für die Auseinandersetzung mit Meisterwerken der modernen Architektur dieselben Fragen stellen, wie sie im denkmalpflegerischen Diskurs schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts diskutiert werden. Spuren späterer Nutzungen gelten als historische Zeugnisse; ob sie jedoch wirklich erhaltenswert sind, hängt vom Grad ihrer Aussagekraft ab. Belanglose Veränderungen in jedem Falle zu bewahren, wäre genauso dogmatisch wie der Rückbau auf einen vermeintlichen Originalzustand. Andererseits kann der Wunsch, eine bedeutende, aber verlorene räumliche Struktur physisch erlebbar werden zu lassen, in Einzelfällen durchaus legitim sein. Beispiele hierfür sind der Nachbau des Barcelona-Pavillons von Mies van der Rohe in Barcelona und der in Barcelona neu erstandene Pavillon de l'Esprit Nouveau, den Le Corbusier 1925 für die Exposition des Arts Décoratifs in Paris errichtet hatte. Wenn jedoch niemals realisierte Entwürfe postum gebaut werden, wie dies jetzt in Buffalo geschieht, ist die Grenze des Vertretbaren deutlich überschritten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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