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Unsere Monster haben wir alle
Der Standard

Schöne Bücher, unkonventionelle Bücher, verdienstvolle Bücher: Das ALBUM serviert das traditionelle architektonische Sommerlesemenü mit Schmankerln aus aller Welt und allen Architekturbereichen.

1. Juli 2006 - Ute Woltron
Rabe, Ziege und Nasobem - oben formschön zu betrachten - sind nur drei der Geschöpfe, die im Kopf der Grazer Architektin Karla Kowalski Form annehmen und die sie beglückenderweise eigenhändig und mit außerordentlichem Können in Ton und Glasur manifestiert. Partner Michael Szyszkowitz liefert die architektonischen Stelzen und Ständer dazu, auf dass auch im Skulpturalen ein gemeinschaftliches Gesamtkunstwerk entstehe. Zu sehen sind diese „Monster“, wie Kowalski ihre gezeichneten und geformten Geschöpfe nennt, in einem der heitersten Bücher über das so breite Thema Architektur, das seit Längerem erschienen ist. Kowalski sagt uns im Vorwort: „Michael Szyszkowitz und ich, wir sind Architekten - und Menschen dieses Schlages sind im Verhältnis zu ihren Sehnsüchten in ein ziemlich hartes Korsett gespannt. Deshalb machen wir auch Dinge, die abseits liegen.“

Dass ihre über viele Jahre hinweg entstandenen Zeichnungen, Skizzen, Fantasiegeschöpfe nicht ganz abseits der Architekturwelt angesiedelt sind, dass Architekten im besten Fall eben ihre ganzheitlichen, komplizierten und formenstarken Innenwelten unterschiedlich ausleben, erfreut auch den großen, alten Architekturschreiber Manfred Sack. Er meint: „Wie angenehm zu sehen, dachte ich, dass die beiden Grazer in Zeiten, da kaum jemand Zeit zu haben scheint, sich die Zeit für diese zauberhaften Märchenfiguren genommen haben - ich nehme an, weil ihnen das lebensnotwendig ist, eine Fantasiequelle, wie man sie doch auch braucht, um das Erfinden beim Finden von architektonischen Realien, von Wohnhäusern also, von Schulen und Büchertürmen, von Universitäten, Umspannwerken, Toren, kurz und gut: um das Fabulieren nicht zu verlernen.“ Kluge Texte, gute Bilder - ein rundum empfehlenswerter Band. Monster und andere Wahrheiten. Bildergeschichten von Karla Kowalski, herausgegeben von Werner Durth, jovis, € 51,20.

Wolfgang Förster wiederum widmet sich in seiner Publikation Wohnen im 20. und 21. Jahrhundert (Prestel, € 51,40) dem elementarsten Thema der Architektur überhaupt: dem Wohnbau, und der ist und bleibt die - meist unbedankte und unterbezahlte - Königsdisziplin der Planerzunft. Dass Förster zumalen den sozialen Aspekt dieses Architekturthemas in den Mittelpunkt rückt, ist ihm in den Elendszeiten architektonischer Eitelkeit und Arroganz, in der Penthouse- und Museums-Medienspiegeleien das Maß aller Dinge zu sein scheinen, nicht hoch genug anzurechnen.

Er skizziert einen wertvollen Abriss der Wohnbaugeschichte und setzt genau dort an, wo anzusetzen ist: bei den Bedürfnissen der Nutzer, bei städtebaulichen und - vor allem natürlich politischen Entwicklungen, wie etwa der verhängnisvollen Privatisierung des öffentlichen Raumes im Großbritannien der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Zitat Margaret Thatcher: „There is no such thing as society.“ Die jüngere Geschichte hat die Eisenlady Lügen gestraft. Förster: „Der Jahrtausendwechsel ist auch von einer weitgehenden Desillusionierung in Bezug auf städtebauliche, architektonische und technische Experimente im Wohnungsbau gekennzeichnet - ein Ende der Utopien? Nicht unbedingt. Eindeutig feststellbar sind allenfalls widersprüchliche Entwicklungen: Einerseits zieht sich die Architektur auf ihre ursprüngliche Aufgabe, den Bau von Einzelobjekten, oft von Solitären ohne Bezug zu ihrer wenig attraktiven Umgebung, zurück; andererseits entstehen in einer neuerlich auftretenden antiurbanen Haltung Gated Communities, die eine zunehmende gesellschaftliche und sozialräumliche Polarisierung widerspiegeln.“

Gezeigt und besprochen werden ältere und neue Wohnbauprojekte aus aller Welt, wie etwa der hier zu Lande weitestgehend unbekannte, fantastische Wohnblock „Pedregulho“ aus den frühen 50er-Jahren von Affonso Eduardo Reidy für die nicht so betuchte Bevölkerung im Hinterland Rio de Janeiros.

Wolfgang Förster, zuständig für diverse Städtebauprojekte der EU, gelingt mit diesem Buch ein rares Kunststück: Ein nicht nur ansehens-, sondern auch lesenswertes Architekturbuch herauszubringen, das jeder Mensch, der für Menschen Wohn- und Lebensräume baut, ganz genau gelesen haben sollte. Förster: "Die Götter und ihre Häuser mögen wechseln - Wohnungsbau kann dagegen als der „rote Faden“, das Kontinuum in der langen Geschichte der Architektur betrachtet werden."

Mit dem in der Redaktion bedenklich schwankenden Turm übereinandergestapelter und allesamt natürlich prächtiger Publikationen über besagte Museen und andere tolle Kommerzbauten erschlagen wir Sie an dieser Stelle also nicht, sondern verweisen vielmehr auf ein Buch zu einem weiteren grundlegenden Thema, nämlich der Landschaft - und der Hege und Pflege derselben.

Fieldwork. Landschaftsarchitektur Europa ist die erste Publikation in einer Reihe, die ab nun im Dreijahresrhythmus erscheinen soll (Birkhäuser, € 61,60). Herausgegeben wird das dicke, große, wissenschaftlich durch allerlei Studien abgefederte Buch von der Stiftung Landscape Architecture Europe (LAE), die damit den Zweck verfolgt, nicht nur interessante Landschaftsprojekte vorzustellen, sondern auch dringend notwendige Standards auf diesem Weg zu definieren.

Vierzig von Juroren ausgewählte Landschaftsarchitekturen werden besprochen - nach Meinung von Meto J. Vroom, dem LAE-Vorsitzenden, sind das immer noch zu wenige, doch: „Der Leser ist gebeten, sich zu gedulden, bis mehrere Bände erschienen sind, die den angestrebten repräsentativen Querschnitt landschaftsgestalterischer Entwürfe aus ganz Europa darstellen.“ Ein Understatement, denn der Fächer ist breit aufgeschlagen, und in übersichtlichem, beglückend unkapriziösem Layout wird dargelegt, was Landschaftsarchitektur so alles sein und leisten kann. Parks, Kinderspielplätze, Pausenhöfe und Außenräume von Büro- und Wohnhäusern werden ebenso thematisiert wie Deponielandschaften, Lärmschutzanlagen, Uferbefestigungen oder Straßenraumgestaltungen.

Hansjörg Küster beschreibt die Landschaft als Kulturprodukt: „Die Kenntnis der Geschichte der Landschaft und jeder Versuch, Zusammenhänge zu erhellen, die zum Entstehen eines Lebensraumes beigetragen haben, sind wichtig für die Bewahrung der Vielfalt der Landschaften. (. . .) Sicher ist die intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Landschaft die Voraussetzung für eine moderne Ökologie, einen vernünftig gestalteten Naturschutz und eine zeitgemäße europäische Landschaftsarchitektur.“ Auch in der Stadt.

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