Artikel

Neue Stadt am Fluss
Neue Zürcher Zeitung

Die «Hafen-City» mitten in Hamburg gewinnt Konturen

In Hamburg schliesst die neue «Hafen- City» direkt an die Altstadt an. Die ersten Bauten stehen, der Wettbewerbsentscheid für das zentrale Areal fiel unlängst. Im Rahmen des gegenwärtigen Hamburger Architektursommers wird diesem viel Aufmerksamkeit zuteil.

7. Juli 2006 - Hubertus Adam
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte der Hamburger Hafen einschneidende Umgestaltungen. Mit dem von Wasserbaudirektor Johannes Dalmann massgeblich betriebenen Konzept eines «offenen Tidehafens» entschied man sich gegen das Londoner Modell des «Dockhafens», bei dem die Hafenanlagen gegenüber der dem Tidehub unterliegenden Themse durch Schleusen abgetrennt waren. Dass die britische Kapitale ihren Hafen längst aufgeben musste, während das gut 100 Kilometer von der Elbmündung entfernte Hamburg seine Umschlagkapazitäten weiterhin erhöht, ist nicht zuletzt der damals weitsichtigen Entscheidung für eine moderne Hafeninfrastruktur zu verdanken. Mit dem künstlich angelegten und seeschifftief ausgehobenen Sandtorhafen auf dem Grasbrook entstand 1862-1866 das modernste Hafenbecken der Welt. Quaischuppen flankierten die Hafenmauern, landseitig erfolgte der Abtransport durch die Eisenbahn. Die Verkürzung der Liegezeit, die ohnehin von Ebbe und Flut unabhängig war, führte zu einer Effizienzsteigerung des Hafens. Mit dem benachbarten Grasbrookhafen, dem rechtwinklig dazu angelegten Magdeburger Hafen und schliesslich dem weiter flussaufwärts gelegenen Baakenhafen fand Dalmanns Konzept seine Fortsetzung.

Hafen im Wandel

Aufgrund eines nach der Reichsgründung 1871 mit der Berliner Regierung ausgehandelten Zollvertrags entstand das grandiose Ensemble der Speicherstadt, das durch den Zollkanal von der gegenüberliegenden Altstadt abgeschnitten war. Mit der Einrichtung des Freihafens trennten sich Stadt und Hafen: Prägte das an den Fleeten gelegene Hamburger Kaufmannshaus mit seiner Verbindung von Kontor, Speicher und Wohnbereich einst die Innenstadt, so ereignete sich nun eine funktionale Entmischung und räumliche Separierung. Die Hafenbereiche blieben unbetretbar für alle, die nicht dort arbeiteten. Mit der Einführung der Containerschiffe - das erste legte 1968 im Hamburger Hafen an - begann ein neuerlicher und sukzessiver Prozess der Restrukturierung der Hafenareale. Wer vom idyllischen Strand Övelgönne am Altonaer Ufer auf die andere Elbseite blickt, sieht das gigantische Containerterminal Waltershof. Indem sich der Schwerpunkt des Hafens von der Innenstadt weg Richtung Westen verlagerte, ergab sich die Chance, die Hafenareale des 19. Jahrhunderts als «Hafen-City» neu zu nutzen.

Wie das nicht nur während des Hamburger Architektursommers gut besuchte, im einstigen Kesselhaus der Speicherstadt eingerichtete Besucherzentrum zeigt, nimmt die Hamburger Bevölkerung regen Anteil an der Entstehung der «Hafen-City». Zwischen Speicherstadt und Elbe wird das die alten Hafenbecken umgebende Areal von 155 Hektaren in den nächsten Jahren neu bebaut; die Fläche der Innenstadt erweitert sich dadurch um 40 Prozent. Nach jahrzehntelanger Trennung findet die Stadt wieder an den Fluss zurück - und das in einem vom Hauptbahnhof schnell zu Fuss erreichbaren Bereich. Ausgelegt ist die Gesamtplanung für 12 000 Einwohner und 40 000 Arbeitsplätze.

Auf Basis einer 1997 veröffentlichten Vorstudie von Volkwin Marg vom Hamburger Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner wurden seitens der Stadt, in deren beinahe ausschliesslichem Besitz sich die Areale befinden, in der Folgezeit wichtige Grundsatzentscheidungen getroffen. Diese betrafen den Nutzungsmix, aber auch die Art des Hochwasserschutzes. Um eine «Einpolderung» durch Hochwassermauern zu vermeiden, gilt ein «Warftenmodell»: Sämtliche Neubauten werden auf hohen Sockeln errichtet, die auch als Evakuierungswege dienenden Haupterschliessungsachsen liegen auf einem relativ hohen Niveau.

Der von der ortsansässigen Planungsgemeinschaft «hamburgplan» gemeinsam mit dem Büro Kees Christiaanse / ASTOC 1999 erarbeitete Masterplan stellt eine plausible Planungsgrundlage dar: Die Teilung der Gesamtfläche beugt der Monotonie vor, schafft eine Abfolge von zwölf Quartieren unterschiedlicher Nutzung und Atmosphäre und ermöglicht überdies eine etappenweise Realisierung. Die Bebauung erfolgt dabei von Westen nach Osten; sie begann mit dem inzwischen fertig gestellten, das Nordufer des Sandtorhafens begleitenden Quartier Sandtorkai unmittelbar südlich der Kehrwiederspitze der Speicherstadt - und wird gegen 2025 mit dem für Hochhäuser vorgesehenen Quartier Elbbrückenzentrum an den Norderelbbrücken ihren Abschluss finden.

Den Schwerpunkt öffentlicher Nutzungen soll der Bereich um den nordsüdlich ausgerichteten Magdeburger Hafen bilden, doch inzwischen ist zumindest von zwei Polen zu sprechen. Denn nachgerade hineingeschmuggelt in den Gesamtplan wurde die einer Privatinitiative erwachsene Idee der Elbphilharmonie am westlichen Ende des Planungsareals. Das visionäre Konzept der Basler Architekten Herzog & de Meuron, den denkmalwürdigen Ziegelsteinkoloss des Kaispeichers A mit einer zeltartigen Konzertsaalkonstruktion zu überbauen, hat nicht nur die lange Zeit mit Kleinmütigkeit der verantwortlichen Politiker konfrontierte Kulturszene begeistert, sondern auch den Segen der Bürgerschaft erhalten. Kein Zweifel, das neue Wahrzeichen beflügelt auch die Planung der übrigen Gebiete und setzt in qualitativer Hinsicht neue Massstäbe.

Stars und Lokalmatadoren

Acht sieben- bis achtgeschossige Bürogebäude, die über den Uferweg am Sandtorkai auskragen und als Solitäre den Blick auf die Speicherstadt frei lassen, sind neben den Platzgestaltungen von Benedetta Tagliabue die ersten realisierten Vorboten der «Hafen-City». Mit Architekten wie Spengler Wiescholek, Böge-Lindner, Jan Störmer und Bothe Richter Teherani sind die wichtigsten Platzhirsche vertreten; die Haltung oszilliert zwischen sauberer Solidität und verhalten-experimentellem Gestus. Gegenüber, auf der Südseite des Sandtorhafens, hat die Bebauung mit einem winkelförmigen Volumen von David Chipperfield begonnen. Eines der interessantesten Projekte entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft, am Dalmannkai. Für Luxuswohnungen von Philippe Starck werben inmitten von Kränen Bauschilder mit den Buchstaben «yoo», die für ein Joint Venture des Kölner Immobilienunternehmens Vivacon mit dem französischen Stardesigner stehen. Dabei erstellt und verkauft Vivacon die Immobilien, und im Verkaufsbüro können Kaufinteressenten aus einer Palette von Einrichtungsgegenständen wählen, die der Meister entworfen oder ausgesucht hat. Als grobe Orientierung dienen vier vorgegebene Einrichtungslinien. Glaubt man den Broschüren, mit denen das Konzept vermarktet wird, ist der Wertzuwachs der Wohnungen vorprogrammiert.

Wendet man sich von Chipperfields Bürogebäude in die andere Richtung, so gelangt man zum «Cruise Center», das derzeit inmitten einer Mondlandschaft aus Grossparkplätzen und Abbruchbrachen liegt. Dass Kreuzfahrtschiffe wie die «Queen Mary II» auch zukünftig hier festmachen werden, ist eine strategisch geschickte Entscheidung. Einerseits garantieren die weissen Riesen jene maritime Atmosphäre, welche die «Hafen-City» nach dem Ende des Hafenbetriebs in diesem Bereich benötigt, andererseits hat das Überseequartier damit tatsächlich die Chance, die Landungsbrücken als historisches Tor zur Welt abzulösen. So war der Ende des vergangenen Jahres entschiedene Investoren- und Architekturwettbewerb für eben diesen Teil der «Hafen-City» wohl der wichtigste insgesamt.

Verkauft wird der westliche, Überseequartier genannte Teil des Magdeburger Hafens an ein Bieterkonsortium um die Bank ING. Rem Koolhaas hat die markantesten Bauten entworfen, das Kreuzfahrtterminal und ein «Der 6. Kontinent» tituliertes Volumen, das ein Grossaquarium und ein «Science Center» umfassen soll. Wie zwei gigantische Nussschalen, die eine schiffartig ruhend, die andere in die Höhe gerichtet, rahmen die beiden Solitäre eine dekonstruktiv-verzerrte Bebauungsstruktur, für welche NPS Tchoban Voss, BDP und Erick van Egeraat die Entwürfe geliefert haben. Von van Egeraat stammt auch der Entwurf von «De Waterkant», dem markanten Zweierensemble, das den elbseitigen Auftakt des Überseequartiers bildet. Natürlich handelt es sich zunächst um Vorstudien. Was an der «Hafen- City» indes überzeugt, ist der Versuch, einer Monofunktionalität der Stadt entgegenzuwirken. In Zivilisationen, die keine Schiffe besässen, versiegten die Träume, behauptete Michel Foucault. Darum muss sich Hamburg nicht sorgen. Es muss einzig die Träume lebendig halten.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: