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Nachtgesicht der Architektur
Neue Zürcher Zeitung

Die Ausstellung «Leuchtende Bauten» im Kunstmuseum Stuttgart

Die Nachtwirkung von Architektur wurde schon in früheren Jahrhunderten erprobt und fasziniert bis heute. Nun feiert das Kunstmuseum Stuttgart das Phänomen mit einem kulturhistorischen Panorama.

17. Juli 2006 - Hubertus Adam
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war die nächtliche Wirkung von Gebäuden kaum ein Thema für die Architekten, sieht man einmal von durch barocke Feuerwerke illuminierten ephemeren Festarchitekturen und von frühen Experimenten mit Gasbeleuchtungen ab. So nutzte beispielsweise der Fotopionier Nadar eine Gasleuchtschrift als Reklame für sein Pariser Atelier. Erst als die Elektrizität zur Verfügung stand, konnten Glühlampen die gebaute Umwelt des Nachts verwandeln. Zu Experimentierfeldern für die künstliche Beleuchtung wurden die Weltausstellungen. Der Eiffelturm galt als die Hauptattraktion der Pariser Schau von 1889 und war mit Scheinwerfern sowie mit einer Drehlaterne bekrönt, welche den Nachthimmel in den Farben der Trikolore erhellte. Elf Jahre später war - laut Julius Lessing, dem damaligen Leiter des Berliner Kunstgewerbemuseums - das Palais der Elektrizität der «Clou» der neuerlich in Paris veranstalteten Weltausstellung, auch wenn Hermann Muthesius konstatierte, das Gebäude gehöre aufgrund seiner eklektizistischen Formensprache mehr in den Bereich der Zuckerbäckerarchitektur als in jenen der Architektur. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das Urteil von Julius Meier-Graefe, der bemerkte, dass der historistische Zierrat im Dunklen verschwinde: «Was bleibt, sind die grossen Umrisse, das ungeheuerlich Massige dieser Schöpfung. Ganz von selbst vollzieht dann die Nacht das, was wir von der neuen Baukunst erwarten: Konzentration und Grösse.»

Aktualität des Themas

«Leuchtende Bauten: Architektur der Nacht» heisst eine mit opulenten Exponaten aufwartende Ausstellung des Kunstmuseums Stuttgart. Ihr Konzept wurde zu grossen Teilen von dem an der Brown University im amerikanischen Providence lehrenden Architekturhistoriker Dietrich Neumann erarbeitet. Mit einem kulturhistorischen Panorama vom Siegeszug des elektrischen Lichts auf den Weltausstellungen bis hin zu aktuellen Beleuchtungskonzepten stützt sich Neumann auf eine eigene Publikation, die 2002 ebenfalls unter dem vom Architekten Raymond Hood 1930 geprägten Titel «Architektur der Nacht» erschienen ist. Für die jetzige Ausstellung gibt es - jenseits der unstrittigen Aktualität und Attraktivität des Themas - zweierlei Anlass: Zum einen ist das neue, mit einem von innen beleuchteten Glasmantel umgebene Kunstmuseum des Architekturbüros Hascher Jehle abends selbst ein leuchtender Bau. Zum anderen hat die Stadt Stuttgart einen Licht-Masterplan erarbeiten lassen, mit dessen Umsetzung gerade begonnen worden ist. Zu ersten Fixpunkten avancierten eine Inkunabel der Architektur der zwanziger Jahre, der unlängst restaurierte Tagblatt-Turm von Ernst Otto Osswald, sowie die Stiftskirche. Derzeit sind Licht-Masterpläne (wie etwa Zürichs «Plan Lumière») en vogue, kommen sie doch den Forderungen des Stadtmarketing ebenso entgegen wie dem Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit.

Die Stuttgarter Ausstellung setzt deshalb nicht im 19. Jahrhundert ein. Vielmehr werden heutige Beispiele der Nachtarchitektur mittels Fotos und Modellen präsentiert. Dazu zählen die Glashülle des Kunsthauses Bregenz von Peter Zumthor, die immer wieder von Künstlern unterschiedlich bespielt wird, aber auch die Installation aus kreisförmigen Neonleuchten von Peter Cooks Kunsthaus in Graz. Die aus Lichtpailletten bestehende Fassade eines Warenhauses in Seoul (UN Studio) und die Allianz Arena in München (Herzog & de Meuron) belegen das zeitgenössische Interesse an farblich wechselndem Licht.

Vorbei an einem riesigen Modell der «Tour Lumière Cybernétique», die der französische Künstler Nicolas Schöffer von 1963 an als 307 Meter hohe interaktive Plastik für die Pariser Défense plante, gelangt man in einen Saal, der das Erlebnis New York thematisiert. Zu den mit Flutlicht illuminierten Set-back-Hochhäusern Manhattans aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts trat die Leuchtreklame, die schon zu dieser Zeit in den Lichtorgien des Times Square kulminierte. Die Wahrnehmung europäischer Besucher war von Faszination und Skepsis gleichermassen bestimmt: Erich Mendelsohn, der 1924 auf dem gleichen Schiff wie Fritz Lang in die Vereinigten Staaten gereist war, druckte in seinem Bildband «Amerika» eine Foto des Regisseurs ab, die den Times Square zeigt. Die Impressionen aus der Neuen Welt sollte Lang mit dem Film «Metropolis» verarbeiten, während der Architekt mit seinen Warenhäusern eine spezifisch europäische Verwendung des Lichts erprobte. Neben milchig-weissen Lichtbändern ist es zunehmend die innere Beleuchtung, welche dem nächtlichen Baukörper Gestalt verleiht. Mit Mies van der Rohes Seagram Building von 1958 in New York begann sich dieses eher rational bestimmte Lichtkonzept auch gegenüber den amerikanischen Farblichtkaskaden durchzusetzen.

Ein Originalmodell des Eiffelturms aus dem Jahr 1888 verweist auf die Weltausstellungen als Marksteine für moderne Illuminationsstrategien. Wunderbare Gouachen von André Granet zeugen von der nächtlichen Verwandlung des Pariser Wahrzeichens im Jahr 1937, Entwürfe von Jean Labatut sowie Postkarten geben eine anschauliche Vorstellung von den Leuchtfontänen der New Yorker Weltausstellung 1939. Vom märchenhaften Lunapark am Strand von Coney Island lässt sich ein Bogen schlagen bis zu dem nächtlich beleuchteten «Blur Building» von Diller and Scofidio, der «Wolke» für die Schweizer Expo 02 in Yverdon.

Vision und Pragmatismus

Die ephemeren Wurzeln der Lichtarchitektur im Bereich von Spektakel und Vergnügen trugen dazu bei, dass sich europäische Architekten dem Licht als neuem Baumaterial nur langsam zuwandten. Bruno Tauts - wiederum ephemeres - Glashaus auf der Kölner Werkbundausstellung 1914 war gleichsam das Präludium für die Faszination von Kristall, Glas und Licht, welche den parareligiös aufgeladenen architektonischen Expressionismus in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg prägte.

Die ekstatischen Visionen auf dem Papier wichen einem gewissen Pragmatismus, sobald es wieder etwas zu bauen gab. In Berlin entstand ein neuer Typ von Grossstadtarchitektur, bei dem Licht als strukturell gliederndes Element eingesetzt wurde. Auch in Stuttgart fanden die neuen Konzepte ihren Niederschlag: mit Erich Mendelsohns Kaufhaus Schocken, dem konturbeleuchteten Tagblatt-Turm von Osswald oder Richard Döckers Lichthaus Luz; 1928 wurde gar ein offizielles Lichtfest gefeiert. Ein im gleichen Jahr von Mies van der Rohe vorgeschlagenes Büro- und Bankgebäude gegenüber dem Hauptbahnhof mit seiner radikalen Fassade aus mattiertem hinterleuchtetem Spiegelglas blieb leider ebenso unrealisiert wie das diesem vergleichbare Kaufhaus Adam in Berlin.

[ Bis 1. Oktober im Kunstmuseum Stuttgart, anschliessend vom 27. Januar bis 6. Mai 2007 im Nederlands Architectuurinstituut in Rotterdam. Katalog: Leuchtende Bauten. Architektur der Nacht. Hrsg. Dietrich Neumann und Marion Ackermann. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 2006. 152 S., Euro 39.80. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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