Artikel

Bauen für den Weinbau
Neue Zürcher Zeitung

Boom der zeitgenössischen Kellerei-Architektur

23. Oktober 2001 - Hans Hartje
Seit Michael Graves Anfang der achtziger Jahre das antikisch angehauchte Weingut «Clos Pegase» bei Calistoga in Kaliforniens Napa Valley realisierte, ist das Bauen für den Weinbau zum architektonischen Thema geworden. Heute finden sich von Australien bis Spanien bedeutende, von grossen Architekten entworfene Kellereibauten.

Guter Wein wird meist besser, wenn man ihm Zeit zum Reifen lässt. Wie zur Illustration dieser Binsenweisheit stehen in vielen Weinbaugebieten Burgen und Schlösser, die mit Bild und Namen oft das Etikett der edlen Tropfen zieren. Vor einigen Jahren nun sind zuerst in Kalifornien, dann in Europa und jüngst auch in Australien Winzer auf die Idee gekommen, dem drohenden Zirkelschluss (alte Gemäuer = guter Wein) vorzubeugen und es im Weinberg mit zeitgenössischer Architektur zu versuchen. Das Ergebnis ist so vielfältig, wie es die jüngste Architekturgeschichte erwarten lassen musste, und zwischen der diskreten Funktionalität der «Dominus Winery» von Herzog & de Meuron und der prahlerischen Monumentalität des Château Pichon-Longueville von Dillon & de Gastines finden sich die unterschiedlichsten Lösungen.

Einen Anfang machte die Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs für den Bau von «Clos Pegase» bei Calistoga in Kalifornien. Gutsherr Jan I. Shrem, nebenbei Manager und Mäzen, gab Anfang der achtziger Jahre dem von Michael Graves eingereichten Projekt den Zuschlag, dessen neoklassizistischer Entwurf dem Wunsch nach Selbstdarstellung des Bauherrn entsprach, ohne die in der Kellerei ausgestellten Kunstwerke in den Schatten zu stellen. Im Jahr 1987 hat dann Ricardo Bofill in Château Lafite-Rothschild sozusagen das europäische Pendant zum kalifornischen Prototyp geschaffen. Gutsherr Eric de Rothschild hatte die Zeichen der Zeit erkannt, und der katalanische Architekt erfüllte die Erwartungen: Mit dem schartenartig in den Weinberg gefrästen Zugang zum Weinkeller ist es Bofill gelungen, ein für ihn charakteristisches Prozedere radikal umzukehren: Nach aussen kaum sichtbar, überzeugt die Anlage unterirdisch. Die kreisförmig um die von nackten Betonsäulen eingerahmte Fasswaschanlage herum gelagerten Weinfässer bilden eine ebenso vernünftige wie ästhetisch ansprechende Lösung.

In der Folge häuften sich die Interventionen von Architekten in Weingütern beidseits des Atlantiks, wobei der 1988 im Pariser Centre Pompidou gezeigten Schau «Châteaux Bordeaux» eine Art Katalysatorrolle zukam: In ihrem Vorfeld wurde der Wettbewerb für Château Pichon-Longueville ausgeschrieben, und an der von dem französisch-panamaischen Architektenduo Jean de Gastines und Patrick Dillon gezeichneten Anlage scheiden sich auch heute noch die Geister. Das Neorenaissance-Schloss aus dem Jahre 1851 (Architekt: Charles Burguet) ist von zwei modernen Kellereigebäuden flankiert, die sich über ein streng quadratisch gehaltenes Bassin hinweg gegenseitig den Spiegel bauherrlicher Eitelkeit vorhalten. Kernstück der Anlage ist wie bei Lafite-Rothschild eine zentrale Rotunde, nur dass diese in der traditionellen Kellerei-Architektur nach wie vor ungewöhnliche Form hier den Cuvier betrifft, mit seinen rund um schräg gestellte Säulen angeordneten Edelstahltanks.

Besitzer Jean-Marie Cazes räumt ganz unbefangen ein, dass hier Weinkultur mit Pomp im Disney-Zuschnitt einhergeht. Der Effekt auf den Besucher ist jedenfalls unbestreitbar, zumal die «Route des Châteaux» mitten durch das Weingut führt. Die Stunde der Wahrheit schlägt ohnehin erst bei der traditionellen Weinprobe nach der Besichtigung, und da wird niemand behaupten, dass die moderne Architektur der Qualität des «Deuxième cru classé» Abbruch tut. Zu nennen wären im französischen Médoc ausserdem noch Château d'Arsac, Château Léoville Poyferré, Château Branaire und die Domaines Henry Martin. Das streng geometrische Natursteindekor von Arsac steht in hartem Kontrast zur halbrunden Fassade der Lagerhalle aus Edelstahl. Als optisches Bindemittel funktioniert das leitmotivisch gebrauchte Kobaltblau der nicht tragenden Gebäudeteile des Gärkellers: Hier spielt Architekt Patrick Hernandez auf ästhetisch überraschend harmonische Art mit der Farbe eines alten Hausmittels gegen den Pilzbefall von Natursteinmauern. Für die Umgestaltung von Léoville-Poyferré zeichnet der Theaterarchitekt Olivier Brochet verantwortlich, der die historische Anlage mit hochtechnischen Interieurs ausgestattet hat. Ähnliches gilt für Branaire (Agentur Mazières), wo nur das neoklassische Säulenportal des abseits vom Schloss gelegenen Cuviers darauf hinweist, dass auch hier ein neues Herz in alten Mauern schlägt. Ganz anders gelagert indes sind die Dinge in den Domaines Henry Martin: Das mitten ins verschlafene Dorf gesetzte Kellereigebäude (Architekt: Alain Triard) mit seinen Alu- und Sichtbetonfassaden und dem wellenförmig geschwungenen Dach ist unübersehbar.

In der Zwischenzeit haben die Amerikaner nicht geruht. Neben «Clos Pegase» sind hier zum einen Robert Mondavi Winery, Sterling Vineyards und Robert Sinskey Vineyards zu nennen, deren Neubauten, ausgehend von lokalen Traditionen, moderat zeitgenössischer orientiert sind. Daneben gibt es resolut zukunftsorientierte Architekturen wie Artesa, Opus one und Dominus. Der Besitzer von Sterling Vineyards, Peter Newton, hat sein Weingut selbst in der Art eines exklusiven Freizeitparks konzipiert, dessen Stil gleichzeitig an ein Kykladendorf und an den non Le Corbusiers Ronchamp gemahnt. Ganz anders und doch verwandt in der Intention kommen Robert Sinskey Vineyards einher. Hier hat der Kirchenbauer Oscar Leidenfrost alle Register seiner Kunst gezogen. Die modern-monumentale Architektur des Weinguts Artesa am südlichen Ende des Napa Valley könnte ebenso gut eine Möbelfabrik oder ein Kunstmuseum beherbergen. Kein Wunder, denn es ist in erster Linie als transatlantisches Schaufenster eines ursprünglich spanischen Hoflieferanten konzipiert worden (Architekten: D. Triay und E. R. Bouligny). Ähnlich muss es in Opus One zugegangen sein, einem transatlantischen Joint Venture, an dem Mondavi und Rothschild zu gleichen Teilen beteiligt sind. Nicht weniger als fünf Architekten haben hier unter der Leitung von Scott Johnson zusammengearbeitet, und das Ergebnis ist aufsehenerregend, ohne indes einen eindeutig positiven Eindruck zu hinterlassen - Heterogenität und Beliebigkeit liegen halt immer nah beieinander.

Mit der Dominus Winery im Napa Valley schliesslich haben die Basler Architekten und diesjährigen Pritzker-Preis-Träger Herzog & de Meuron den Geniestreich einer zugleich radikal innovativen und extrem funktionellen Architektur verwirklicht (NZZ 7. 5. 99). Weniger bekannt ist, dass der Besitzer dieses Weingutes niemand Geringerer ist als Christian Moueix, dem im französischen Pomerol der absolute Spitzenwein Pétrus gehört. Die Latte liegt hoch - sehr hoch. Wer will sich mit Herzog & de Meuron messen? Im nordspanischen Weinanbaugebiet Rioja sind zurzeit Weinkeller nach Entwürfen von Stars der Branche wie Frank O. Gehry (Bodegas Marqués de Riscal), Rafael Moneo (Bodegas Chivite) und Santiago Calatrava (Bodega Ysios) im Entstehen. Als Tendenz dürfte gelten, dass moderne Architektur im Weinberg verstärkt in den Dienst des Marketings boomender Weinbaugebiete wie Australien, Südafrika, Argentinien und Chile gestellt werden wird. Was indes niemanden in Europa daran hindern soll, es Jean-Jacques Lesgourgues gleichzutun, der im traditionsreichen Anbaugebiet Graves bei Bordeaux quasi aus der Retorte einen vielversprechenden Cru (Château Haut-Selve) hervorgezaubert hat, der seit 1998 in einem von Sylvain Dubuisson gestalteten hypermodernen Weinkeller reift.


[Literatur: Châteaux Bordeaux. Hrsg. Jean Dethier. Edition du Centre Georges Pompidou, Paris 1988. - Dirk Meyhöfer und Olaf Gollnek: Die Architektur des Weines (Deutsch, Französisch, Englisch). AV-Edition, Ludwigsburg 1999. 235 S., Fr. 158.-.]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: