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Raum. Form. Netz.
Der Standard

Wolf D. Prix über das Thema der bevorstehenden 10. Architekturbiennale in Venedig und über den Beitrag, den Österreichs Architektur zur Stadtentwicklung leisten kann.

5. August 2006 - Ute Woltron
Der Brite Richard Burdett (50) ist der Chef der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig. Er hat als Leitthema der Schau nichts Geringeres als ein neues Manifest für die Städte des 21. Jahrhunderts ausgerufen. In der Hauptausstellung will er das Phänomen großer Menschenagglomerationen anhand von 16 Mega-Citys veranschaulichen, und auch die 50 an der international wohl renommiertesten Architekturausstellung beteiligten Nationen wurden dazu aufgerufen, in den jeweiligen Länderpavillons der Venezianischen Giardini die Entwicklung der Stadt zu thematisieren.

Der Moment, in dem rund die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten daheim ist, wurde bereits erreicht. In 50 Jahren wird laut UNO-Experten der Anteil der Stadtbewohner auf 75 Prozent gestiegen sein. Jetzt, so Burdett, sei es hoch an der Zeit, sich Strategien für die Zügelung und Strukturierung dieses Mega-Wachstums zu überlegen, um die Städte der Zukunft menschengerecht wachsen zu lassen.

Der österreichische Biennale-Beitrag wird von Wolf D. Prix als Kommissär präsentiert. Der Mitbegründer von Coop Himmelb(l)au findet das Thema zeitgerecht und treffend - doch er weiß auch, dass er mit der von ihm gewählten Befüllung des Hoffmann-Pavillons durchaus kontroversielle Debatten auslösen könnte. Doch das ist ihm nur recht so.

DER STANDARD: Was kann die Architektur eine Miniaturlandes wie Österreich zu einer Weltausstellung der Architektur beitragen, die sich mit Stadträumen und Bewohnermassen von bis zu 35 Millionen Einwohnern wie im Falle des Großraums Tokio befasst?

Wolf D. Prix: Ich untersuche schon seit Langem, was das Spezifische am österreichischen Architekturdenken sein könnte, also worin wir uns von anderen Architekturebenen in anderen Ländern unterscheiden. Ich denke, dass man durchaus mit ironischer Kritik an die doch sehr technologischen oder soziologischen Aspekte der Burdett-Überlegungen herangehen kann, und da lag der Schluss nahe, dass wir diesmal keine Architektenpräsentation machen, sondern einen Themenpavillon. Der befasst sich mit der Stadt, und er heißt auch so: Stadt ist - Raum - Form - Netz.

Wie machen Sie das in Venedig dingfest?

Prix: Die Stadt ist nicht als Unikat oder fertiges Stück zu sehen, sie ist vielmehr ein prozesshafter, komplexer, sich ununterbrochen wandelnder Vorgang. Das hat etwas mit der Form zu tun und mit dem Raum - und das Verbindende und Entscheidende ist das Netz.

Der Pavillon wird von drei Architekten bespielt: Friedrich Kiesler steht für den Raum, Hans Hollein für die Form und Gregor Eichinger für das Netz.

Prix: Das ist schlagwortartig zusammengefasst für das, was tatsächlich das Phänomen einer Stadt ausmacht, und hier wird verdeutlicht, wo die österreichische Architektur maßgebliche und fast führende Exponenten hat. Es ist wichtig, dass man die visionären Raumideen Kieslers auch abseits seines ohnehin bekannten endlosen Hauses präsentiert. Für die Auseinandersetzung von Form und Stadt in extremem Profil haben wir den Flugzeugträger von Hans Hollein aus den 60er-Jahren ausgewählt. Und der perfekte Netzwerker ist Gregor Eichinger, das hat er mit vielerlei Aktionen und Aktivitäten bewiesen. Als Ansatzpunkt einer ironischen Kritik an den festgesetzten technokratischen Paradigmen von Städteplanung haben wir zudem ein Porträt von Wien zusammengetragen, das weit über Flächenwidmung hinausgehen soll und als Ausgangspunkt einer neuen Raumwidmung dienen kann, und zwar im Sinn der atmosphärischen Widmung einer Stadt. Das Wohlfühlen kann nicht im Flächenwidmungsplan beschrieben werden, da gehören andere, weniger technokratische, sondern vielmehr emotionale Paradigmen in die Städteplanung eingeflossen. Das wird im Beitrag „Vienna Intensities“ von Bärbel Müller und Andrea Börner zu sehen sein.

Zusätzlich wird in der Stadt auch eine Ausstellung jüngerer österreichischer Architekten gezeigt.

Prix: Nachdem man weiß, dass neu, jung und schön immer zieht, haben wir die „Rock over Barock“-Ausstellung als Ergänzung des österreichischen Architekturprofils nach Venedig geholt.

Sie beweisen damit eine zeitliche Kontinuität, die man allerdings auch kritisieren kann. Kiesler ist seit immerhin 40 Jahren tot, Hans Hollein ist, trotz unbestrittener Meriten, auch nicht mehr der Jüngste. Denken Sie da nicht ein bisschen rückwärts gewandt?

Prix: So kann man das natürlich überhaupt nicht sehen. Sie gehen auf die Namen los und nicht auf die Inhalte.

Gegen keinen Einzigen ist auch nur das Geringste einzuwenden, ich versuche nur Ihre Argumente gegen den Vorwurf der Gestrigkeit zu ergründen, der sicher auftauchen wird.

Prix: Dieser Vorwurf wird kommen, das ist mir total bewusst, und es macht mir auch Spaß, dass diese Ausstellung für viele ein rotes Tuch sein wird. Doch wichtig sind die Ideen, die in diesen Projekten stecken. Ich sage, es geht nicht um Kiesler, sondern um den Raum, es geht nicht um Hollein, sondern um die Form, und letztlich geht es um das prozesshafte Verflechten dieser Begriffe mit Neudefinitionen einer neuen paradigmatischen Raum- und Flächenwidmung. Ob das gelingt und verständlich wird, werden wir sehen. Ich möchte auch über diese Zusammenhänge während oder nach der Biennale ein Symposium veranstalten, weil es das nachhaltige Ziel ist, ein Buch über Stadt als Raum Form Netz herauszubringen. Ich betrachte diese Biennale als Ausgangspunkt einer Entwicklung einer Diskussion, die wahrscheinlich im krassen Gegensatz zu den geäußerten Thesen der Hauptausstellung stehen wird.

Was ist dazu jetzt schon zu sagen?

Prix: Ich bin jetzt schon gespannt, wie Burdett sein Thema präsentieren wird. Es ist jedenfalls hochinteressant, etwa zu erfahren, dass 80 Prozent der Londoner gar nicht in London geboren wurden. Ich halte es auch für wichtig zu wissen, dass in Wien mehr neu gebaut als niedergerissen wird oder dass Wien doppelt so viele Kinoplätze hat wie etwa Berlin. Da bekommt man plötzlich ein ganz anderes Bild von der Stadt.

Ist diese interdisziplinäre Annäherung an Architektur und Stadt die Aufforderung an Stadtplaner und Politiker, die Entwicklung anders zu denken als derzeit üblich?

Prix: Es ist der Aufruf, auf die eigentlichen Qualitäten zurückzugreifen. Es geht um die Bewusstwerdung der Qualitäten, die Wien zu einer interessanten Stadt machen. Ich halte Burdetts Idee für sehr gut, nicht Abstraktes wie etwa die Moral der Architektur etc. darzustellen, sondern zu fordern: Wir brauchen ein Manifest für die neue Stadt! Die Stadtentwicklung ist mit Sicherheit das kommende Thema in der Architektur. Man sieht ja allerorten, dass man das nicht beherrscht. Dass man mit einer solchen Ausstellung Diskussionspunkte und Entwicklungslinien einleiten kann, halte ich für gut und legitim. Die vergangenen Biennalen haben eher Personalen gezeigt und sich weniger mit den übergeordneten Zusammenhängen befasst.

Daran kann man die Frage anschließen, ob das Format der Ausstellung, also diese einzelnen Länder-Schauen, überhaupt noch zeitgemäß ist?

Prix: Das Format ist total überholt.

Warum hält man dann noch daran fest?

Prix: Weil die Biennale natürlich auch ein Jahrmarkt der persönlichen Eitelkeiten ist. Dem kann man sich nicht entziehen: Heutzutage wird die Person wichtiger als das, was diese Person vertritt. Ein bekannter Architekt eröffnet ein neues Gebäude, man schlägt die Zeitung auf, und dort sitzt er riesengroß abgebildet, im Hintergrund das Gebäude - winzig klein, und was er oder sie anhat ist wichtiger als die Qualität des Gebäudes, um das es eigentlich geht. Doch auch dieser Trend wird medial irgend wann einmal zu Ende gehen. Die Gesichter werden wieder hinter die Gebäude zurücktreten.

Das Bundeskanzleramt nominiert seine Venedig-Kommissäre traditionell sehr spät, auch das Budget ist immer knapp: Wie kann man mit wenig Geld in kurzer Zeit Ordentliches zustande bringen?

Prix: Das ursprüngliche Budget von 400.000 Euro habe ich inzwischen kräftig erhöht, und mit Elisabeth Gehrer sowie Pulides Sponsoren für die Produktion der beiden großen Projekte von Hollein und Kiesler aufgetrieben. Die Modelle werden anschließend dem MAK übergeben und im MAK-CAT-Flakturm zu sehen sein. Trotzdem wäre es besser gewesen, vor November gefragt zu werden und ein Jahr Vorlauf zur Verfügung zu haben, aber es ist Usus, dass die Kommissäre so kurzfristig ernannt werden und auf ihre eigenen Konzepte zurückgreifen. Für mich ist die Biennale jedenfalls eine hervorragende Gelegenheit, um das österreichische Architekturprofil wieder einmal und noch stärker herauszuarbeiten. Und nochmals: Auch wenn man sich auf den Kopf stellt, da gehören Hollein und Kiesler dazu, und es werden auch Raimund Abraham, Günther Domenig und Walter Pichler dazugehören, mit all den jungen Ansatzpunkten, die sie mit sich bringen.

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