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Baukünstlerischer Aufbruch
Neue Zürcher Zeitung

Neuer Urbanismus in China - drei Rotterdamer Ausstellungen

Eine Ausstellungstrilogie in Rotterdam wirft einen kritischen Blick auf die urbanistischen Entwicklungen in China. Ins Blickfeld geraten dabei auch die Arbeiten junger chinesischer Architekturbüros.

8. August 2006 - Hubertus Adam
Wenn hiesige Architekten über China sprechen, so besiegt die Faszination zumeist die Skepsis. Gewiss entspricht das zum Turbokapitalismus konvertierte kommunistische System nicht eben westlichen Vorstellungen von Demokratie. Auch weiss man um die kulturelle Differenz: Aufträge dort zu erhalten und auszuführen, ist selbst bei intensiver Vorarbeit von kaum abzuschätzenden Unwägbarkeiten begleitet. Doch am Ende bleibt der Lockruf eines Landes, in dem Dimensionen und Geschwindigkeit des Bauens jegliches bekannte Mass übersteigen - und kaum ein Architekt vermag es, sich der Verlockung zu widersetzen.
Perspektivwechsel

Gerät aus europäischer Perspektive gemeinhin die bekannte westliche Prominenz ins Blickfeld, die sich gerne damit schmückt, die chinesische Architekturtradition eher zu respektieren als die Landsleute selbst, so präsentiert das Nederlands Architectuur Instituut (NAI) in Rotterdam nun unter dem Titel «China contemporary» eine unabhängige chinesische Architekturszene, die nicht mehr den marktbeherrschenden, von staatlicher Obhut in die partielle Eigenverantwortlichkeit entlassenen Architekturkombinaten entstammt. Erst 1993 konnte Jung Ho Chang das erste private Architekturbüro eröffnen, das als Atelier Feichang Jianzhu erfolgreich ist, und bis heute mag die freie Architektenszene - verglichen mit den gigantischen Bauvolumen - eher eine Marginalie darstellen. Bauaufgaben sind private Villen oder kleinere Kulturbauten; die typischen neuen Wohnquartiere oder Stadtplanungen werden eher an internationale Stararchitekten vergeben.

Insgesamt 40 Projekte von 18 Architekten sind im grossen Ausstellungssaal des NAI zu sehen. Die meisten der Planungen wurden unter dem Stichwort «Chineseness» subsumiert - anders als die grossen Architekturfirmen versuchen einige junge und kleine Büros, auf verschiedene Weise an die Bautradition des Landes anzuknüpfen. Dazu zählt der Campus der Nationalen Kunstakademie in Hangzhou (Amateur Architecture) ebenso wie die Neuinterpretation traditioneller Hofhaustypologien für ein touristisch zu nutzendes Jade-Dorf bei Xi'an, welches vom Büro Mada, das mittlerweile auch in europäischen Fachkreisen bekannt ist, konzipiert wurde. Eine Reihe der in der Ausstellung vertretenen Entwerfer hat im Ausland studiert oder gearbeitet - Quingyun Ma, Prinzipal von Mada, ist nach Jahren bei der amerikanischen Architekturfirma KPF in seine Heimat zurückgekehrt. Längst hat sich auch die Architekturszene globalisiert, Publikationen über die neuesten Trends sind überall auf der Welt erhältlich. In welchem Masse neue Konzepte sich in China durchsetzen können, bleibt unsicher, doch zeigt die Schau zumindest einige Versuche.

«Public Domain» ist ein weiterer Ausstellungssektor betitelt, in dem öffentliche Räume thematisiert werden. Plätze oder öffentliche, nicht religiös konnotierte Parkanlagen sind in der chinesischen Tradition nicht verwurzelt, sieht man von den Aufmarschflächen der kommunistischen Ära ab. Vom Wandel zeugen gestaltete Freiflächen inmitten neu errichteter Wohnkomplexe, vor allem aber der von dem Künstler und Architekten Ai Weiwei in der Stadt Jinhua gestaltete Hochwasserdamm des Flusses Jiwu mit einem dazugehörenden bandartigen Architekturpark. An den architektonischen Follies, die dort errichtet werden, sind neben den mit der Planung des Stadtviertels Jindong betrauten Architekten Herzog & de Meuron auch andere internationale und chinesische Architekten sowie die jungen Basler Büros Bucher Bründler, Christ & Gantenbein sowie Simon Hartmann beteiligt.

Kritisches Potenzial

Die Abteilung «Critical Urban Renewal» dokumentiert die noch zaghaften Versuche, der staatlichen Tabula-rasa-Mentalität entgegenzuwirken. Unter dem Titel «Urbanscape» werden alternative Modelle städtischer Transformation zur Diskussion gestellt. Die fotografische Studie «Informal China» von Jiang Jun widmet sich nichtoffiziellen, informellen privaten Bauvorgängen. Mit «Beijing Record» hat der Journalist Wang Jun 2003 eine als Bestseller gehandelte Untersuchung über die Zerstörung des kulturellen Erbes im Vorfeld der Olympischen Spiele Peking 2008 veröffentlicht. - Die vom niederländischen Architekturbüro Johan de Wachter gestaltete Rotterdamer Schau bietet eine Fülle von Material, das auf Podesten, Sockeln und Wänden präsentiert wird. Von der Decke abgehängte Elemente bilden eine zweite Schicht; zu sehen sind Ausschnitte aus kommerziellen Renderings der 800 Mitarbeiter beschäftigenden Firma Crystal Image, die Architekturprojekte visualisiert. Ein aus aufgeschichteten PVC-Röhren bestehender Lesepavillon wurde von Wang Hui (Neno 2529 Design Group) realisiert.

Die Schau im NAI wird ergänzt durch Ausstellungen im Museum Boijmans van Beuningen und im Nederlands Fotomuseum. Ausgewählt wurden Künstler, die sich weniger mit der kommunistischen Tradition oder dem Desaster der Kulturrevolution auseinandersetzen als vielmehr mit den gegenwärtigen Entwicklungen (die natürlich ohne die jüngere Vergangenheit nicht zu verstehen sind). Gezeigt werden Fotoarbeiten, Videos und Installationen, die den radikalen Wandel der vergangenen Jahre kritisch reflektieren. Als Beispiel erwähnt sei hier nur Shenzhen, das sich seit 1978 von einem 30 000 Einwohner zählenden Fischerdorf zu einer Megastadt mit mehr als 10 Millionen Menschen entwickelte.

[ Die Ausstellungen dauern bis zum 13. August (Boijmans van Beuningen) bzw. 6. September (NAI und Nederlands Fotomuseum). Katalog: China contemporary - Architecture, Art, Visual Culture. NAI Publishers, Rotterdam 2006. 416 S., Euro 29.95. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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