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Barocke Raumwunder
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung zur Vorarlberger Bauschule in Bregenz

15. September 2006 - Roman Hollenstein
Woran liegt es, dass Graubünden, das Tessin und Vorarlberg immer wieder wichtige Beiträge zur europäischen Architektur geleistet haben? Unter anderem an den beschränkten Arbeitsmöglichkeiten, welche die Baumeister und Handwerker aus ihrer kargen Heimat in die Welt hinaus streben liessen. Dabei erlaubte es ihnen eine enge verwandtschaftliche Organisation, alle Aufgaben vom Entwurf bis hin zur künstlerischen Ausgestaltung im Team auszuführen. Während sich ganze Dynastien von Tessinern in Rom oder St. Petersburg niederliessen, zogen die seit etwa 1650 in der Auer Zunft organisierten Vorarlberger im 17. und 18. Jahrhundert als Saisonniers nach Süddeutschland, in die Ostschweiz oder ins Elsass und kehrten im Winter zur Weiterbildung heim. Längst gehört der familiäre oder zünftische Zusammenschluss der Vergangenheit an, und dennoch herrscht unter den Architekten in Bregenz, Chur oder Lugano weiterhin ein gemeinsames Interesse an handwerklicher Perfektion und konstruktiver Einfachheit, was sich bis heute in ebenso pragmatischen wie qualitativ hochstehenden Bauten manifestiert.

Solche Sachverhalte untersucht nun eine den Meistern aus dem Bregenzer Wald gewidmete Ausstellung im Vorarlberger Landesmuseum in Bregenz und gewichtet zugleich die Stellung der lokalen Bauschule im barocken Kontext neu. Denn die von den Beers, den Thumbs und Caspar Moosbrugger errichteten Kloster- und Wallfahrtskirchen von Birnau, Einsiedeln, Rheinau, St. Gallen oder Weingarten sind nicht nur strahlende Gesamtkunstwerke, sondern auch Hauptbeispiele der zum Synonym der Vorarlberger Schule gewordenen und als Antithese zu Borrominis Raumkunst geltenden barocken Wandpfeilerkirche.

Diese baukünstlerischen Juwele bilden den Auftakt zu einer von Werner Oechslin konzipierten und von einem kleinen Katalogbuch begleiteten Schau. In deren Zentrum stehen die «Auer Lehrgänge», zwei 1940 wiederentdeckte, aber jetzt erstmals ausgestellte Konvolute lavierter Zeichnungen, welche von den Mitgliedern der Auer Zunft - Baumeistern, Steinmetzen und Stuckateuren - zur Schulung verwendet wurden. Die wohl um 1715 im Moosbrugger-Kreis entstandenen Musterbücher geben Darstellungen aus den Theoriebüchern von Vignola, Pozzo und Daviler, aber auch im Zusammenhang mit Vorarlberger Bauten entstandene Entwürfe wieder und sind so wertvolle Dokumente der barocken Architekturausbildung. Darüber hinaus gewährt die kompakte Schau am Beispiel des Klosters Mehrerau Einblicke in die kollektive Baupraxis der Vorarlberger, die - wie das Schlusskapitel zeigt - in einzelnen Fällen bis heute das Architekturgeschehen im Westen Österreichs prägt.

[ Bis 29. Oktober im Vorarlberger Landesmuseum. Katalog: Architectura practica. Barockbaumeister und moderne Bauschule aus Vorarlberg. Hrsg. Tobias Natter und Ute Pfanner. Bucher-Verlag, Hohenems 2006. 94 S., Euro 17.-. ]

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