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Helvetischer Höhenrausch
Neue Zürcher Zeitung

Die Schweiz erlebt das Comeback der Hochhäuser

Während Jahrzehnten waren Hochhäuser in der Schweiz kein Thema mehr. Nun aber sollen sich wieder Türme in die Skylines unserer Städte einschreiben. Jüngste Beispiele für diese Entwicklung sind die Projekte skulpturaler Hochhäuser in Zürich, Basel, Locarno oder Davos.

31. Oktober 2006 - Hubertus Adam
Der vor gut drei Jahren eingeweihte Messeturm in Basel, der vom ortsansässigen Büro Morger & Degelo zusammen mit Daniele Marques aus Luzern entworfen wurde, gilt mit seinen 105 Metern als das höchste Haus der Schweiz. Der Höhe zum Trotz übten sich die Architekten in Zurückhaltung: Schon der enge Kostenrahmen erlaubte keine formalen Eskapaden. Klare, kubische Geometrien bestimmen den Bau, der ein unübersehbares Wahrzeichen darstellt und sich doch in die städtebauliche Struktur Kleinbasels einfügt. Aber lange wird der Turm seine Spitzenposition unter den Schweizer Hochhäusern kaum behaupten können: Auf dem Maag-Areal an der Zürcher Hardbrücke planen Gigon/Guyer den 126 Meter hohen «Prime-Tower», und das wohl aussergewöhnlichste Projekt stellt der schlicht «Bau 1» genannte Turm von Herzog & de Meuron dar, der sich im Jahr 2011 auf dem Basler Roche-Areal 160 Meter in den Himmel recken soll.

Renaissance des vertikalen Bauens

Mit einiger Verspätung erlebt die Schweiz derzeit das, was in anderen Ländern längst Tatsache ist: die Renaissance der Hochhäuser. Wolkenkratzer und helvetisches Selbstbewusstsein schienen sich lange kaum zu vertragen: Das lange Zeit eher rural geprägte Selbstverständnis des Landes widersprach dem Drang in die Vertikale. Das änderte sich vorübergehend in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts. In Zürich läuteten 1952 die skandinavische Vorbilder adaptierenden Wohnhochhäuser von Heinrich Albert Steiner eine neue Ära ein; sie fand ihre Fortsetzung im Stakkato der Bürotürme am Schanzengraben und kulminierte schliesslich in der Bebauung des Locherguts und in den von Max P. Kollbrunner 1978 realisierten Hardau-Türmen. Mit den bis zu zwanziggeschossigen Wohnkomplexen Tscharnergut, Fellergut und Gäbelbach entstand im Westen Berns seit 1958 die wichtigste Satellitenstadt der Schweiz; dass sich auch kleinere Städte dem Höhenrausch nicht versagten, wird offenbar, wenn man offenen Auges eine Fahrt durch das Mittelland unternimmt.

Gegen Ende der siebziger Jahre hatten die Türme hierzulande eine - im Vergleich mit anderen Ländern - eher moderate Höhe von 70 bis 90 Metern erreicht; danach war erst einmal Schluss. Die Grenzen des Wachstums dämmerten am Horizont auf, bauliches Korrelat war die Stadtreparatur. «Die Stadt ist gebaut», lautete die Devise - keine günstige Zeit also für himmelstürmende Visionen. Zwei Jahrzehnte später hat sich die Situation grundlegend gewandelt. Die einst inkriminierten Betongebirge der sechziger und siebziger Jahre werden von einer jüngeren Planer- und Architektengeneration zumindest ästhetisch durchaus wieder goutiert; und das Hochhaus als Wohnform könnte Zukunft haben. Man erkennt, dass die Projekte vergangener Dezennien nicht an den Bauten selbst, sondern an einer falschen Mieterpolitik sowie an mangelnder Zielgruppenkompatibilität gescheitert sind.

Cockpit über der Stadtlandschaft

Heutige Wohnhochhaus-Konzepte zielen denn auch nicht auf kinderreiche Familien des unteren Mittelstands, sondern auf einen Lebensstil, der zu einem Cockpit über der Stadtlandschaft passt. Singles, Dinks (double income, no kids) und Angehörige von «Kreativbranchen» gehören zur avisierten Zielgruppe der neuen «Urbaniten». Das im Auftrag der Stadt Zürich von Theo Hotz geplante kleeblattförmige Hochhaus am Escher- Wyss-Platz, dessen Ausführung nun durch Rekurse verhindert werden soll, zählt mit seinen 90 Metern zu den neuen Projekten für das Wohnen in der Höhe. Noch aussergewöhnlicher ist das Neubauprojekt von Herzog & de Meuron für ein zylindrisches Turmhaus hoch über Davos, das neben Hotelräumen vor allem Apartments aufnimmt, die zur Querfinanzierung des altehrwürdigen Schatzalp-Hotels beitragen sollen.

Hochhäuser mit Mietwohnungen, für die es in den städtischen Agglomerationen durchaus Bedarf gäbe, könnten den überhitzten Wohnungsmarkt entlasten - wenn es ein Ausnützungsbonus erlaubte, mehr Bruttogeschossfläche als mit einer niedrigen Bebauung zu realisieren. Die baurechtlichen Regelungen sehen diesen Fall indes nicht vor. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass die Kommunen die Potenziale (und Risiken) des Hochhausbaus noch kaum erkannt haben und den Begehrlichkeiten von Investoren hinterherhinken. Immerhin wurde aber 2001 in Zürich ein Planwerk erlassen, das Areale definiert, innerhalb deren Hochhäuser errichtet werden können. Gleichzeitig fixiert es jene Gebiete, in denen vertikale Dominanten aus Sicht der Planer unerwünscht sind. Erwünscht sind sie dagegen in der Neustadt von Locarno, wo an der Megarotonda ein Palacinema genannter Turm für das Filmfestival mit Kino- und Hotelnutzung entstehen soll.

Unverwechselbarkeit

Bei den meisten der derzeit diskutierten Projekte handelt es sich um Bürohäuser. In Zeiten, da verstärkt von Branding, Identität und Marketing die Rede ist, schaffen Hochhäuser eine unverwechselbare Adresse. Diese mag für die von einer gewissen Gebäudehöhe an unvermeidlich wachsenden Baukosten entschädigen. Während in Städten wie London, Paris oder Frankfurt - ganz zu schweigen von amerikanischen oder asiatischen Metropolen - Hochhäuser nicht einzeln in Erscheinung treten, sondern sich zu Clustern ballen, werden sie in der Schweiz vorerst wohl Solitäre bleiben. Doch die Tendenz zu ungewöhnlichen Formen, die es erlaubt, in einem Rudel den Leitbau zu erkennen (wie Norman Fosters «Gurke» in London), bricht sich auch hierzulande Bahn: Das Potenzgerangel wird nicht mehr anhand des Metermasses ausagiert. Vielmehr gewinnt Zeichenhaftigkeit an Bedeutung.

So besitzt der in Zürich geplante «Prime- Tower» dank seiner Geometrie unterschiedliche Ansichten. Bei dem von Herzog & de Meuron für das Roche-Areal in Basel konzipierten Turm werden kompakte Cluster von jeweils fünf Bürogeschossen Einheiten bilden, die um den Erschliessungskern rotieren und mit anderen Nutzungen - Gastronomie, Lobby, Foyer, Archiv und Auditorium - zu einem Volumen verschmelzen. Als Grundelement für die Geschosse wurde der Kreis gewählt. Seine besondere Gestalt erhält der Turm, in welchem dereinst 2400 Menschen arbeiten sollen, durch zwei gratartig an der Fassade sich abzeichnende Erschliessungssysteme aus Rampen und Treppen. Es handelt sich dabei um eine Walkway genannte flache Spirale mit mehreren Umdrehungen und eine als Broadway bezeichnete steile, gegenläufige Spirale mit nur einer Windung. Der Roche-Turm wird sich als Insigne des Konzerns unübersehbar ins Stadtbild einschreiben - sofern die Öffentlichkeit den Wunsch des Pharmakonzerns nach einem dominanten Markenzeichen akzeptiert.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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