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Architektur der Reduktion
Neue Zürcher Zeitung

Ein skulpturales Bauwerk von Stanley Brouwn in Utrecht

Bauten, die an Skulpturen erinnern, sind derzeit bei Architekten populär. Nun schärft der Künstler Stanley Brouwn den Blick auf die Architektur mit einer Skulptur, die sich als Haus nutzen lässt.

3. November 2006 - Carsten Krohn
Aus der Frosch- und aus der Vogelperspektive erscheint das Haus gleich. Nach Adolf Loos' Diktum, gute Architektur lasse sich beschreiben, schlechte nicht, ist der Bau gelungen. Denn er besteht aus zwei identischen, kreuzförmig übereinander gestapelten Volumen von je 9 Fuss Breite und Höhe und 63 Fuss Länge. Jeden, der sich diesem strahlend weissen Bau nähert, zieht die klare Proportionierung in ihren Bann, die alles andere als unbeholfen wirkt, obwohl es sich um das erste Bauwerk des Entwerfers handelt. Über diesen ist kaum mehr bekannt als die Länge seiner Füsse, die dem Bauwerk als Masseinheit zugrunde liegen. Paradoxerweise ist das Werk somit aufs Engste mit Brouwn verbunden, während es andererseits als ein Konzept gegen eine individuelle Gestaltung aufzutreten scheint. Was für eine Rolle spielen bei einer derart konsequenten Reduktion schon persönliche und biografische Details eines Autors?

Konzeptuelle Baukunst

Der 1935 im südamerikanischen Surinam geborene und in Amsterdam lebende Stanley Brouwn hat zahlreiche Bücher publiziert, in denen er zwar in einem anderen Medium, doch ebenso radikal wie in seiner Architekturskulptur einen konzeptionellen Ansatz formulierte. Er schrieb etwa von zwei Distanzen, die sich zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten mittig kreuzen. Buchseite für Buchseite wiederholt er einen einzigen, bis auf wechselnde Zeit- und Ortsangaben identischen Satz. Auch wenn man vergeblich nach veröffentlichten Abbildungen von Skulpturen oder Bildern von ihm sucht, wird er seit Jahrzehnten zu den wichtigen Kunstausstellungen eingeladen. Allerdings blieb auch im letzten Documenta-Katalog die ihm zustehende Seite - wie bei ihm üblich - konsequenterweise weiss. Schon 1970, als er die Mönchengladbacher Ausstellungsräume komplett leer liess, versicherte der Museumsdirektor Johannes Cladders, sie seien dennoch angefüllt. Es gebe sogar kein Ausweichen aus der Ausstellung, da sie den Titel «Durch kosmische Strahlen gehen» trug. «Selbst wer über die Absicht der Schau nur liest, ist in sie verstrickt», schrieb Cladders auf einem Flyer und stellte mit einer langen Aufzählung von Tätigkeiten einen Künstler vor, der bei allem, was er tue, das Phänomen der Bewegung thematisiere: «Er fixierte eine Strecke und liess sie bewusst abgehen, während irgendwo auf der Welt eine genau parallel laufende Strecke von Leuten völlig unbewusst gegangen wird», oder «er legte im städtischen Museum Schiedan kurze Strecken aus, deren Verlängerungen nach Bern, Madrid und zu anderen Städten führten.»

Als Stanley Brouwn später ein ganzes Buch mit der Variierung von Dimensionen eines imaginären Raums füllte, lag die Frage nahe, inwiefern dies noch in einer Kontinuität zu seinem bisherigen Werk stehe, in dem er sich auf konkrete Situationen und auf die Phänomene der Bewegung und der Richtungen konzentriert hatte. Sein gegenwärtiges Vordringen in den Bereich des Architektonischen kann als eine Synthese begriffen werden. Auch wenn seine Arbeit im Bereich der Konzeptkunst anzusiedeln ist, hatte Brouwn bereits ohne zu bauen eine Grundlage der Architektur thematisiert: das In-Beziehung-Setzen von räumlicher Dimensionierung und menschlichem Handeln. Mit seinem ausgeführten Bauwerk hat er nun ähnlich wie bei einer Skulptur des Minimalismus ein komplexes Netz von Verhältnissen zwischen Körper, Raum, dem sich bewegenden Betrachter und dem Kontext gespannt.

Mit seiner Kreuzform markiert das Gebäude, eine von einer Kunstinstitution namens Bureau Beyond in Auftrag gegebene Ausstellungshalle, die Schnittstelle zwischen Utrecht und einer im Bau befindlichen Stadterweiterung, welche die gleiche Flächenausdehnung haben wird wie die alte Stadt. Beim Einfahren in die neue Stadt tritt das Bauwerk mit einer rotierenden Bewegung in Erscheinung. Ebenso rotierend ist auch die Wegführung zum Gebäude hin und in dessen Innerem organisiert. Der Innenraum wird durch Öffnungen und Neonleuchten rhythmisiert, deren Abstände ebenfalls auf Brouwns Fussmassen basieren. Die Besucher gelangen schliesslich in Zonen zwischen zwei verglasten Feldern, die den Blick auf eine gigantische urbane Baustelle oder auf die sich im jahreszeitlichen Zyklus verändernde Landschaft öffnen.

Ideal und Wirklichkeit

Eine unvermittelte Verlagerung der Wahrnehmung, weg vom minimalistischen Objekt, hin zum Kontext, ist allerdings an eine sorgfältige Detaillierung gebunden. Trotz einer äusserst präzisen Ausführung der Fugen von wenigen Millimetern, die dem Haus einen Ausdruck des Abstrakten verleihen, kann der Bau innen nicht halten, was er von aussen verspricht. Es wurden Kompromisse eingegangen, wie diagonale Zugbänder in den verglasten Öffnungen - schliesslich erfordern die enormen Auskragungen eine Fachwerkkonstruktion wie bei einem Kranarm. Aufgesetzte Verstärkungen der konstruktiven Knotenpunkte sowie eine zu klobig detaillierte Innentreppe wirken dem souveränen Auftreten des Baukörpers entgegen. Dennoch wurde von Brouwn, der - wie einst Le Corbusier, Wright und Mies - ohne Architektendiplom baut, auf Anhieb eine klare architektonische Position formuliert, eine Architektur der Reduktion, die sich allerdings kaum als massentauglich erweisen wird, da alle Verkleidungsplatten massangefertigt werden mussten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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