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Lust auf Meer
Neue Zürcher Zeitung

Die sizilianische Metropole entdeckt die Schönheit ihrer Uferzonen

Während Neapel unter der Camorra leidet, hält sich die Mafia in Palermo derzeit zurück: mit positiven Folgen für die Stadt. Im Zentrum putzt sie sich mit trendigen Lokalen und Ausstellungsorten heraus; und in einer Grossveranstaltung erkundet sie das Potenzial der Uferzonen.

12. Dezember 2006 - Roman Hollenstein
Palermo ist ein Juwel, dem Krieg, Misswirtschaft und organisiertes Verbrechen den Schliff genommen haben. Doch nun beginnt es neu zu glänzen, zaghaft erst, aber unübersehbar. Allenthalben wird restauriert: die tempelartigen Eingangsbauten des berühmten botanischen Gartens ebenso wie altehrwürdige Gotteshäuser und Paläste. Bewundernd steht man vor der marmorweissen Fontana Pretoria oder dem minimalistischen Kubus der kleinen, sarazenisch beeinflussten San-Cataldo-Kirche. Wer nicht nur auf den ausgetretenen Touristenpfaden zwischen Quattro Canti, Teatro Massimo und Normannenpalast wandeln will, trifft sich zum kreativen Pranzo im «Ristorante 091» mitten im unlängst noch verrufenen Kalsa- Viertel oder im kleinen Slow-Food-Restaurant neben dem Ucciardone-Gefängnis nahe beim Fährhafen, der in den nächsten Jahren neu gestaltet werden soll. Die Aufwertung des Quartiers kündigt sich schon jetzt im kleinen Design-Hotel «Ucciardhome» an, wo man in hohen ehemaligen Werkstatträumen an einem intimen Innenhof stilvoll zeitgenössisch wohnen kann.

Neues Design in alten Mauern

Der bunte, von tausend Widersprüchen geprägte Alltag der Perle an der Conca d'Oro lässt sich mit noch mehr Design verschönern: etwa bei einem Schaufensterbummel auf dem eleganten Viale della Libertà oder bei einem Besuch des 1954 von Carlo Scarpa sanierten, aber noch immer frisch wirkenden Kunstmuseums im Palazzo Abatellis. Anschliessend geht man auf der chaotisch engen Via Alloro weiter, bis sich plötzlich eine perfekt restaurierte Sackgasse auftut: Lämpchen im Kopfsteinpflaster erhellen den frühen Winterabend und liebkosen mit ihrem Licht altes Gemäuer, dieweil das schicke Gartenrestaurant noch von der milden Mittagssonne träumt. Doch jetzt zieht man die coole Bar in den einstigen Stallungen des Palazzo Cefalà vor, in der man seinen Apéro auf Stühlen internationaler Designer trinken und in den zum Verkauf aufgelegten Architekturbüchern schmökern kann. Dahinter weiten sich die Gewölbe der Expa-Galerie, die sich mit Städtebau und Architektur befasst.

Derzeit präsentiert sie in der schwarz glänzenden Ausstellungshalle die Ergebnisse des von der Architekturbiennale Venedig unter jungen Architekten ausgeschriebenen Portus-Wettbewerbs für die Ufergestaltung süditalienischer Hafenstädte. Von den 24 auf Schautafeln vorgestellten Arbeiten überzeugen vor allem das sich durch schwimmende Badehäuschen und eine Palmenpromenade auszeichnende Projekt von Giuseppe Francavilla für Termoli (Molise), der von zwei alten Fabrikschloten bestimmte Entwurf von Paolo Robazza für Monopoli (Apulien) sowie die von Peter Eisenman beeinflusste topographische Gestaltung, die Gian Battista Ortu für die Architekturschule im sardischen Porto Torres vorschlägt.

Die Expa-Schau ist Teil der von Rinio Bruttomesso konzipierten und der Entwicklung obsolet gewordener Hafenareale gewidmeten Grossveranstaltung «Città Porto», mit der Palermo ganz offiziell für einige Wochen Venedig als Biennale- Stadt ablösen darf. Die drei weiteren Ausstellungen finden ebenfalls in architektonischen Sehenswürdigkeiten statt, deren Revitalisierung für die Renaissance der sizilianischen Metropole steht. Einen Überblick über Hafenprojekte aus aller Welt erhält man im Palazzo Forcella De Seta, einem auf der das Kalsa-Viertel vom Meer trennenden Bastion errichteten klassizistischen Gebäude, dessen mit brüchigen Dekorationen in antikischen und maurischen Formen dekorierten Innenräume derzeit vom 53-jährigen Mailänder Architekten und Designer Italo Rota sanft saniert werden.

Für die Ausstellung hat Rota die stimmungsvollen Säle bald mit organisch geformten Kojen, bald mit wulstigen Stelen im Stil der siebziger Jahre ausgestattet, um die Geschichte der Hafenstädte, vor allem aber die Projekte zur Umgestaltung der für Containerschiffe zu klein gewordenen Pieranlagen als multimediales Spektakel zu inszenieren. Die hier aufgezeigte Entwicklung, die in den siebziger Jahren mit der Transformation von Fisherman's Wharf in San Francisco einsetzte, wird mit 16 Beispielen von Boston bis Sydney dokumentiert, wobei sich Valparaíso und Genua als städtebaulich besonders interessant erweisen, während Oslo mit spektakulären Bauprojekten von Koolhaas und Snøhetta auftrumpfen kann. Eine eigene Abteilung ist zudem Spaniens Küstenstädten gewidmet, die sich in den vergangenen Jahren mehr als andere herausputzten.

Die Stadt und das Meer

Den faktenreichen Doppelkatalog, der die Exponate in den nötigen Zusammenhang stellt, kann man dann in der Buchhandlung des angesagten Literatencafés «Kursaal Kalhesa» in den Bastionsgewölben des Palastes erwerben - eines Lokals, das selbst in Paris oder London Aufsehen erregen würde. Derart für den Reiz der Wasserfront sensibilisiert, geht man durch das dank den herbstlichen Kals'art-Festivals zum Trendquartier gewordene Viertel hinüber zur barocken Porta Felice, hinter der sich der ebenfalls von Italo Rota neugestaltete Uferpark des Foro Italico ausdehnt. Fast wähnte man sich hier an den Quaianlagen jener Schweizer Städte, die vor über hundert Jahren die heutige Entwicklung der Meerhäfen hin zum Wasser gleichsam vorwegnahmen, wären da nicht das Meeresrauschen und ein schattiger Palmenhain. Vorbei an einer aus buntfarbigen Steinliegen komponierten Open- Air-Lounge und an gepflegten Rasenflächen, auf denen Jungvolk in der Meeresbrise die Drachen steigen lässt, schlängelt sich der Weg in Richtung Sant'Erasmo, wo man sich plötzlich zwischen Autobahn und schäbigen Hütten wiederfindet. An dieser Stelle plant die Stadt den Parco della Foce, eine zum Strand hin abgetreppte Grünanlage mit Pools. Wie sie dereinst aussehen wird, zeigt die Ausstellung «Palermo - Mediterraneo» in der wieder instand gestellten ehemaligen Lokremise Sant'Erasmo.

Gleichsam als Einstimmung auf die vielen palermitanischen Projekte dient die vom jungen Turiner Designteam Cliostraat im nachtschwarzen vorderen Teil der Halle als unendlich wogende Wasserlandschaft eingerichtete Präsentation «Grande Sud», in welcher man Projekte für 10 süditalienische und sizilianische Hafenstädte studieren kann, von denen jene für Neapel, Salerno und Catania recht innovativ erscheinen. Durch eine Bilderschleuse gelangt man daraufhin zu einer riesigen, modellartigen Luftaufnahme von Palermo, mit der man selbst Skeptiker für die von der Stadt projektierte Verschönerung der Hafenzonen begeistert. So soll jenseits der heute als Jachthafen genutzten Cala, die von der Antike bis ins 19. Jahrhundert als zentraler Umschlagplatz diente, auf dem heute mit Schuppen verstellten «Molo Trapezoidale» die neue «Città d'acqua» entstehen. Vor wenigen Wochen konnte hier mit der Freilegung der Ruinen des mittelalterlichen Castello a Mare, des Herzstücks eines geplanten Archäologieparks, begonnen werden. Unmittelbar daneben sollen ehemalige Lagerhallen für die Belange von Kultur und Freizeit umgenutzt, aber auch ein neues Wohnquartier mit Wasseranstoss realisiert werden. Für den weiter nördlich sich bis zum Ucciardone erstreckenden Hafen für Fähren und Kreuzfahrtschiffe ist - wie schon erwähnt - ebenfalls ein Facelifting angekündigt, wobei ein Meeresmuseum den Übergang zu zwei in den Aussenquartieren Acquasanta und Arenella geplanten Jachthäfen sowie zum anschliessenden Küstenpark akzentuieren soll. Schafft es die Stadt wirklich, ihre fast zwei Quadratkilometer grosse Küstenzone nachhaltig zu revitalisieren, so könnte sie zu einem der baukünstlerisch attraktivsten Zentren im Mittelmeerraum werden.

[ Bis 14. Januar im Palazzo Forcella De Seta, in der ehemaligen Lokremise Sant'Erasmo und in der Architekturgalerie Expa. Katalog: Città - Porto. Mappe per nuove rotte urbane (ital./ engl.). Hrsg. Rinio Bruttomesso. Marsilio Editori, Venedig 2006. 2 Bde., 264 u. 118 S., Euro 50.- ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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