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Boomende Riesenstadt
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung «New Moscow 4» in Mendrisio

9. Januar 2007 - Roman Hollenstein
Ganz Moskau ist im Baurausch, und die Spekulation treibt Blüten. Immer wieder werden Architekturdenkmäler abgerissen, um anschliessend (den heutigen Bedürfnissen angepasst) rekonstruiert zu werden. Daneben entstehen ambitiöse Neubauten wie der von Norman Foster für das Business-Center «Moscow City» geplante Russia Tower, welcher mit 600 Metern das höchste Haus Europas werden soll. Die Glitzertürme internationaler Büros zeugen ebenso wie die Hochhäuser im Pseudo-Jugendstil oder im Neo-Zuckerbäckerstil lokaler Architekten vom gigantischen Entwicklungsschub, den die 15-Millionen- Stadt derzeit erlebt. Den architektonischen und urbanistischen Mechanismen der Boomtown im Osten sucht nun die detailreiche Übersichtsausstellung «New Moscow 4» in der Galerie der Architekturakademie in Mendrisio auf die Spur zu kommen. Die von einem informativen Katalog begleitete Ausstellung ist die zweite in einer fünfteiligen Reihe (NZZ 15. 11. 06) zur Situation der Megastädte unseres Planeten.

Als Vorspiel zur Moskau-Schau werden zwanzig Architekten präsentiert - darunter die Neokonstruktivisten Aleksander Asadow und Michail Chasanow, die kritischen Minimalisten Evgeni Ass und Aleksander Skokan sowie die einer modisch-westlichen Formensprache verpflichteten Baukünstler Boris Bernaskoni und Sergei Skuratow. Im grossen Ausstellungssaal evoziert daraufhin ein weites Panorama die städtebaulichen Dimensionen Moskaus. Urbanistische Projekte und zahlreiche der neu das Stadtbild prägenden, meist aber wenig überzeugenden baulichen Interventionen werden ausführlich dokumentiert - vom Hochhausgürtel über die jüngsten Satellitenstädte bis hin zu den wie Pilze aus dem Boden schiessenden Shopping-Malls.

Historisch verankert wird die Schau durch einen Exkurs der Ausstellungsmacherin Irina Korobina vom Moskauer Zentrum für zeitgenössische Architektur. Als «New Moscow 1» bezeichnet sie das revolutionäre Moskau der zwanziger Jahre, dessen Visionen meist Papier geblieben sind. Ihm folgten in der Stalinzeit «New Moscow 2», das mit den im Zuckerbäckerstil errichteten «Sieben Schwestern» himmelstürmende Akzente setzte, und in den achtziger Jahren «New Moscow 3» mit seinen monotonen Siedlungen und einst megalomanen Strassen, die aber der heutigen Autoflut kaum mehr gewachsen sind. Planer träumen deshalb bereits von neuen, ringförmig oder linear angeordneten Subzentren, die besser mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen werden könnten.

[ Bis 25. Januar (mittwochs bis sonntags) in der Architekturgalerie der Accademia di Architettura in Mendrisio. Katalog: New Moscow 4. New urban venues in the emergent world (englisch). Hrsg. Irina Korobina. Mendrisio Academy Press, 2006. 180 S., Fr. 25.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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