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Ein Flügel und offene Arme
Spectrum

Flughäfen sind Transiträume und gelten als klassische Unorte einer beschleunigten Welt. Dass das nicht immer so sein muss, beweist der ausgebaute Airport Graz-Thalerhof.

14. Januar 2007 - Karin Tschavgova
Flughäfen sind Orte, die paradigmatisch für die Mobilität des modernen, global vernetzten Weltbürgers stehen. Heute hier - heute dort, auf der anderen Seite der Weltkugel. Möglich gemacht wird dies durch die ungeheure Beschleunigung, mit der Distanzen heute überwunden und Räume durchmessen werden. Flughäfen fungieren dabei als Transiträume; die Aufenthaltsdauer in ihnen wird von Flugplänen und Transportverordnungen bestimmt. Flughäfen sind quasi exterritoriale Räume, denen Anthropologen jede identitäts- und beziehungsstiftende Funktion absprechen. Tatsächlich ist paradox, wie kontakt- und kommunikationslos das Warten an diesen Orten abläuft. Der Franzose Marc Augé, einer dieser modernen Feldforscher der eigenen Kultur und urbanen Multisozietät, bezeichnet sie als „Nicht-Orte“. Tatsächlich sind zumindest die großen Kreuzungspunkte des internationalen Flugverkehrs eine in sich abgeschlossene Welt in einer immer gleichen Ästhetik von Check-in-Schaltern, Shops, Boarding-Zonen und Leitsystemen. In einer Größe, in der selbst die oft spektakuläre Form der Hülle bei der Annäherung nicht mehr als Ganzes wahrgenommen werden kann, wird der Flughafen verwechsel- und austauschbar. Kleinere Flughäfen haben es da leichter. Selbst wenn sie erweitert werden, bieten Größe und Ausdehnung noch immer die Chance, Übersichtlichkeit im Inneren zu bewahren. Der Fluggast kann über den visuellen Kontakt nach außen seinen Standort im Gebäude verorten und sich orientieren.

Graz-Thalerhof ist so ein Flughafen ohne Transitverkehr, vergleichbar einem Kopfbahnhof. 1989 wurde ein Wettbewerb für eine erste Ausbaustufe des Passagierterminals ausgeschrieben, den das damals noch weitgehend unbekannte Team Florian Riegler und Roger Riewe für sich entscheiden konnte. Die Erweiterung war für ein prognostiziertes Fluggastaufkommen ausgelegt, das noch erlaubte, alle Handlungsabläufe des Abflugs und die Wartezone der Ankunft in Sichtdistanz in einem Großraum zu addieren. 1994 war der Ausbau fertiggestellt, Graz hatte eine architektonisch höchst anspruchsvolle Fluggasthalle, in der funktionelle Differenzierungen und Schwellen zugunsten von Klarheit und Durchlässigkeit mehr gekonnt angedeutet als ausformuliert waren. Ihre maximale Kapazität war jedoch schon im Jahr 2000 erreicht, an einen weiteren Ausbau musste gedacht werden.

Der zweite Wettbewerb wurde von Pittino&Ortner gewonnen, einem Architekturbüro, das vorwiegend im Kommunal- und Bankenbau tätig ist. Die Handschrift des Entwurfs weist auf GSArchitects, das sind Danijela Gojic und Brigitte Spurej, zwei Absolventinnen der Technischen Universität Graz, die bis zur Eröffnung eines eigenen Büros (gemeinsam mit dem Projektleiter des Flughafens, Michael Gattermayer) als Projektteam hinter erfolgreichen Wettbewerben steirischer Büros standen.

Ende 2005 wurde die Erweiterung, die für 1,5 Millionen Fluggäste pro Jahr ausgelegt ist, abgeschlossen. War Riegler Riewes Gebäude ausschließlich geprägt von einer Haltung großstädtischer Distinguiertheit und Eleganz, so setzt dieser Entwurf auf den bildhaften Ausdruck seiner Funktion. Er wird entscheidend geprägt von einem geschwungenen, gekurften, an einem Ende frei auskragenden Dach, das an den Tragflügel eines Flugzeugs erinnert. Dieses überspannt den dominierenden Kern der Erweiterung, einen zweigeschoßigen verglasten Baukörper, an den im Norden und Westen, zum Flugfeld hin, eingeschoßig die Wartezonen des Boarding-Bereichs angeschlossen sind. Zum Vorfeld des Flughafens hin wird der Baukörper in einem stumpfen Winkel geknickt, bevor er, auf einen geschoßhohen Ausläufer abgestuft, unter dem in gleicher Höhe bleibenden Dach endet. Die Richtungsänderung des Daches erfolgt in einer weichen, organischen Linie.

Unschwer lässt sich die Gebäudefiguration hier als Geste des Empfangs, gleich offenen Armen, interpretieren, die die Vorfahrt zur neuen Abfertigungshalle begleitet. Am anderen Ende greift das Obergeschoß der neuen Halle mit ausladendem Dachvorsprung in den Altbau über. Die frühere multifunktionale Halle mutiert zum Ankunftsbereich, der ohne Schwelle mit der leicht abgedrehten hohen Abflughalle verbunden wird. Zu ebener Erde lässt sich alles übersichtlich finden, was mit dem Wegfliegen verbunden ist: Schalter zum Check-in, Sicherheitskontrolle, Information, Wartezonen, ein Café, das offen an die Halle anschließt. Etwas im Abseits ist nur der Flughafenshop. Das Obergeschoß ist durch eine Galerie an der Längsseite mit der Halle verbunden. Über eine der zwei sorgsam positionierten Treppen gelangen Besucher über die Galerie auf eine Aussichtsterrasse, ins Restaurant oder zu Seminar- und Konferenzräumen.

Eine der Qualitäten des Entwurfs ist, dass es den Architekten gelungen ist, die zeitlich und architektonisch differenten Ausbauabschnitte nahtlos ineinanderfließend zu verbinden, ohne ein Gelenk zu installieren. Im äußeren Erscheinungsbild wird die Idee der analogen Fortsetzung - nicht ganz zwingend - angedeutet, indem der wulstartige Dachabschluss des ansteigenden Hallenvordachs von Riegler Riewe für das neue flügelartige Dach kopiert wird.

Aus den schwellenlosen Übergängen und dem großzügigen Volumen der angenehm leeren Halle lässt sich ein weiterer Vorzug dieses neuen Ganzen ableiten: Durchlässigkeit und Bewegungsfreiheit. Räumlich-funktionelle Differenzierungen werden durch die Situierung der Schalter unter der Galerie ausgedrückt oder durch das Abrücken des Cafés in den von der Halle abgewandten, niedrigeren Bereich.

Durchsicht von einer zur anderen Halle ist gegeben, dazu der Überblick im Raum, der Blick von innen nach außen und von unten nach oben. Das macht möglich, wofür das Fliegen an sich steht und was das Warten verkürzt: Bewegung. Am Flughafen in Graz-Thalerhof lässt sich beobachten, dass nicht nur Reisende und ihre Begleiter in Bewegung sind und Gespräche im Gehen stattfinden, auch Besucher sind es, die gar nicht beabsichtigen zu verreisen, sondern den Flughafen, seine Aussichtsplattform, das Café oder Restaurant als Ziel eines sonntäglichen Ausflugs mit Kindern wählen. So gesehen, ist dieser Flughafen weit entfernt von der Unwirtlichkeit, der hektischen Atmosphäre und Anonymität seiner großen Brüder auf der ganzen Welt.

Ein Element des Großstädtischen wird mit der Anbindung des Flughafens durch den geplanten Flughafenast der Koralmbahn entstehen, die dereinst die Stadt mit zwei Haltestellen an den Flughafen anbinden soll. Ein weiteres könnte entstehen, wenn sich der Eigentümer entschließt, auch das Vorfeld des Flughafens adäquat zu gestalten. Der Raum, der durch Parkhaus und Bürogebäude im Süden und die neue Gerätehalle von Markus Pernthaler im Norden aufgespannt wird und in dessen Mitte der Tower von Pernthaler steht, sollte von den billig wirkenden Bauten der Flugschule und des Caterings bereinigt werden, damit einer großzügigen Lösung der Zu- und Abfahrt nichts mehr im Wege steht.

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