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Venus oder Eisenguss
Spectrum

Museen verstehen sich als Spiegel der Kultur. Die virtuelle Schausammlung „muSIEum“ neigt diesen Spiegel so weit, dass er auch die toten Winkel der Kulturhistorie erfasst und eine Reflexion aus weiblicher Sicht ermöglicht.

14. Februar 2004 - Judith Eiblmayr
Will man sich einen Überblick über die aktuelle Kultur des Landes in Politik, Gesellschaft und Kunst verschaffen, so bedient man sich heutzutage praktischerweise der Massenmedien. Man kann wählen zwischen Radio- und Fernsehprogrammen, Tageszeitungen und Wochenmagazinen, online-Diensten am Computer oder Info-screens im öffentlichen Raum. Davon halten sich im persönlichen Archiv außer manchmal bleibenden Eindrücken für Auge oder Ohr ein paar Videoaufzeichnungen, Ausdrucke von Downloads und einzelne Artikel bzw. gesammelte Ausgaben von Zeitschriften. Somit meint man sich einen Querschnitt des Alltagsgeschehens verschafft zu haben, der später der Retrospektive dienlich sein könnte, immerhin sind historische Zeitungsartikel ein wichtiger Bestandteil der Grundlagenforschung.

Beschäftigt man sich allerdings eingehender mit der Semantik und der Bildsprache zum Beispiel von Printmedien und überprüft diese auf ihren Realitätsbezug und effektive Nachhaltigkeit, gelangt man zu interessanten An- und Einsichten. Man geht davon aus, dass es in der Berichterstattung des „unabhängigen Nachrichtenmagazins Österreichs“ (Eigendefinition) um eine breite Fächerung der Themen und um die Bestandsaufnahme und kritische Reflexion der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse gehen soll. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass das Magazin, das einmal als Medium des investigativen Journalismus gegolten hat, politisch auf Regierungslinie ist, dass Luxus ein angesagtes Thema ist und in einer als Extrabeilage getarnten Werbebroschüre präsentiert wird und, dass sich die Rubrik Gesellschaft weniger einem soziologischen Ansatz verpflichtet fühlt, als eher jenem, der die Bedeutung des Begriffs als geselliges Beisammensein bzw. Verbreitung von Klatsch und Tratsch auslegt.

Wenn nun also in zwanzig Jahren eine dann 20-jährige Person dieses Heft („profil“ 48/03, „Jagd auf die Raucher“ ) in einem Archiv finden wird, um einen ersten „unabhängigen“ Eindruck vom jahr 2003 zu erhalten, wird sie sich denken, so schlecht können die Zeiten nicht gewesen sein; Die Regierung und deren vertraute Generaldirektoren und Topmanager saßen offensichtlich fest im Sattel, die Opposition hatte nichts zu melden, da sie im Heft nicht vorkommt und „Geiz war geisteskrank“ und jeder selber schuld, der sich keinen Porsche kaufte. Rauchen war sexy, wie das Cover-Girl suggeriert und à propos geisteskrank: Die junge Frau wird feststellen, dass unter den Gesellschaftsredakteuren Geschmacklosigkeit verbreitet gewesen sein dürfte, wenn unter dem Titel „Top Ten - Stichwort Herbstdepression“ ein unkommentiertes Ranking der Selbstmordraten in Europa gebracht wurde.

Und dann wir sie auch noch feststellen, dass in dieser profilierten Darstellung der österreichischen Gesellschaft Frauen nicht viel zu melden hatten, obwohl sie weiß, dass die meisten Frauen der Müttergeneration gute Ausbildungen abgeschlossen hatten und genauso in qualifizierten Berufen tätig waren wie die gleichaltrigen Männer. Komisch. Die thematisierten Geschichten handeln fast ausschließlich von Männern und von 300 Fotos sind 235 mal Männer abgebildet und nur 65 mal Frauen. Das entspricht einem Prozentsatz von 22% an Darstellungsraum, der Frauen in einem österreichischen Nachrichtenmagazin am Beginn des 21. Jahrhunderts zur Verfügung gestellt wurde. Nachdem das Blatt als seriös galt, ja sogar einmal den Ruf als Organ des investigativen Journalismus innegehabt hatte und eine erklärte Feministin als Redakteurin beschäftigt, wird es wohl so sein, dass es damals einfach nicht genug Frauen gab oder diese eben nicht gut genug waren, um repräsentiert zu werden. Die Bilderauswertung liefert den suggestiven Beweis.

An diesem Beispiel ist ablesbar, wie nach wie vor ein am männlichen Blick orientiertes kulturgeschichtliches Bild konstruiert wird, indem das was Frauen tun oder sagen als weniger darstellungswürdig erachtet wird – selbst wenn sie dasselbe tun wie ihre männlichen Kollegen. Bildung und berufliche Qualifikation garantieren Frauen noch lange nicht das Recht auf Abbildung in öffentlichkeitswirksamen Medien.

Dieses Phänomen der einseitig gelagerten Geschichtsschreibung versucht nun eine Ausstellung zu thematisieren, indem Museumsgut, das ja gemeinhin als unser kulturelles Erbe angesehen wird, auf seine gesamtgesellschaftliche Relevanz hin untersucht wird. Im Auftrag des Wiener Frauenbüros versuchen Elke Krasny, Kulturtheoretikerin und Ausstellungskuratorin, und Nike Glaser-Wieninger, medienkonzeptionistin mit Schwerpunkt Medienstrategien für Ausstellungen, mit dem Projekt „muSIEum – displaying: gender“ vorhandene Exponate aus einem neuen Blickwinkel heraus zu betrachten und einen anderen begleitenden „Kon-Text“ zu liefern. Sie haben in vier Wiener kulturhistorisch orientierten Institutionen nach Artefakten und Bildern geforscht, die eine neue Lesart zuließen und über welche Zusatzinformationen möglich oder notwendig waren. Das Wien Museum, das Jüdische Museum der Stadt Wien, das Technische Museum und das Österreichische Museum für Volkskunde dienten als Betätigungsfelder um zu ausgewählten Objekten Geschichten zu erzählen, die dem männlichen Blick verborgen geblieben sind. Der Spiegel der Kultur, als den sich Museen in ihrer Programmatik verstehen, sollte soweit geneigt werden, dass er auch die bislang toten Winkel der Kulturhistorie erfasst und eine Reflexion aus weiblicher Sicht möglich macht.

Bei einem Ölgemälde von Angelika Kauffmann beispielsweise, das im Wien Museum hängt und „Josef Johann Graf Fries“ (1787) zeigt, wird der Abgebildete im Begleittext als kunstsinniger Adeliger beschrieben, über die Künstlerin selbst erfahren interessierte Museumsbesucher und -besucherinnen nichts. Da es durchaus üblich ist, Informationen über den Werdegang der Künstler zu liefern, ist es in diesem Fall speziell wichtig die Bedeutung einer der ganz wenigen Künstlerinnen im 18. Jahrhundert zu würdigen. Krasny und Glaser-Wieninger holen dies unter dem Titel „Die Kosmopolitin“ nach und man erfährt unter anderem, dass Angelika Kauffmann (1741-1807) im Jahre1768 Gründungsmitglied der Royal Academy in London war.

Venus ist als die Göttin der Schönheit wahrscheinlich einem Großteil der Museumsbesucher ein Begriff, trotzdem mutet es eigenartig an, wenn sich am Sockel einer Venus-Plastik von 1839 lediglich die Inschrift „Kunsteisenguss“ findet. Zugegeben, diese Venus steht – gleich neben Apoll – im Technischen Museum, Bereich Schwerindustrie, dient lediglich als Demonstrationsobjekt des benannten Herstellungsverfahrens und man hätte genausogut eine Straßenlaterne hinstellen können. Genau das ist aber die spannende Frage, nämlich warum Venus und nicht Laterne, wo es doch vordergründig nur um nüchterne Materialität geht? Aus der Beschreibung im muSIEum lernen wir, dass es dafür – abgesehen von der ansprechenderen Figuralität – eine metaphorische Begründung gibt: die römische Venus war angelehnt an die Gestalt der griechischen Göttin Aphrodite, die wiederum die Frau des Hephaistos war, des Gottes des Feuers, der Schmiede und der Handwerker. Diese kleine Geschichte ist wohl um einiges lehrreicher als der Anblick von nacktem Metall.

Ähnlich interessant sind die Objekte, die der Veranschaulichung der Kunststoffgruppe Polyvinylchlorid dienen: Nachdem wir dem Lexikon entnehmen, dass dieses Material zur Herstellung von Folien, Rohren, Schläuchen, Kabelmassen, Kunstleder oder Bodenbelägen verwendet wird, können wir uns im Technischen Museum hingegen an etwas Ansehnlicherem, nämlich an 14 Barbiepuppen, ergötzen, die schnöde mit „PVC“ betitelt sind. Man sieht also die außergewöhnliche Puppe – der begriff darf ruhig zweideutig verstanden werden -, die nur aufrecht stehen kann, wenn sie sich auf ihre Stöckelschuhe oder auf Kens starke Schulter stützt, weiß nun, dass sie aus PVC (übrigens unter Zusatz großer Mengen an Weichmachern) gefertigt ist – die Geschichte dieses Kult- und Hassobjekts amerikanischer Nachkriegskultur erschließt sich allerdings erst im „muSIEum“.
Das Spezielle am „muSIEum“ ist, dass es via internet begehbar ist, das Ticket www.muSIEum.at verschafft einem direkt am Computer Eintritt, das Displaying erfolgt am Bildschirm. Es ist ein ganz neuer medialer Zugang zur Institution Museum, wenn real existierende Objekte in den virtuellen Raum geholt, visualisiert und neu kontextualisiert werden. Grafisch um eine mittiges Auge gruppiert, sind dreizehn Stichworte als Übersicht angelegt. Per Mausklick eröffnet sich jeweils ein wiederum kreisförmiger Themenraum, der bequem durchwandert werden kann, da das Verweilen vor den Kunstwerken und das Lesen der Bildtexte entspannt am Sessel sitzend erfolgt. Da der Weg durch die Ausstellung keinem linearen Wegenetz folgen muss, kann einem individuellen Assoziationsmuster entsprechend wie in einem Katalog zwischen den Objekten hin und her geblättert werden, weiterführende Texte wie über die Mechanismen der Verfügungsmacht über museale Repräsentation oder Audiofiles bieten theoretische Sekundärinformation. Gleichzeitig bedeutet das Durchschreiten von „Wissensräumen“ (Krasny) im Internet keine Konkurrenz für die Museen, da es eher die Neugier anregt, die realen Räume aufzusuchen, die Objekte in natura zu betrachten und die Begleittexte zu vergleichen.

Es geht den Kuratorinnen bei ihrem konzeptionellen Ansatz nicht um die Darstellung einer „besseren“ Frauenwelt, um ein Ausspielen von „boys toys“ gegen „girls pearls“, sondern um eine dem „gender mainstreaming“ entsprechende differenzierte Zusatzinformationen anhand ein und desselben Objektes, um ein in Summe runderes Geschichtsbild zu liefern. Nachdem der Kulturbegriff im Bewusstsein der Bevölkerung in Wandlung begriffen ist und die Grenzen zwischen Hoch-, Pop- und Eventkultur längst verwischt sind, wird es spannend sein zu beobachten, ob nicht auch männliches Kulturgut sich zusehends unbemerkt mit weiblichem vermischt und inwiefern sich dieses Phänomen auf die Sammlungspolitik der Museen auswirkt.
Im Wissen, dass Zeitgeschichte von der Alltagskultur geprägt wird, ist die Repräsentation von breit gefächerten gesellschaftlichen Gegebenheiten von wissenschaftlichen Erkenntnissen von Sammlungskuratorinnen und Museumsdirektoren eher zu erwarten als von Chefredakteuren zeitgeistiger Magazine. Projekte wie das „muSIEum“ – über das Massenmedium Internet verbreitet und somit über einen langen zeitraum für alle Interessierten abrufbar – sind jedenfalls wichtige Beiträge eine Sensibilisierung für diese Themen herbeizuführen.

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