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Traurige Städte
Neue Zürcher Zeitung

«Spectacular City» - eine Fotoausstellung über zeitgenössische Metropolen in Düsseldorf

Dank Hochglanzbildern findet ein immer breiteres Publikum Zugang zur heutigen Architektur. Nun wird auch das fotografische Potenzial der Städte ausgelotet, wie eine Ausstellung in Düsseldorf zeigt.

6. März 2007 - Roman Hollenstein
Sie nennt sich «Spectacular City», die grosse Fotoausstellung über die Stadt von heute, welche derzeit im NRW-Forum in Düsseldorf zu Gast ist. Doch nur auf wenige Bilder trifft das im Zusammenhang mit Architektur so gern benutzte Modewort «spektakulär» zu. Gleichwohl ist der Auftakt zur zweigeteilten Schau imposant. Am einen Eingang zelebriert der Düsseldorfer Superstar Andreas Gursky grossstädtische Fassaden: von Oscar Niemeyers Copan-Hochhaus, bei dem er Strassen- und Hofansicht zu einem bunten, geometrischen Kontinuum verschweisst, oder von Norman Fosters Bankenturm in Hongkong, dessen beleuchtete Etagen zum abstrakten Theater einer seelenlos modernen Welt werden, die irgendwie an Jacques Tati zu erinnern scheint.

Düstere Zukunft

Doch geht es Gursky weniger um eine Kritik an der Stadt als vielmehr um kühl manipulierte Bestandesaufnahmen. Ganz anders Balthasar Burkhards Grossformate am entgegengesetzten Ausstellungseingang. Die braunweissen Flugaufnahmen dokumentieren am Beispiel von Paris die Unermesslichkeit eines Stadtkörpers, der nach eigenen Gesetzen gewachsen und gewuchert ist. Dem Berner nahe steht Naoya Hatakeyama. Dieser versucht mit Luftaufnahmen, welche die stets gleichen Blickwinkel von Tokio - bald im Schnee, im Smog, im Abendlicht oder im nächtlichen Flackern - zeigen, die wechselnde Atmosphäre einzufangen. Die Debatte über den Zustand der ins Gigantische wachsenden oder aber dramatisch schrumpfenden Städte, die spätestens seit der letzten Architekturbiennale von Venedig virulent ist, wird also vermehrt auch mit den Mitteln der Fotografie geführt. Dabei interessieren sich die 29 hier eingeladenen Künstler, unter denen man die Stimmen von Gabriele Basilico, Günter Förg, Walter Niedermayr oder Hiroshi Sugimoto vermisst, vor allem für den Verfall, das Bizarre oder Hässliche von Bauwerken und urbanen Szenerien. Ob diese traurigen, meist menschenleeren Städte unsere Zukunft spiegeln, wie der Untertitel der Schau - «Photographing the Future» - zu suggerieren sucht, ist wohl mehr als fraglich.

Die meisten Fotos widerlegen zudem die Behauptung von Rem Koolhaas, Architekturbilder seien «zum wahren Sexobjekt, zum Objekt unseres Begehrens geworden». So frönt Oliver Boberg einem metropolitanen Ruinenkult, Aglaia Konrad spürt brüchige Wohnburgen auf, und Heidi Specker versucht, die schäbige Aura von Beton und blindem Glas einzufrieren. Sze Tsung Leong dokumentiert die chinesische Begeisterung für stramm ausgerichtete Schlafstädte, Thomas Struth deckt die architektonischen Widersprüche von Lima auf, und der Holländer Frank van der Salm verfremdet Bauten und ganze Stadtlandschaften zu kitschig-süssen oder ausdrucksstarken Farbräumen. Mit einer der Ikonen dieser Schau wartet der junge Belgier Geert Goiris auf: dem abgetakelten Transportministerium in Tiflis, das von einer längst vergangenen Experimentierlust im ehemaligen Sowjetstaat zeugt. Das andere Bild, vor dem viele Besucher stehenbleiben, stammt vom 33-jährigen Londoner Dan Holdsworth und zeigt ein turmförmiges Lichtobjekt, das geradezu ausserirdische Züge annimmt. Nicht weniger surreal wirkt die mosaikartige Bildtapete des Davosers Jules Spinatsch, die das Weltwirtschaftsforum irgendwo zwischen Überwachungsstaat und Märchenwald inszeniert.

Einen Hauch von Poesie verströmen hingegen Thomas Ruffs verschwommen flaschengrüne Infrarotaufnahmen von Hinterhöfen, Parkplätzen oder Hafenarealen. Ruff betont denn auch, ihn interessiere nicht länger die Architektur als real existierende Entität, sondern nur das Bild, das von ihr gemacht werde. Damit nähert er sich der Sichtweise von Jacques Herzog, welcher der Meinung ist, die Realität von Architektur sei nicht gebaute Architektur. Herzog & de Meuron zählten denn auch zu jenen Architekten, die sich schon früh von der Fotografie als dem klassischen Propagandamedium der Architektur abwandten und das Potenzial einer rein künstlerischen Interpretation ihrer Bauten erkannten. So liessen sie 1991 auf der Architekturbiennale in Venedig ihre Bauten im Schweizer Pavillon von den vier Fotokünstlern Burkhard, Ruff, Margherita Spiluttini und Hannah Villiger ganz subjektiv ausloten, was damals von vielen nicht verstanden wurde.

Fiktion und Realität

Seither hat die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Gebauten weiter an Bedeutung gewonnen, wie eine Vielzahl von Ausstellungen mit Architektur- und Städtebildern in aller Welt zeigte. Von diesen könnte man die «Arquitectura sin sombra»-Schau, die vor sechs Jahren im Centre de Cultura Contemporània in Barcelona zu sehen war, als das intime, ganz auf den Einzelbau ausgerichtete Gegenstück zur Düsseldorfer Präsentation bezeichnen, die Aaron Betsky vom Nederlands Architectuur Instituut ursprünglich für sein Rotterdamer Haus konzipierte. Erstaunlich nur, dass er auf die Bilder von Fischli/Weiss verzichtete. Ihr schalkhafter Blick auf das Biedere und Unspektakuläre der Grossstadtlandschaft dürfte mindestens ebenso der Wirklichkeit entsprechen wie das nicht mehr nur von Endzeit- Gurus beschworene Drohende und Unbehauste. Der anregenden, aber etwas allzu heterogenen und damit unverbindlichen Schau versucht der schön gemachte Katalog kunsthistorischen und philosophischen Tiefgang zu verleihen. Doch beweist das intellektuelle Bilderbuch letztlich vor allem eines: dass die meisten ausgestellten Fotos nur im Original ganz zu ihrem Recht kommen.

[ Bis 6. Mai. Katalog: Spectacular City. Photographing the Future. NAI Publishers, Rotterdam 2006. 180 S., Euro 47.50. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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