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Penelope webt weiter
Der Standard

Als Kalifornier weiß der Architekt Eric Owen Moss, mit welchem Schmäh man das Publikum nehmen muss - hier wie dort.

23. Juni 2007 - Ute Woltron
Eric Owen Moss ist ein zaundürrer Bursche Mitte der 60, ein schlauer Fuchs und schwer zu greifen. Diese Woche war er in Wien zu Gast, unter anderem, um im Museum für angewandte Kunst (MAK) einen Vortrag mit dem schön verwirrend geschlungenen Titel „Too much is not enough“ zu halten. Wären wir, was wir selbstverständlich nicht sind, nämlich bösartige Lästermäuler, könnten wir diese These direkt auf Moss' Architektur anwenden: Viel zu viel, aber ist das wirklich genug? So einfach kann man es sich freilich nicht machen, also los:

Unter den Gebäuden der Architekturströmung, die man gemeinhin Dekonstruktivismus nennt, sind die Konstrukte des 1943 in Los Angeles geborenen Architekten sicherlich die krausesten. Also ehrlich: Manche seiner Werke sind wirklich absurd, das muss man sagen dürfen. Stahlteile biegen sich zu wirren Knäueln. Glasflächen schmelzen in kunstvollen Schichtungen quer über- und durcheinander. Duchdringungen, Auskragungen, Faltungen, wohin man blickt. Das Neue kombiniert er oft mit alter Bausubstanz, mit Industrie- und Gewerbearchitekturen aus Epochen, als das Sheddach noch Avantgarde war und Fensteröffnungen so etwas wie einen Rhythmus aufwiesen.

Moss bemächtigt sich dieser alten Gemäuer auf eine völlig unbefangene Weise. Er spaltet sie, zum Beispiel im Falle des „Queens Museum of Art“ in New York (2001), und lässt durch den gewonnenen Freiraum eine Art Lavastrom aus gekrümmtem Glas rinnen. Er bemächtigt sich ihrer, indem er etwas, das man als architektonischen Hausschwamm oder Spaltpilz bezeichnen könnte, und das ebenfalls großteils aus Stahl und Glas konstruiert ist, aus der Fassadenkante hervorwuchern lässt, wie im Falle eines seiner bekanntesten Projekte, des „Umbrella“ in Culver City (1996).

Angesichts dieser aberwitzig komplizierten Konstruktionen dürften die Mitarbeiter der ausführenden Unternehmen regelmäßig in den kreativen Halbwahnsinn getrieben werden, doch darauf angesprochen gackert Moss nur kurz und erfreut auf, um sofort wieder in die professionelle Show-Man-Rolle zu schlüpfen, die zeitgenössische Architekturprimadonnen heutzutage einmal besser, einmal schlechter beherrschen. Er als Amerikaner zählt diesbezüglich zu den Besseren, und er ist noch dazu Kalifornier, wo die Show ein überlebensnotwendiges Mittel zum Zweck ist.

Klar! Diese Konstruktionen seien zweifelsfrei nicht ohne, doch immer wieder könne bewiesen werden, dass so gut wie alles in der Architektur möglich sei - und das ist, zum Beispiel, einer der Erklärungsansätze seiner Arbeiten.

Die experimentelle Architektur, so der smarte Los Angelino, habe sich in den vergangenen Jahrzehnten im Pakt mit einer gleichermaßen experimentierfreudigen Industrie anzufreunden begonnen. Noch vor zwanzig Jahren, da stand man gemeinsam mit ein paar anderen, die die Architektur ebenfalls weiterentwickeln und zu einer neuen Formensprache bringen wollten, noch ziemlich aufgeschmissen da, was Bauherren, Investoren und ausführende Unternehmen anlangte. Mittlerweile, so Moss, sei es überhaupt nicht mehr schwierig, weltweit Auftraggeber zu finden, die in das Experiment, in das Außergewöhnliche investieren wollten.

Warum? Weil Architektur Orte markieren und unverwechselbar machen kann. Im flachen Einheitshausgebräu von Los Angeles zum Beispiel ist diese Tatsache für Investoren Anreiz genug. Moss' wichtigster Bauherr ist Frederick Semitaur Smith, der vor langer Zeit ein groß angelegtes Investment in Culver City mitten in L.A. in Angriff nahm: Er wollte ein heruntergekommenes Viertel, das allerdings strategisch perfekt in der Stadt lag, neu entwickeln. Das Mittel zum Zweck war Architektur, und zwar jene der Aufsehen erregenden Art. Er griff sich mit Eric Owen Moss den perfekten Partner.

Mittlerweile plant - oder designt er Projekte weltweit: etwa für Almaty, Kasachstan, einen multifunktionalen 126.000-Quadratmeter-Komplex, für Guangzhou in China ein Museum, das er als „Berg mit vier Spitzen“ charakterisiert, für St. Petersburg eine Erweiterung des Mariinskij-Theaters.

Auf die Frage, ob sich manch Dekonstruktivistenkollege durch die ewige Wiederholung desselben Themas nicht langsam in Fadesse auflöse, meint er, man müsse das schon auch verstehen: „Man arbeitet an diesen Lösungen, braucht Jahre, um sie zu finden, dann wird es immer einfacher und logischer, und dann verwendet man diese Formen eben weiter.“

Genau das will er allerdings in seinem OEuvre explizit vermeiden. Und um mit seinen Ansatz mit dem europäischen, diesenfalls mit dem Wiener Publikum in Austausch zu treten, befleißigt er sich der in dieser Weltgegend - zumindest noch teilweise - hochgehaltenen Kultur humanistischen Gedankenguts und spinnt die „Theorie der Penelope“, umgemünzt auf Architektur, weiter: Die hatte in Erwartung ihres Gemahls Odysseus bekanntlich zu einem Trick gegriffen, um sich die Freier vom Hals zu halten. Sie hatte begonnen einen Teppich zu weben. Sobald der fertig sei, so ihr Versprechen, würde sie einen der potenziellen, aber unerwünschten Freier zum Mann nehmen. Was sie untertags webte, trennte sie in der Nacht wieder auf. Man müsse, so Moss, die Architektur ähnlich begreifen und stets von vorn beginnen.

In einer Stadt wie Los Angeles, die sich an allen ihren vielen und ausgedehnten Ecken und Enden neu definiert, neu strukturiert und völlig neu aufsetzt, funktioniert das recht gut. Doch selbst ein Experimentierwüterich wie Moss würde das gleiche Prinzip auf eine Stadt wie beispielsweise Wien nie anwenden. Wien, so sagt er, sei stabil, habe sich gefunden, habe eine klare Identität. Natürlich könnten auch hier experimentellere Gebäude dem einen oder anderen Stadtteil gut tun, doch in Maßen bitte. Begrüßenswert sei jedoch der internationale Austausch, den man hier seit geraumer Zeit pflege - zum Beispiel im MAK oder in der Architekturabteilung der Universität für angewandte Kunst. Dort gebe es mit MAK-Chef Peter Noever und Architektur-Häuptling Wolf D. Prix jene Penelopen, die dazu beitrügen, Wien ein wenig lebendiger zu machen.

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