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Individueller Wohnen
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung «My Home» im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein

Mit der Geschichte des Wohn- und Büroalltags befasst sich das Vitra-Design- Museum seit Jahren. Nun zeigt es stark künstlerisch geprägte Rauminstallationen von jungen Designern und Architekten.

25. Juni 2007 - Roman Hollenstein
Früher liessen die Designer in Sachen Wohnen der Phantasie noch freien Lauf. Alles war möglich: chromglänzende Räume in schwebenden Eier-Häusern, Mini-Apartments mit Betten und Bädern, die man per Knopfdruck verschwinden lassen konnte, zur Orgie einladende Liegezonen aus langflorigem Spannteppich oder Plastic-Ohrensessel, in denen man vom Hausroboter mit Champagner bedient wurde. An solche Utopien haben wir uns längst gewöhnt. Sie erscheinen uns daher kaum bizarrer als die Träume unserer Vorfahren von nostalgischen Schäferwelten à la Marie Antoinette oder archäologisch akkuraten pompejanischen Interieurs.

Mindestens so bequem wie diese finden wir mittlerweile die von der Moderne propagierte funktionale Wohnung in ihrer klaren Leichtigkeit, die mit dem Pomp der Gründerzeit Schluss machte. Selbst Wohnvorstellungen der Nachkriegsjahre, die mehr mit Science-Fiction als mit der alltäglichen Realität zu tun hatten, vermögen uns nicht mehr zu schockieren. So reagieren wir höchstens noch mit einem Lächeln auf die schwülen Kunststofflandschaften, mit denen Verner Panton ein klaustrophobes Leben wie im Mutterschoss beschwor, oder auf die engen Wohnmaschinen, aus denen Kisho Kurokawa jede Gemütlichkeit verbannte.

Lebensraum als Installation

Dieser Entzauberung des häuslichen Daseins durch Architekten und Designer widmete das Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein jüngst eine grosse Übersichtsschau. Nun findet am selben Ort mit «My Home» eine Weiterführung des Themas in die unmittelbare Zukunft statt. Die Ausstellung präsentiert Wohnvisionen jüngerer Gestalter und knüpft damit bei früheren experimentell gefärbten Vitra-Veranstaltungen wie «Living in Motion» an. Wer nun aber von den sieben eingeladenen Architekten und Designern exzentrische Entwürfe erwartet, sieht sich getäuscht. Den kreativen Köpfen fehlt es zwar nicht an Ideen. Doch wer glaubt heute noch an echte Innovationen im Wohnbereich? Statt der von Kurator Jochen Eisenbrand gewünschten Vorschläge zu Themen wie Gastlichkeit, Gemeinsamkeit, Unterhaltung und Entspannung schufen die Geladenen - ausgehend von ihren langjährigen Recherchen - räumliche Installationen, in denen der Kunstanspruch weit über der Alltagstauglichkeit steht. Damit spiegeln die Exponate letztlich eine Entwicklung, die immer mehr in Richtung einer Individualisierung des Wohnens weist.

Einer von glitzernd kalter Technik dominierten Welt abschwörend, hängten die Brasilianer Fernando und Humberto Campana vor den Eingang von Frank Gehrys ondulierendem Musentempel einen Vorhang aus Stroh. Dieser entpuppt sich beim Betreten als übergrosse Hütte, deren einzige Einrichtung aus einem groben Holzboden und fühlerartigen Halogenlampen besteht. Den Dialog mit Gehry führt dann der Berliner Architekt Jürgen Mayer H. auf einer abstrakteren Ebene fort, indem er die von ihm umgestaltete Bar zu einer geometrisch-harten, roten Lounge weitet, deren kantige Sitzebenen mit Farbwechsel auf Temperaturänderungen reagieren.

Blitze zucken von hier hinüber in die wogende Wohnlandschaft des Kaliforniers Greg Lynn, der seine aus einem digitalen Entwurfsprozess hervorgegangenen «Ravioli-Sessel» unter quallenförmige Lampenschirme stellt. Dieser Retro- Salon, der - nicht ohne Ironie - viel über Lynns gestalterisches Denken aussagt, ist ebenso der Popkultur der siebziger Jahre verpflichtet wie die blasenförmigen Plexiglas-Vitrinen mit ihren bunten Robotern und Dinosauriern. Durch einen Korallen-Tunnel gelangt man dann hinauf in Jerszy Seymours Raum, über dem auch der Geist der siebziger Jahre schwebt - jener der alternativen Szene allerdings. Denn statt wie Lynn, der sogar Möbel am 3D-Drucker «printen» möchte, auf Computertechnologie zu setzen, glaubt Seymour an ein «primitives» Produktionsverfahren. Seine Möbel fertigt er aus einem auf Kartoffelbasis hergestellten Biokunststoff an, den er über Gussformen aus Sand oder Lehm fliessen lässt. Auf diese Weise entstehen tropfenartige Stühle, Tische und Betten in Gelb und Rosa. Zusammen mit den als Zimmerpflanzen gehaltenen Kartoffelstauden bilden sie ein geschlossenes System, in dem mit grünem Engagement die Energiebilanz möglichst niedrig gehalten wird.

Eine Gegenwelt zu Seymours Öko-Wohnchaos bietet der klinisch grelle Raum des Holländers Jurgen Bey. Mit weissen Stoffbahnen, auf die bald Architekturzeichnungen, bald Kleiderhaken gedruckt sind, definiert er ein perfekt in die verwinkelten Strukturen des Gehry-Baus integriertes Home-Office - möbliert mit einem Schreibtisch und einem als Refugium und Ausguck dienenden Hochstand. Während Bey den Weitblick in der Enge sucht, inszenieren die Franzosen Erwan und Ronan Bouroullec die Wohnung als Landschaft für den modernen Grossstadtnomaden. Ihm stellen sie modulartige Stoffelemente zur Verfügung, mit denen er seinen eigenen zeltartigen Schutzraum errichten kann. Aus diesem Himmelbett des 21. Jahrhunderts schlüpft er dann nur noch, um auf dem leichten Bouroullec- Sessel ein Buch zu lesen oder die Kaffeetasse auf das Beistelltischchen zu stellen.

Möbel als Kunstobjekte

Wollen uns diese harmlosen Erlebniswelten weismachen, dass sich das Wohnen immer mehr der Kunst annähert? Oder wollen sie uns vielmehr lehren, dass man sich nicht länger um Wohndiktate kümmern und wenigstens zu Hause nach seiner Fasson selig werden soll - sei dies mit Topfpflanzen, Plastic-Nippes, intelligenten Möbeln oder einem Zelt im Haus? Eines machen die Wohnszenarien jedoch deutlich: dass Möbel immer mehr zur Dekoration werden. Es erstaunt daher kaum, dass Hella Jongerius in der zentralen Halle die Sessel der Vitra-Sammlung nicht zu einem Wohnraum arrangiert, sondern in einem überdimensionierten Setzkasten zu einem Farbmuster verwebt. Dass es aber über den Stuhl, das klassische Designobjekt schlechthin, noch immer viel zu sagen gibt, zeigt die Parallelveranstaltung im Buckminster-Fuller-Dome. Dort präsentieren die sieben «My Home»-Designer zusammen mit Grössen wie Ron Arad, Frank Gehry, Konstantin Grcic oder Zaha Hadid ihre neusten Möbelkreationen in einer von Rolf Fehlbaum initiierten Luxus-Edition. Der Vitra-Chef vermutet zwar, dass die puritanischen Väter der Moderne, denen es einst um schöne, nützliche und erschwingliche Serienprodukte für breite Bevölkerungskreise ging, die in Auflagen von gut acht Exemplaren und zu Durchschnittspreisen um 100 000 Franken angebotenen Designkunstwerke kritisch betrachten würden. Doch nicht zuletzt dank solchen Sammelstücken lässt sich heute private Design- Forschung überhaupt noch finanzieren.

[ Die Vitra-Edition ist bis 22. Juli im Buckminster-Fuller-Dome zu sehen, die Ausstellung «My Home» im Vitra-Design-Museum dauert bis 16. September. Ein Begleitheft ist in Vorbereitung. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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