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Architektonische Attraktionen
Neue Zürcher Zeitung

Neue Entwicklungen in der spanischen Museumslandschaft

Seit fünfzehn Jahren erlebt die spanische Museumsarchitektur eine erstaunliche Blüte. Dabei ist in vielen Fällen das Aussehen der neuen Musentempel wichtiger als ihr künstlerischer Inhalt.

4. Juli 2007 - Klaus Englert
Der Schriftsteller Julio Llamazares kritisierte kürzlich, dass sich das kastilische León, eine Stadt mit 135 000 Einwohnern, eines der grössten Museen für Gegenwartskunst in Spanien leiste: das soeben mit dem Europäischen Mies-van-der- Rohe-Preis ausgezeichnete Museo de Arte Contemporáneo (Musac) der Madrider Architekten Luis Mansilla und Emilio Tuñon. Gleichzeitig aber vernachlässige León sein historisches Erbe. Das sei, schrieb Llamazares, für spanische Verhältnisse normal. «Mittlerweile gibt es Orte, die weder über Krankenhäuser noch über wichtige Infrastrukturen verfügen, jedoch über ein Museum der Gegenwartskunst. Wie einst die Kathedralen sind diese Museen heute zu wichtigen Aushängeschildern der Städte geworden.»

Warmer Geldregen

In León, das nicht länger nur auf Kirchen und Adelspaläste setzen möchte, ist seit einigen Jahren Modernisierung angesagt. Zunächst bauten Mansilla und Tuñon eine Konzerthalle, dann Dominique Perrault einen Kongresspalast. Nun erregt das durch bunte Fassaden bestimmte Musac Aufsehen. So mancher Kurator dürfte neidisch auf das neue Haus mit seinen 3400 Quadratmeter Ausstellungsfläche blicken. Laut dem Musac-Kurator Agustín Pérez Rubio möchte man nun «die Bürger für das erste Museum des 21. Jahrhunderts begeistern und damit für die Kunst einer Pipilotti Rist und einer Candida Höfer, eines Thomas Hirschhorn und eines Andreas Gursky».

Von der spendierfreudigen Regionalregierung Castilla-León erhält das Musac jährlich 5 Millionen Euro, aber auch die neuen Museen für Gegenwartskunst in Salamanca und Valladolid werden grosszügig unterstützt. Ohne gefüllte Staatskassen wäre die Freizügigkeit der autonomen Regionen nicht denkbar. Tatsächlich konnte Kulturministerin Carmen Calvo für das laufende Jahr einen Anstieg des Museumsetats um 38 Prozent versprechen. Diese wachsenden Mittel stammen nicht zuletzt aus den hohen Subventionen, die Spanien aus EU-Fonds bezieht. Von diesen profitiert auch das Macba in Barcelona, Richard Meiers blütenweisses Museum für Gegenwartskunst. Bei einem Etat von 10,3 Millionen Euro und wachsenden Besucherzahlen kann sich Macba-Direktor Manuel Borja-Villel wie Krösus unter den spanischen Museumsdirektoren fühlen. Borja-Villel weiss seinen Handlungsspielraum zwar zu schätzen, beklagt aber gleichzeitig, dass die Gelder vornehmlich Museen in den Metropolen und Nordspanien zugutekommen: «In Andalusien gibt es eine lebendige Szene mit vielen Künstlergruppen, aber es fehlen dort die nötigen Kunsthallen.»

In Andalusien gibt es nur eine Ausnahme: Málaga. Die Stadt leistet sich immerhin vier Häuser für moderne Kunst - darunter das in einer rationalistischen Markthalle von 1942 untergebrachte Centro de Arte Contemporáneo (CAC) und das aus verschiedenen Bauten zusammengesetzte und vom amerikanischen Architekten Richard Gluckman vorbildlich umgebaute Picasso-Museum im prachtvollen Altstadtkern. Musac-Kurator Pérez Rubio schätzt zwar das neue Picasso-Museum, kritisiert aber, dass Picassos Geburtsort Málaga auf Kosten anderer Städte privilegiert wird: «Allein mit dem Geld für die Eröffnungsfeierlichkeiten - mit Königspaar, Presse und Gästen aus aller Welt - hätte man neue Kunstzentren in Huelva und Almería aufbauen können. Doch die Region ging leer aus.»

Glitzernde Hülle

Das Musac in León, das Picasso-Museum in Málaga und viele andere spanische Kunstzentren sind Ausdruck jenes Booms, der seit den neunziger Jahren zu Museumsneugründungen führte, sei es in der Hauptstadt oder in einem Dörfchen wie Malpartida de Cáceres in der tiefen Extremadura. Dabei hoffen alle auf den «Bilbao-Effekt». Selbst Kritiker müssen zugestehen, dass das Musac die kulturelle Attraktivität Leóns ebenso nachhaltig verändert hat wie Frank Gehrys Guggenheim- Museum jene der einst grauen Industriestadt am Nervión, die zu einer bei Kulturtouristen beliebten Destination geworden ist.

Mit Blick auf Bilbao kritisiert Macba-Direktor Borja-Villel: «Schnell einigt man sich auf einen internationalen Stararchitekten, der eine glitzernde Museumshülle errichtet. Doch allzu oft weiss später keiner, wie das neue Programm aussehen soll. Oder es kommt vor, dass Geld für eine Sammlung fehlt.» So geschehen in Valencia, wo vor einigen Jahren Guillermo Vázquez Consuegra das «Museum für Aufklärung und Moderne» (Muvim) errichtete. Erst spät besannen sich die Stadtpolitiker darauf, dass Valencia keine erwähnenswerten Dokumente der Aufklärung und der Moderne besitzt. Eine Lösung ist bis heute nicht gefunden, und so bleibt dem Besucher nichts anderes übrig, als das «edificio-paisaje» genannte Museumsgebäude und dessen Einbettung in den archäologischen Garten zu bewundern.

Aufsehenerregende Neubauten

Ähnliches passiert derzeit auf Teneriffa, wo man ebenfalls auf den Bilbao-Effekt setzt. Deshalb beauftragte man die Pritzker-Preis-Träger Herzog und de Meuron mit dem Bau des Instituto Oscar Domínguez, dessen Grundfläche allein schon 20 000 Quadratmeter misst, am Rand der Altstadt von Santa Cruz de Tenerife. Es fragt sich nur, ob der Anspruch eines «Museums von weltweiter Ausstrahlung» mit dem interessanten, aber nicht aufsehenerregenden Werk des kanarischen Surrealisten Oscar Domínguez eingelöst werden kann - oder ob allein der Name der Architekten und deren Bau die Besucher anlocken sollen.

Eine Provinzposse besonderer Art leistete man sich im galizischen La Coruña, wo die jungen Architekten Victoria Acebo und Angel Alonso den gläsernen Kubus des Centro de Arte realisierten, der die Programmbereiche Tanzschule und Museum miteinander vernetzt. Die raffinierte Konstruktion, die sogar in der Spanien- Schau des New Yorker Museum of Modern Art gezeigt wurde, behandelt jeden Bereich wie einen selbständigen Baukörper mit eigener Erschliessung, ohne dass dieses Prinzip von aussen sichtbar wäre. Ungeachtet des originellen Entwurfs ruhen seit etlicher Zeit die Bauarbeiten, da der mittlerweile regierende PSOE von den anfänglichen Plänen abrückte und nun ein Wissenschaftsmuseum einrichten will, obwohl sich La Coruña bereits mehrere vergleichbare Einrichtungen leistet.

Derlei Planungsunsicherheiten sind auch Rafael Moneo bestens vertraut. Erst nach über 13 Jahren Entwurfs- und Bauzeit konnte er in diesem Frühjahr den Annex des Museo Nacional del Prado vollenden. Derzeit ist das Gebäude zur «Vorbesichtigung» offen, denn eingeweiht wird es erst zu einem späteren Zeitpunkt. Zu einem weiteren Highlight am Paseo del Arte soll die Ausstellungshalle Caixa Forum werden, die derzeit Herzog und de Meuron unweit des Prados errichten. Mit ihren schiefen Dachbahnen und der gusseisernen Aussenhaut wird sie sich wie ein drohendes Gebirgsmassiv über dem Paseo und dem angrenzenden Stadtteil erheben. Sie ist ein merkwürdiger Hybride, der über die Umfriedungsmauern des Elektrizitätswerks Central eléctrica del mediodía von 1899 hinauswächst, eine kuriose Mischung aus konventioneller Ziegel- und expressiver Monumentalarchitektur. Da Herzog und de Meuron das Bauwerk aufständerten, gewannen sie ebenerdig einen öffentlichen Platz, der sich am Boulevard zu einer grösseren Freifläche mit dekorativ begrüntem Mauerwerk ausweitet.

Das Caixa Forum wird von der mächtigen katalanischen Sparkassenstiftung «la Caixa» getragen und steht für eine vielfältige spanische Kulturlandschaft, die in grossen Teilen erst durch private Stiftungen ermöglicht wird. Vor kurzem eroberte auch die Caixa Galicia mit einer vom britischen Architekten Nicholas Grimshaw inmitten des Altstadtgewebes von La Coruña errichteten, wellenförmig verglasten Kunsthalle kulturelles Terrain. Und in Huesca hat Rafael Moneo für die Fundación Beulas einen massiv wirkenden Baukörper realisiert. Dabei erinnert dieser zugleich modern und archaisch wirkende Bau an die ausgewaschenen Felsformationen der nahen Pyrenäen. - So verschieden die spanischen Museen auch sein mögen, lassen sie doch Politiker von neuen städtischen Attraktionen, Kuratoren von herausragenden Sammlungen und Architekten von spektakulären Museumsbauten träumen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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