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Kulturstädte und unberührte Landschaften
Neue Zürcher Zeitung

Eine reich illustrierte Publikation über das Unesco-Welterbe

5. Juli 2007 - Roman Hollenstein
Vor 35 Jahren wurde die Unesco-Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt in Stockholm verabschiedet. Seither ist das Interesse an den vom Welterbekomitee auf die Liste der Kultur- und Naturdenkmäler aufgenommenen Stätten stetig gewachsen. Einerseits weil sich die ausgezeichneten Orte touristisch in Szene setzen, anderseits weil die Liste der bedrohten Denkmäler immer wieder für rote Köpfe sorgt. Etwa in Dresden, wo sich der Streit um die Verunstaltung des Elbtals durch die banale Waldschlösschenbrücke weiter zuspitzt. Dabei sind die Unterzeichnerstaaten der Konvention verpflichtet, für den integralen Erhalt der von ihnen vorgeschlagenen, vom Welterbekomitee geprüften und dann in die Liste eingetragenen Natur- und Kulturdenkmäler zu sorgen - und darüber hinaus auch für alle anderen Denkmäler im eigenen Land, eine Tatsache, die der Schweizer Innenminister jüngst wohl ausser acht liess, als er einen schrittweisen Rückzug des Bundes aus Heimatschutz und Denkmalpflege ankündigte.

Ehre und Verpflichtung

Selbst wenn man das Unesco-Welterbekomitee in gewissen Punkten kritisieren kann, ist dessen Strenge angebracht, denn kein Bauwerk, kein Ort und keine Landschaft kommt unfreiwillig auf die Welterbeliste. Bedeutet einerseits die angedrohte Streichung von der Liste für ein Denkmal und das Land, das einst dafür den Antrag stellte, eine Schmach, so wird anderseits jede Aufnahme als Ehre und Auszeichnung gefeiert. Sie wird in diesem Jahr zusammen mit zwanzig weiteren Denkmälern - vom irakischen Samarra über die Altstädte von Bordeaux und Korfu bis hin zu den südkoreanischen Jeju-Inseln - dem Weinbaugebiet Lavaux zuteil. Verdientermassen: denn die einst von der Zersiedelung bedrohte Genferseeküste wurde schon im Jahre 1979 vom Kanton Waadt nicht zuletzt dank den Initiativen von Franz Weber weitgehend unter Schutz gestellt. Sie ist zudem eines der aussergewöhnlichsten und weitläufigsten Bauwerke Europas, in welchem Ingenieurskunst, Architektur und Landschaftsgestaltung harmonisch zusammenfinden. Das vielschichtige Mauerwerk der Rebterrassen, dessen Bau vor 1000 Jahren von Benediktiner- und Zisterziensermönchen initiiert wurde, könnte all jene Architekten inspirieren, die dank dem Computer nicht mehr nur in euklidischen, sondern auch in mehrdimensionalen Geometrien projektieren. Denn dieses Geflecht von Mauern, bei dem das Windschiefe, Schräge, Gebrochene, Verwinkelte und Verästelte an die Stelle des Horizontalen und Vertikalen tritt, erweist sich fast schon als Vorwegnahme einer zum Chaotisch-Fragmentierten tendierenden Baukunst.

Gewiss, ähnliche Formen finden sich in vielen Terrassenlandschaften. Wohl nirgends aber wurden sie zu einem derart komplexen, durch alte Dorfkerne akzentuierten Gewebe vereint. Wie exotisch sich die zwischen Riesenbauwerk und Land-Art oszillierende Steilküste des Lavaux auf der mittlerweile mehr als 800 Objekte zählenden Welterbeliste mit ihren archäologischen Orten, historischen Zentren und unberührten Naturlandschaften ausnimmt, zeigt ein Blick auf die Unesco-Website, wo alle Stätten sorgfältig dokumentiert werden, oder besser noch in die unlängst erschienene, reich illustrierte Publikation der «Natur- und Kulturwunder der Welt», die eine erhellende «Rundreise» zu den 170 schönsten Unesco-Welterbestätten ermöglicht.

Den Auftakt zu der nach Kontinenten geordneten Präsentation macht Deutschland mit dem Aachener Dom, der 1978 zusammen mit 11 weiteren Stätten (zu denen die Felsenkirchen von Lalibela in Äthiopien, die Galapagosinseln und der Yellowstone-Park gehörten) die Liste begründete. Am prominentesten vertreten in der Publikation sind Italien und Spanien, die je rund 40 Welterbestätten besitzen, es folgen Frankreich, Deutschland und das rasant aufholende China sowie - schon etwas abgeschlagen - Grossbritannien, Indien und Mexiko mit je rund 25 Objekten. Von den 7 Stätten der Schweiz, die die Konvention als eines der ersten Länder im September 1975 unterzeichnete, werden die Altstadt von Bern, der St. Galler Klosterbezirk und die Burgen von Bellinzona in Wort und Bild vorgestellt.

Natürliche und gebaute Schönheiten

Jedem der 170 ausgewählten Denkmäler ist eine Doppelseite mit Abbildungen, einem Einführungstext sowie einem historischen Abriss gewidmet: der Athener Akropolis ebenso wie der Lagune von Venedig, der Altstadt von Luxemburg ebenso wie den Schlössern von Versailles und Schönbrunn, der englischen Industriestadt Ironbridge, den Gaudí-Bauten in Barcelona und Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn, dem Ilulissat-Eisfjord auf Grönland ebenso wie dem Plitwitze-Nationalpark in Kroatien. Die Hälfte der Reise führt durch Europa, dann geht es weiter nach Amerika - von der Stadt Québec bis hinunter zu den Iguazú-Fällen und den chilenischen Holzkirchen auf Chiloé. In Afrika locken das islamische Kairo oder der legendäre Serengeti-Nationalpark, in Asien der Baikalsee, die Chinesische Mauer, die Tempel von Kyoto oder die Stadtkerne von Buchara und Sanaa. Schliesslich tauchen die Naturwunder von Australien und Ozeanien am Horizont auf: der Regenwald von Queensland, aber auch die subarktischen Inseln Neuseelands. Nicht im Buch abgebildet ist das Opernhaus von Sydney, das Ende Juni anlässlich der Tagung des Welterbekomitees in Christchurch gemeinsam mit dem Lavaux aufgenommen wurde. Es stellt gleichsam die Übersetzung der nichtlinear anmutenden Geometrie der Rebterrassen in moderne Schalenkonstruktionen dar. Mit diesem Werk wird erstmals ein Einzelbau eines lebenden Architekten, des Dänen Jørn Utzon, gewürdigt, nachdem zuvor die Werke des bald 100-jährigen Oscar Niemeyer als Teil des Gesamtkunstwerks Brasilia ausgezeichnet worden sind.

Im Anhang der attraktiven Publikation sind alle bis und mit 2005 aufgenommenen Objekte verzeichnet - eine Liste, die um ein Mehrfaches erweitert werden kann - und muss. Dies wird weniger zu einer Verwässerung führen, als vielmehr den Schutzgedanken gegenüber den touristischen Aspekten aufwerten. Bei seiner Auswahl wird das Welterbekomitee weiterhin aus dem Vollen schöpfen können: Allein in unserem Land hoffen so interessante Objekte wie die prähistorischen Ufersiedlungen am Neuenburgersee, die Anlage der Rhätischen Bahn, die planmässig angelegten Uhrenstädte La Chaux-de-Fonds und Le Locle, die Bauten von Le Corbusier und die Glarner Hauptüberschiebung darauf, in den Rang eines Welterbes erhoben zu werden und den daraus resultierenden Verpflichtungen genügen zu dürfen.

[ Die Natur- und Kulturwunder der Welt. Alle Natur- und Kulturstätten der Unesco-Welterbeliste. Chronik-Verlag, Gütersloh 2006. 448 S., Fr. 60.40. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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