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Baukünstlerischer Aufbruch im Engadin
Neue Zürcher Zeitung

Die Ausstellung «Werdende Wahrzeichen» in Samedan

24. Juli 2007 - Roman Hollenstein
Architektonische Wahrzeichen besitzt Graubünden viele – vom Weltkulturerbe der Klosteranlage in Müstair über das Chesa Futura genannte Kürbis-Haus von Norman Foster in St. Moritz bis hin zu Peter Zumthors Therme in Vals, dem eigentlichen Aushängeschild der neuen Bündner Baukunst. Diese hat in den letzten zwanzig Jahren im kritischen Dialog mit den städtebaulichen und naturräumlichen Gegebenheiten eine Vielzahl bedeutender Werke von prägnanter Einfachheit hervorgebracht. Heute gilt die Südostschweiz als eine der vielseitigsten Architekturregionen Europas. Von «alpinen Brachen», wie sie die raumplanerischen Auguren von Avenir Suisse oder des ETH-Studios Basel heraufbeschwören, ist hier zumindest baukünstlerisch nichts auszumachen.

Architektonischer Brennpunkt

In Graubünden geht man schnell zur Sache. Dies zeigt die Ausstellung «Werdende Wahrzeichen», die vor gut einem Jahr in Flims zu sehen war und nun – nach einer Reise über Zürich und Meran – in Samedan angekommen ist, wo sie gegenüber der ursprünglichen Präsentation völlig gewandelt erscheint, kamen in der Zwischenzeit doch sieben Bündner und fünf Südtiroler Projekte neu dazu. Drei ehemalige Exponate wurden verwirklicht und deshalb ebenso aus der Ausstellung genommen wie die verflogenen Träume (etwa der schöne Hotelentwurf von Bearth & Deplazes in Tschlin). Im Bau sind derzeit fünf Arbeiten, darunter das Nationalpark-Besucherzentrum von Valerio Olgiati in Zernez und die Jugendherberge Prà da Faira der Architektengemeinschaft Sursass in Scuol. Zusammen mit drei weiteren Projekten machen sie das Engadin, das bereits mit Ben van Berkels Erweiterung des Hotels Castell in Zuoz sowie mit Um- und Neubauten von Hans-Jörg Ruch und Norman Foster aussergewöhnliche Bauten aufweisen kann, zum neuen Brennpunkt der Bündner Architektur. Damit ist das Hochtal ebenso aus einem architektonischen Dornröschenschlaf erwacht wie die italienische Nachbarprovinz Südtirol, die in der Schau unter anderem mit der historisch und architektonisch gleichermassen komplexen «dreisprachigen Bibliothek» von Christoph Mayr Fingerle in Bozen glänzt.

Der von dem Ausstellungsteam Köbi Gantenbein und Ariana Pradal gewählte Titel «Werdende Wahrzeichen» traf zweifellos auf Mario Bottas Wellnessanlage des Hotels Tschuggen in Arosa und Corinna Menns adlerartig über der Rheinschlucht bei Flims schwebende Aussichtsplattform zu, die beide inzwischen vollendet sind. Er gilt aber auch für das turmförmige Viamala-Besucherzentrum von Bearth & Deplazes oder das Albula-Bahnmuseum von Ruch und Fickert & Knapkiewicz, die dereinst weit über die Region ausstrahlen dürften. Die Mehrzahl der in Samedan vorgestellten öffentlichen oder halböffentlichen Projekte zeichnen sich hingegen durch ihre Kleinheit aus. Einmal gebaut, werden sie sich diskret in die bestehende Kulturlandschaft einfügen und dennoch architektonisch zu überzeugen wissen. Im Gegensatz dazu dürfte der Davoser Schatzalp-Turm von Herzog & de Meuron zu einem Monument von Weltformat werden und der europäischen Hochhausarchitektur weithin sichtbar den Weg ins 21. Jahrhundert weisen.

Kulturzentrum Samedan

Kaum weniger spannend als dieser Turmentwurf ist das Projekt eines Badehauses von Miller & Maranta in Samedan, das kurz vor Baubeginn steht. Ihm wird der alte Coop am Dorfplatz weichen müssen – und damit das Haus, in welchem derzeit die «Werdenden Wahrzeichen» mit Modellen, Plänen, Computerdarstellungen und Texten präsentiert werden, geordnet nach den Themenbereichen Sprache, Wasser, Tourismus, Landschaft und Verkehr. Der Neubau von Miller & Maranta wird eine gesichtslose Architektur ersetzen und gleichzeitig den Beweis erbringen, dass eine zeitgenössische Intervention dem stimmungsvollen Plazzet neue Kraft verleihen kann. Einen Ersatz für das Ausstellungszentrum «Alter Coop» möchte der Kurator Ramon Zangger in der Tuor Veglia schaffen. Für diese erarbeitet er derzeit zusammen mit dem jungen Samedaner Architekten Kurz Lazzerini ein Ausstellungs- und Umbaukonzept, das er im Winter dem Gemeinderat von Samedan vorlegen will. Zangger hofft, dieses neuste werdende Wahrzeichen in etwa zwei Jahren eröffnen zu können. Der privat zu finanzierende, auf Architektur, Design und Kunsthandwerk spezialisierte Ausstellungsturm soll zusammen mit der historisch-literarisch ausgerichteten Chesa Planta, den beiden Kunstgalerien am Plazzet und der Academia Engiadina aus Samedan den kulturellen Mittelpunkt des Oberengadins machen – und darüber hinaus zum Zeichen dafür werden, dass sich das Engadin, das allzu lange eher mit Immobilienspekulation als mit Baukunst von sich reden machte, in ein blühendes Tal der Bündner Architektur verwandelt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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