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In der Höhle des Bären
Spectrum

Stadtplanung unbekannt, Goldgräberstimmung statt Grundbuch. Und doch: Österreichische Architekten bauen erfolgreich in Russland und Bulgarien.

11. August 2007 - Iris Meder
Einen guten und einen schlechten Russentisch konnte Thomas Manns Held Hans Castorp seinerzeit im Speisesaal des Sanatoriums Berghof ausmachen. Wie der Protagonist des „Zauberberg“, der alsbald den Reizen einer ebendort Platzierten verfiel, sind in den letzten Jahren mehrere Wiener Architekturbüros in die Gesellschaft des „guten Russentischs“ aufgestiegen und realisieren erfolgreich architektonische und städtebauliche Projekte in Osteuropa.

Der Moskau-Kontakt des Büros hochholdinger knauer engl (hke), dessen Website neben Deutsch und Englisch auch die Sprachoptionen Russisch und Japanisch offeriert, ergab sich vor mittlerweile acht Jahren über Geschäftspartner eines Wiener Auftraggebers. Das erste Projekt war ein Autohaus mit der schönen Adresse „Chaussee der Enthusiasten“. Folgeaufträge kamen von einem anderen Moskauer Unternehmer, der nach einer militärischen Laufbahn sein Glück ebenfalls in der KFZ-Branche suchte. Der „saubere“ Aufstieg des zu großemWohlstand gelangten Businessman vollzog sich ortsuntypischerweise unter strikter Ablehnung von Schmiergeldzahlungen.

Als Projektentwickler liefert der Geschäftsmann westlichen Autofirmen fertige Mikrokosmen mit Autohandel, Werkstatt, teilweise auch Gebrauchtwagenabteilung, Verwaltungs- und Seminarräumlichkeiten sowie Infrastruktur wie Betriebskantinen für die jeweils circa 350 Beschäftigten. So realisierten hke 2005 mit einem ortsansässigen Partnerbüro die Moskauer Hyundai-Zentrale, einen mit Aluminiumplatten verkleideten, zeitgemäße Dynamik vermittelnden Baukörper mit abgeschrägten Wand- und Fensterflächen. Mittlerweile entstehen nach Entwürfenvon hke auch in St.Petersburg großzügige „Autoparks“, in denen sich mitunter zwei bis drei Franchise-Partner zusammenschließen.

Perfektionismus schminkt man sich bei der Arbeit in Russland schnell ab, wie die Architekten erzählen. Toleranz und Pragmatismus sind gefragt, der die heimische Architektur gewöhnlich prägende hohe Anspruch gerade bei der Detailausführung wird hier obsolet. Vielmehr gilt es, in einem Land, das keine Bebauungspläne und keine Grundbücher kennt, wo Grundstücke nur gepachtet sind und Versorgungsleitungen gerne kreuz und quer unter den Parzellen hindurch verlaufen, verträgliche Architektur auf einem soliden Niveau zu liefern, das auch planerischen Modifizierungen und den strengen Corporate-Identity-Vorgaben mancher Konzerne standhält.

Vom selben Auftraggeber wurde das Wiener Büro auch mit dem Bau von dessen eigenem 1700-Quadratmeter-Stadthaus betraut. Auf dem innerstädtischen Grundstück in der Granatnyi-Straße stand die – später abgerissene – Ruine eines abgebrannten Holzhauses aus der Zeit um 1820, das nach den Auflagen des Ensembleschutzes in seiner äußeren Form wiederherzustellen war. Prinzipielle Bedenken gegen die Rekonstruktion eines Jahre zuvor zerstörten, nicht denkmalgeschützten Gebäudes galt es abzulegen. An die Gartenseite der klassizistischen Villa dockten die Architekten einen verglasten Quader mit ähnlicher Kubatur an, der sich auf den Altbau bezieht, ohne von einer zeitgenössischen Architektursprache abzugehen.

Während seit kommunistischen Zeiten bestehende russische Großbüros mit oft mehr als 1000 Mitarbeitern rein kommerzielle Massenwohnbauten, gerne mit zurzeit sehr beliebten barocken Dekorationen, entwerfen, genießen österreichische Planer denRuf von Zuverlässigkeit und umfassender Kompetenz. „Handschlagqualität“, konkurrenzlos gute Zahlungsmoral und unbedingteLoyalität der Auftraggeber gegenüber ihren Architekten loben, neben dem internationalen „Österreicher-Bonus“, auch Regina und Michael Miksche vom Büro miksche roth, das derzeit mehrere städtebauliche Projekte in Bulgarien realisiert. Der Ost-Kontakt des Büros kam vor einigen Jahren über einen Investor zustande. „Architektonischen Mehrwert unauffällig verpacken“, definiert Michael Miksche die Strategie, robuste Konzepte einer befriedigenden Realisierung zuzuführen. Ziel vom miksche roths städtebaulichenLeitplänen für Stadtviertel von Sofia und Varna ist es, Investoren für alle Seiten akzeptable Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei ist „missionarisches“ Vorgehen gefragt, mit dem Ziel, die gewünschten hohen Bebauungsdichten zu reduzieren und auf ein vernünftiges Mittelmaß zu bringen. Hat manPech, werden die festgelegten Bebauungshöhen und -dichten freilich in späteren Planungsstadien unter Umgehung des Leitplanswieder willkürlich in die Höhe getrieben.

Auch in Bulgarien sind Begriffe wie Stadtplanung und Grundbuch eher unbekannt, ebenso wie die Idee einer Koordination unter den Developern. So kann es passieren, dass autonom nebeneinander her geplant wird und niemand einen Überblick darüber hat, wie viele Shopping Malls in ein und derselben Straße zur gleichen Zeit projektiert werden. Oder auch, dass über Nacht alle Bäume eines öffentlichen Parks gefällt werden, der dann zu Bauland umgewidmet wird.

Im Wiener Büro trägt man solche Vorkommnisse mit Fassung. Immerhin schaffte man es beim 30 Hektar großen Entwicklungsgebiet „Gara.City“ hinter dem Bahnhof von Sofia, aus einem rein kommerziell konzipierten Businesspark-Plan ein Entwicklungsgebiet mit gemischter Nutzung inklusive Hochschulen und kulturellen Einrichtungen zu machen. Bei guten Konzepten ist die Realisierungschance hoch, wie die Architekten berichten. Finanzielle Rahmenbedingungen werden dabei ohne Diskussion akzeptiert.

Die niedrigen Baukosten, etwa ein Sechstel des hierzulande Üblichen, gehen allerdings auch mit einer entsprechenden Ausführung einher. Qualifizierte Arbeiter gibt es praktisch nicht, eher abenteuerliche Bautrupps werken wild drauflos. Zu ertragen haben die österreichischen Planer gelegentlich auch eigenmächtige Überarbeitungen ihrer Projekte durch lokale Architekten, etwa in Bansko im südbulgarischen Pirin-Gebirge, das zurzeit von einer enthemmten Goldgräberstimmung heimgesucht wird. miksche roth haben hier die Leitpläne der Ski- und Golfresorts „Bojurland“ und „Razlog“ entworfen. Nach dem Weiterverkauf an Kleinanleger wird ohne Einflussmöglichkeit der Architekten in willkürlicher Art und Weise weiter ausgebaut. Ein dickes Fell ist beim Arbeiten in osteuropäischen Ländern wohl nicht nur wegen der härteren Witterung durchaus von Vorteil. Entsprechend gewappnet, kann man sich aber durchaus direkt in die Höhle des Bären begeben: Über die Eröffnung eines eigenen Büros in Moskau denkt man bei hochholdinger knauer engl bereits nach.

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