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Der Raum zwischen den Bildern
Der Standard

Die Architekten Pauhof betrachten Alfred Hitchcock in der Ausstellung „The Wrong House“ im belgischen Kulturzentrum deSingel durch die Linse der Architektur.

29. September 2007 - Ute Woltron
Die besten Lehrer sind diejenigen, die ihren Schülern Fragen stellen und sie damit gleich weiter auf die Suche nach den Antworten schicken. Weil was man selber findet, das gehört einem - und außerdem sind derlei geistige Schnitzeljagden ja stets etwas hirnerfrischend Spannendes.

Im ganz besonders hübschen belgischen Städtchen Antwerpen ist seit vergangener Woche eine erfreulich aus allen Rahmen fallende Ausstellung zu sehen, die ihre Besucher auf exakt eine solche Reise mitnimmt. Allein der Titel der Schau wirft bereits allerlei Fragen auf. Er lautet mysteriös: „Alfred Hitchcock & Pauhof. The Wrong House“.

Doch was hat der berühmte Meister cineastisch produzierter Schweißausbrüche mit den österreichischen Architekten Pauhof zu schaffen? Warum und wie verbünden sich hier die Lebenden und der längst Verblichene für oder gegen ein falsches Haus? Und überhaupt - wie kann ein Haus falsch oder gar das Falsche sein?

Wer sich noch bis 25. November im Antwerpener Kulturzentrum deSingel auf die Suche begibt, findet die Antworten zwischen bewegten und stehenden Bildern, zwischen Geräuschen und Musikfetzen, zwischen Licht und Dunkel, Grau und Bunt, zwischen Modellen und Plänen. Die Ausstellung schafft es, Architektur und Kino, also imaginäre und tatsächliche Räume, auf eine sehr elegante Art miteinander zu verweben und damit beiden Materien eine neue Stofflichkeit zu verschaffen.

Doch um begreiflich zu machen, wie das funktioniert, muss erst einmal das Konzept ein wenig durchleuchtet und durch die Linse der unkonventionellen Ausstellungsmacher betrachtet werden: Das Zentrum aller Überlegungen bildet ein hier erstmals vorgestelltes Buch mit eben diesem Titel „The Wrong House“. Darin befasst sich der belgische Kunsthistoriker Steven Jacobs mit Alfred Hitchcocks (1899- 1980) unübersehbarer Affinität zur Architektur, denn die ist gewissermaßen als eine stets anwesende Darstellerin in all dessen Filmen zu betrachten.

Jacobs analysiert bis ins kleinste Detail, wie der Regisseur mit Räumen und den entsprechenden Stimmungen arbeitet, wie sich der ehemalige Set-Designer Hitchcock als nunmehriger Set-Chef die kräftige Symbolsprache der gebauten Umwelt zu seinen Zwecken untertan macht. Seine Darsteller irren durch dramatische Stiegenhäuser und labyrinthartige Strukturen, sie werden von Schatten gejagt und von Schattengespinsten in die Enge getrieben. Fenster werden zu Schlüssellöchern, durch die man beobachtet, ohne beobachtet zu werden. Türklinken, Gesimse, Portale, Türme - all diese architektonischen Details spielen in Hitchcocks Filmen subtile, stumme Hauptrollen.

Und die starke Architektur des deSingel spielt im Falle dieser Ausstellung ebenfalls kräftig mit. Das Haus ist prächtig - ein wundervolles Stück Moderne, gebaut in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom belgischen Architekten Léon Stynen, erweitert von demselben in den 80er-Jahren. Klare Strukturen, gekonnte Fenster-Licht-Inszenierungen, Innenhöfe, Kino- und Konzertsäle bilden den gebauten Rahmen um die Ausstellung.

Zur Gestaltung hat sich Kurator Moritz Küng nicht von ungefähr die österreichischen Architekten Wolfgang Pauzenberger und Michael Hofstätter geholt. Alias Pauhof zählen die beiden zu denjenigen, die eine besonders dramatische, zugleich aber klare Architektursprache beherrschen. Wenn in den kommenden Wochen die Besucher in den großen Kinosaal eilen, um diverse Vorträge und Hitchcock-Klassiker zu sehen, werden sie also von Pauhof in den um den Saal liegenden Gängen und Vorräumen gekonnt darauf eingestimmt.

Es ist eben die Stärke dieser Schau, dass Pauzenberger und Hofstätter die Zwischenzonen mit allen Mitteln der Architektur bespielen und so darauf aufmerksam machen, dass Architektur eben nicht nur aus Mauern, Fenstern und Fußböden besteht: Sie strukturieren das Eingangsfoyer mit nur auf den ersten Blick einfachen, fast monolithischen schwarzen Einbauten, die mit Rampen und Podesten wie hineingegossene Skulpturen wirken.

Dazwischen und darauf wurden elegant diverse Modelle von Pauhof-Architekturprojekten inszeniert, ergänzt durch großformatige Fotos sowie Filme, die die Besucher durch Pauhof-Gebäude führen. Die Spange, die eine Verbindung über einen langen leeren Gang zum zweiten Foyer schafft, das nun eine Art Kino-Café ist, bildet die Geräuschkulisse diverser Hitchcock-Filme. Denn auf der einen Seite ist zu hören, was auf der anderen auf einer Leinwand in bewegten Kinobildern zu sehen ist: Eine 90-minütige Collage aus Filmen wie Notorious, The Birds, Vertigo, Rear Window und natürlich North by Northwest, in dem die Architektur des fiktiven Vandamm House an Dramatik nicht zu überbieten ist.

Im Kino-Café befindet sich ebenfalls eine architektonisch-cineastische Collage zwischen Schein und Sein: Den Filmausschnitten, die in mehreren Fernsehmonitoren zu sehen sind, sind die in Grundrissplänen rekonstruierten entsprechenden Architekturen zugeordnet. Auf diese Weise können sich die Besucher ein ins Konkrete gezeichnetes Bild der Häuser machen, die den Rahmen zu Streifen wie Rebecca oder Psycho bilden.

Im Gegensatz zu anderen Ausstellungen, die oftmals bemüht sind, Zusammenhänge allzu plakativ darzulegen, überlässt diese Inszenierung die Besucher sozusagen sich selbst. Man könnte behaupten, sie würden selbst zu Darstellern in einem mysteriösen dreidimensionalen Film, in dem unterschiedliche Räume durchwandelt, erspürt, erobert werden müssen. Die Fragen werden in den Räumen zwischen den Bildern und dem Abgebildeten beantwortet, aber suchen muss man diese Antworten schon selbst.

Ein bisschen Nachdenken schadet dabei nie. So bildet etwa eine Zusammenstellung von drei Pauhof-Modellen eine fiktive Stadtlandschaft aus Podesten, Flächen, Rampen, die allerdings bei genauerer Betrachtung irgendwie verzerrt und unwirklich erscheint. Man kommt nicht gleich drauf, warum, doch der Grund dafür ist simpel: Die Architekturmodelle sind zwar in jeweils unterschiedlichen Maßstäben gebaut, gehören also so auf keinen Fall zueinander. Die verbindende Menschenstaffage, bestehend aus kleinen Modellmenschen, bleibt jedoch über das Gesamtensemble verteilt maßstabsgleich. Der Mensch ist sozusagen seine eigene Kinoleinwand, auf der sich der Raum, die Architektur abbildet.

Viel spannender geht's also nicht, wenn Architektur vermittelt werden soll. Diverse internationale Kunstinstitutionen haben denn auch schon Interesse angemeldet, „The Wrong House“ zu übernehmen, so etwa das Kunstmuseum in Nicolae Ceausescus absurd überdimensioniertem Regierungspalast in Bukarest.

Das Wiener Filmmuseum wird sich übrigens ebenfalls demnächst des großen Regisseurs annehmen. Die Retrospektive „Alfred Hitchcock. Das Gesamtwerk“ läuft von erstem Dezember bis zweiten Februar im architektonisch dafür äußerst stimmigen Kino-Ensemble im Albertina-Gebäude. Filmmuseums-Chef Alexander Horwath hat ebenfalls Interesse am Thema Hitchcock und Architektur angemeldet, die Antwort auf die Frage, in welcher Form das stattfinden wird, folgt.

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