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Wohntürme und Verandahäuser
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung und zwei Bücher über neue Architektur in Australien

Australien besitzt eine spannende Architekturszene, die allerdings in Europa kaum bekannt ist. Eine Ausstellung im Deutschen Architekturzentrum Berlin beleuchtet nun den innovativen Wohnungsbau des fünften Kontinents.

13. Oktober 2007 - Roman Hollenstein
Nach Architektur in Australien befragt, nennen wohl die meisten Europäer Jørn Utzons Opernhaus. Doch seit seiner Vollendung vor 34 Jahren ist in Sydney ein ganzer Wald von Wolkenkratzern in den Himmel gewachsen, von denen einige der besten vom 2006 verstorbenen Harry Seidler stammen. Während dieser sich in seinen letzten Jahren vermehrt Europa zuwandte, konnte sich die kommerzielle Grossfirma von Philip Cox in Sydney stark ausbreiten. Deshalb arbeiten heute die meisten kreativen Architekten in Melbourne, wo Büros wie Denton Corker Marshall oder Nonda Katsalidis sich gleichermassen mit der städtebaulichen Integration von Bürotürmen und der harmonischen Einbettung von Villen in die weite Landschaft befassen. Einen ganz eigenen Weg geht wiederum der 2002 mit dem Pritzker-Preis geehrte Glenn Murcutt, dessen von der klassischen australischen Leichtbauweise inspirierte Häuser die Erde nur leicht berühren.

Innovativer Wohnungsbau

Doch gibt es in Australien auch jüngere interessante Architekten – und, wenn ja, womit beschäftigen sie sich? Eine Antwort auf diese Fragen versucht derzeit eine Ausstellung im Deutschen Architekturzentrum (DAZ) an der Köpenicker Strasse in Berlin zu geben. Unter dem etwas altbackenen Titel «Wohnraum Moderne» wirft sie einen Blick auf den zwischen Brisbane und Perth boomenden Wohnungsbau. Die thematische Einschränkung lässt sich damit rechtfertigen, dass in Australien – anders als in Europa und Amerika – der Museumsbau als Spielwiese für innovative Baukünstler kaum eine Rolle spielt. Hingegen geben engagierte Investoren und Privatleute gerne aufsehenerregende Wohntürme oder ausgefallene Villen und Ferienhäuser in Auftrag. Seit Murcutt im Grossraum Sydney und Gabriel Poole oder Lindsay Clare in Queensland das umweltverträgliche Verandahaus aufgefrischt haben, entstehen überall auf dem Kontinent Neubauten, die internationale Einflüsse und lokale Traditionen miteinander zu verschmelzen suchen.

Die Berliner Schau kann denn auch mit viel neuem Material aufwarten. Doch wie jeder Übersichtsausstellung eignet ihr eine gewisse Beliebigkeit. Das zeigen allein schon die Kategorien «Minimal», «Rahmen», «Interaktion» oder «Ost/West», nach denen insgesamt 48 Projekte von 25 Büros gegliedert sind. Diese Materialflut versuchen die Ausstellungsmacherinnen Claudia Perren und Kristien Ring aber nicht nur thematisch, sondern auch gestalterisch zu bewältigen. Die blau gestrichenen Wände des Galerieraums, auf denen eine weisse Welle das Auge von einem theoretischen Kurztext zum nächsten leitet, erinnern an ein Aquarium. Darin scheint ein seltsamer Fischschwarm zu flirren: eine Ansammlung von 25 Flachzylindern, auf denen die Projekte in Wort und Bild präsentiert werden.

Abstand lässt sich hier kaum gewinnen, und stets buhlen mehrere bunte «Fische» um Aufmerksamkeit. Nach kurzer Zeit verschwimmen die Eindrücke, und nur die aussergewöhnlichsten Bauten bleiben einem im Gedächtnis haften: etwa das von der Struktur eines Schneekristalls hergeleitete Ferienhaus «Huski Lodge», welches das junge Melbourner Büro Elenberg Fraser 2005 als expressiv verwinkelten Holzbau in den Bergen von Victoria realisieren konnte. Aus Holz ist auch das 2007 wie ein Möbel an die Küste von Victoria gesetzte Port Fairy House von Shelley Penn, zeltartig transparent hingegen die Erweiterung eines Wohnhauses in Perth von Iredale Pedersen Hook. Während das Büro Andresen O'Gorman das klassische Farmhaus in Queensland neu interpretiert, setzt David Luck ein Verandahaus ganz sanft in die Wälder von Red Hill in Victoria. An Eleganz werden all diese Villen vom Butterfly House überflügelt, das Ed Lippmann 2005 als Antwort auf Scharouns organische Bauten und Ben van Berkels Möbius-Haus auf einer Anhöhe über Sydney errichtete. Spektakulärer noch als diese Miniaturen sind die neuen Hochhäuser in Melbourne. Darunter finden sich die einem konstruktivistischen Minimalismus verpflichteten, bis 92 Stockwerke hohen Wolkenkratzer von Nonda Katsalidis ebenso wie der kantig skulpturale «Dock 5»-Turm von John Wardle oder das organisch fliessende Yve-Hochhaus von Wood Marsh.

Vielfältige junge Szene

Das begleitende Katalogbuch bietet nicht nur die nötige Übersicht, sondern auch fundierte Essays und Ausblicke von namhaften australischen Architekturtheoretikern wie Philip Drew und Philip Goad. Wer zusätzliche Informationen über junge australische Architekten sucht, findet diese in der soeben erschienenen Publikation «Down Under». Das verwirrend gestaltete, aber informative Buch kreist nicht nur um den Wohnbau, sondern beleuchtet auch architekturpolitische, wirtschaftliche und ökologische Aspekte. Einigen attraktiven Bauten aus der Ausstellung begegnet man hier erneut, aber auch ganz anderen Lösungen wie dem hügelartigen Peppermint Bay Restaurant von Terroir in Tasmanien, dem futuristisch in die Welt blickenden Ideen-Center des Victorian College of Art oder dem verschleierten Bürohaus von Neil & Idle in Melbourne. Sie alle beweisen einmal mehr, wie abwechslungsreich und inspirierend Australiens Architekturszene ist.

[ Bis 11. November im DAZ in Berlin. Katalog: Wohnraum Moderne. Australische Architektur. Hrsg. Claudia Perren und Kristien Ring. Hatje-Cantz-Verlag Ostfildern. 240 S., Fr. 59.– (€ 35.– in der Ausstellung). Davina Jackson: Down Under. Neue Architektur in Australien. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007. 255 S., Fr. 84.90. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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