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Transformation der Produktion
dérive
23. Oktober 2007 - Erik Meinharter
Sinkende Beschäftigtenzahlen, Auslagerung, Schließung oder Abzug der Produktionsstätten, das Ende des modernen Industriezeitalters, … solche und ähnliche Schlagworte prägen den Diskurs über das Verhältnis von Industrie und Stadt. Prognosen und Szenarien überschlagen sich in Superlativen um die wirtschaftlichen Veränderungen in den Industrieländern zu beschreiben. Industriestaaten sind sie jedoch immer noch. Eine Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts hat für Österreich im Betrachtungszeitraum 1995 bis 2003 sogar, wenn Industrie nach Wirtschaftskammersystematik definiert wird, eine Steigerung der industriellen Produktion festgestellt.[1] EUROSTAT konstatiert ebenfalls eine steigende Industrie­produktion in der Eurozone im Betrachtungszeitraum 2004 bis 2006.[2] Tendenziell ist in Westeuropa und der EU industrielle Produktion nicht rückläufig, sondern steigert ihre Produktivität, bei gleichzeitigem Beschäftigungsabbau. Die Industrie schrumpft also nicht,[3] sondern transfor­miert ihre Produktionsweisen auf dem globalen Markt. Eine Veränderung der Unternehmensstruktur als Reaktion auf den Wandel vom fordistischen zum post-fordistischen Wirtschaftssystem ist ablesbar. Es ist davon auszugehen, dass dieser Wechsel der ökonomischen Rahmenbedingungen nicht ruckartig und allumfassend vollzogen wird,[4] sondern Systeme nebeneinander bestehen und aufeinander Einfluss ausüben. Am Beispiel der Stahlindustrie kann die Umformung in global aufgestellte groß dimensionierte und dezentralisierte Konzerne festgestellt werden. Diese produzieren zwar noch immer lokal, aber differenzieren ihre internationalen Standorte nach Produkten. AcelorMittal lieferte zum Beispiel aus Differdange in Luxemburg diesen August 2007 die Stahl-Träger für das WTC Memorial in New York, obwohl Mittal-Steel auch in den USA stark präsent ist. Transportkosten werden geringer eingestuft als Zeitkosten. Eine De-Industrialisierung findet also nicht statt, eine Wandlung zur postindustriellen Informationsgesellschaft vielleicht, eine Veränderung der Relation von Produktion und Standort ist allerdings eindeutig erkennbar. Die alten – fordistischen - räumlich stabilen Verhältnisse zwischen Industrie und Stadt geraten in Bewegung.

Das Verhältnis von Stadt und Industrie

Das Zeitalter der Industrialisierung war auch eines der Urbanisierung. Technische Neuerungen ermöglichten die Verwertung von Bodenschätzen. Fabriken und Werke entstanden und forcierten die urbanen Entwicklungen der nahegelegenen Dörfer und Städte. Ein Beispiel dafür ist die SaarLorLux-Region[5], die aufgrund der Möglichkeit die Minette, ein „armes Erz“, mittels des Thomas-Verfahrens zu verarbeiten, Mitte des 19. Jahrhunderts einen Urbanisie­rungsschub erlebte. In Folge der großen Arbeitskräftenachfrage und des kapitalistischen Liberalismus wurden urbane Entwicklungen, wie der massive Wohnbau der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahr­hundert, an Industriestandorte und Industrieentwicklungen gebunden. Solche schubartigen urbanen Entwicklungen sind auch in Wien bis heute in den Gründerzeitvierteln sichtbar. Diese Bautätigkeit in Folge des massiven Wohnraumbedarfes war nicht mehr von sozialen Utopien der Modellsiedlungen des späten 19. Jahrhunderts, wie jener in Saltaire, Kronenberg oder die frühe Form der Familistere Godins, geprägt, die mehr vom Wohnen einer kleinen sozialen Gemeinschaft in einer ländlichen Idylle ausgingen. Die rasende Entwicklung der Produktionstechniken hat diese idea­lisierten und idealistischen Wohnformen der neuen industriellen Gesellschaft schnell überholt. Die Suche nach einer Antwort auf die Produktionsbedingungen in urbaner Dimension, wie die Vision einer Bandstadt für Wolgograd von Miljutin, war der nächs­te Schritt der Tradierung von industriellen Produktionsbedingungen und Anforderungen auf eine städtische Struktur.

Neben den baulichen Ansprüchen ergab sich auch eine ideelle Verbindung von urbanen Entwicklungen und industriellem Wachstum. Wie Berthold Hub in seinem Artikel in diesem Heft zeigt, haben auch Architekten wie Peter Behrens auf die ihn umgebenden sozialen Bedingungen wie auch auf die Anforderungen der Technik reagiert. Die Bauwirtschaft ist heute selbst Teil der Industrie, auch wenn sie nur sai­sonbereinigt in die Kennzahlen einfließt. Der Industriebau ist ein eigener hochspezialisierter Sektor in Architektur und Bauingenieurwesen. Der historisch stark geprägte Zusammenhang von industrieller und urbaner Entwicklung blieb in den Köpfen bestehen.

Das Erbe der Industrialisierung

Ein spezifisches räumliches Symptom einer Veränderung der Produktionsweisen und deren Produkte ist in ihrer Form und Größe oft sehr auffällig. Es überstrahlt den Diskurs über Prozesse, die weit über den realen Ort hinaus reichen: Die Transformation der Flächen der Stahl- und Kohleindustrie. Dies hängt nicht nur mit ihrer räumlichen Dimension zusammen. Stahl und Kohle ist die Gründungsindustrie der Europäischen Union, die aus der ursprünglichen Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGKS hervorgegangen ist. Der Anteil der im Sektor Metallerzeugung und –bearbeitung sowie Herstellung von Metallerzeugnissen Beschäftigten an der Zahl aller ArbeitnehmerInnen ist immer noch einer der größten. Besonders für die Gründungsmitglieder und deren Wirtschaftsgeschichte ist jede Änderung in diesem Sektor stark mit der eigenen Geschichte verbunden. Die IBA Emscher Park im Ruhrgebiet bildete in Deutschland den Anfang einer bis heute, zum Beispiel mit dem Teilbereich Ronneburg der Buga2007,[6] fortgesetzten Veränderung und Konversion alter Industriestandorte dieses Produktionsbereiches. Luxemburg, das seinen Reichtum auch dem Erzabbau und Stahl verdankt, ist ebenfalls stark an einem sensiblen Umgang mit der eigenen Regionalentwicklung im Süden des Landes und der eigenen Wirtschaftsgeschichte interessiert. Auch hier sind in der Südregion des Landes viele Projekte zur Entwicklung der aufgelassenen Werksgelände und Lagerflächen entwickelt worden. Konversionen, Musealisierungen, urbane Integrationen, Industrieparks, Erlebnisgelände, … ; die Bandbreite der angewandten Strategien ist groß, und fast so unterschiedlich wie die geographische Lage der Produktionsstätten war. Die Produktion bleibt in der Nachbarschaft so lange sie kann. Das erste und größte industrielle UNESCO Weltkulturerbe in Deutschland, die Völklinger Hütte, ist im Vergleich mit dem sie umgebenden, noch im Betrieb befindlichen, Werksgelände der Saarstahl ein kleines historisches Relikt.

Diese Herausforderungen, diesen Erbstücken der lokalen Produktionsstätten neue urbane Positionen zuzuweisen, reichen von problematischen städtischen Erweiterungen auf abgelegenen und von den bestehenden urbanen Strukturen abgetrennten Flächen, unwägbarem Risiko aufgrund der im Boden vorhandenen Kontaminierungen bis hin zur Gefahr einer romantischen Verklärung des Verfalls. Auf diese Vielfalt der Strategien und deren gesellschaftlichen Zusammenhang verweist Susanne Hauser in ihrem Beitrag.

Geänderte Rahmenbedingungen

Die Stadt hat mit ihrem Erbe der Industrialisierung zu arbeiten und verändert sich mit den neuen räumlichen An­sprüchen oder verlassenen Terrains des globalen Wirt­schaftens. Dies geht über die offensicht­lichen durch Produktionsverlagerung frei gewordenen Flächen hinaus. Sie sind jedoch die eindringlichsten Symptome einer Verlagerung der großformatigen, flächenverbrauchenden Produktion aus der Stadt in eine andere Region. Oder sie sind Folge der Entwicklung einer flächen- und ressourcenschonenderen Produktionsweise. Ist daher die moderne urbane Ökonomie ruraler, kleinteiliger, disperser und „sauberer“ geworden? Ist die globale Stadt ein global wirtschaftendes Dorf? Die Form des oben beschriebenen Überganges und Bruches hat einen starken Einfluss auf die Entwicklungsfähigkeit der Stadt-Umland-Region. Findet, so wie bei der ehemaligen DDR, ein – im Verhältnis zur westeuropäischen Wirtschaftsentwicklung – spontaner Wechsel der Rahmenbedingungen statt, hat dies nicht nur auf die Stellung der Industrie Auswirkungen. Wie Christoph Haller in seinem Beitrag zeigt, ist auch das individuelle Festhalten an der eigenen Geschichte und Entstehungsgeschichte der Stadt direkt mit der Veränderung konfrontiert. Auch soziale Gemeinschaften wie Gewerkschaften und über viele Dienst­leister verbundene StadtbewohnerInnen, z.B. in den USA[7], die ihre Entstehung und Struktur in der fordistischen Industrieentwicklung erarbeitet haben, reagieren empfindlich auf das Verändern des Stellenwerts der industriellen Produktion ihrer Stadt. Die Beziehung Stadt – Industrie ist in Bewegung ge­raten. Das zeigt sich sehr deutlich in der Diskussion über die räumliche Stellung der Produktion, wie Mariusz Czepcyn´ski sie anhand der Entwicklung Danzigs nachweist.

Blickfelderweiterung

In einem Paper von Kathy Pain[8] werden die Erkenntnisse des Forschungsvorhabens POLYNET[9] der Universität Loughborough große Stadtregionen in West­europa (Randstad, Ruhrgebiet, …) betreffend mit den antizipierten globalen wirtschaftlichen Entwicklungen einer „Asianation“ kombiniert. Dies zeigt deut­lich auf, dass bei einer globalen Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklungen und deren beweglichem Netzwerk die einzubeziehende räumliche Ausdehnung einer Untersuchung von urbanen Prozessen ebenfalls größer werden muss. Die in den Ländern des europäischen Raumes feststellbaren urbanen Entwicklungstendenzen entsprechen laut dieser Studie denen einer globalen Stadt, wie sie von Saskia Sassen schon 2001 beschrieben wurden: Globale Städte müssen mit dem Paradox einer Gleichzeitigkeit von Verdichtung und Streuung der Produktion umgehen können.

[ Erik Meinharter ist Redakteur von dérive, Mitarbeiter eines Planungsbüros und Lektor an der Universität für Bodenkultur. ]
[1] Struktur und Entwicklung der Industrie Österreichs (IWI-Studie 126, Schneider, Lengauer, Brunner), Industriewissenschaftl. Institut., 2006.
[2] STAT/07/7 EUROSTAT, Euro-Indikatoren Pressemitteilung vom 15.Januar 2007.
[3] Gemeint ist hier der Gesamtbereich der Industrie in der Definition nach EUROSTAT, wobei es in Teilbereichen trotzdem zu Schließungen kommen kann, wie z.B. in der Tabakindustrie. Der Abbau von Stellen hängt zumeist auch mehr mit der globalen Aufstellung der Firmen und der daraus folgenden Verteilung und Fokussierung der Produktion auf die verschiedenen Produktionsstätten – nach Ertrag, Lohnniveaus, vorhandenen Produktionsmitteln etc. – zusammen.
[4] Die Begriffe sind ja Umschreibungen von Wirtschaftssystemen und –zusammenhängen und nicht punktuell installierte und umgeschaltete Formen des Wirtschaftens.
[5] Umfasst die Regionen Saarland (D), Lorraine (F), Luxembourg (L).
[6] Einen Überblick der derzeitigen landschafts­architektonischen Projekte bietet die Ausgabe Juni 2007 der Zeitschrift Garten & Landschaft: „Nach Bergbau und Industrie“, Callwey Verlag
[7] Einblick in diese Thematik liefern die Arbeiten von Eric Boria, der an der Loyola University Chicago die Veränderung der Arbeit im Zusammenhang mit „Stahl-Städten“ erforscht. Z.B. „Some Notes on Fordism and the Industrial City“, der unter http://www2.cddc.vt.edu/digitalfordism/fordism_materials/boria.html (Stand 28.09.2007) zu finden ist.
[8] GaWC Research Bulletin 225 (A): The Urban Network Transformation: Planning City-Regions in the New Globalization Wave, der Globalization and Wold Cities – Study Group & Network: www.lboro.ac.uk/gawc (Stand 21.9.2007)
[9] siehe das INTERREG IIIB Projekt POLYNET (2006): Sustainable Management of European Polycentric Mega-City Regions, Hall and Pain, oder im Buch: The Polycentric Metropolis – Learning from Mega-City Regions in Europe, Hall Peter, Pain Kathryn. (Hrsg.), Earthscan Publications. Ltd, London 2006ABFRAGEN: EU Daten Prodcom PRODCOM Produktionsstatistiken letzte Daten 21.09.2007 von 2006.

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Für den Beitrag verantwortlich: dérive

Ansprechpartner:in für diese Seite: Christoph Laimermail[at]derive.at

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