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Das Haus als städtebaulicher Kosmos
Neue Zürcher Zeitung

Alvaro Siza in der Galerie der Architekturakademie Mendrisio

Der 1933 geborene portugiesische Träger des Pritzker-Preises, Alvaro Siza, versucht seit je nach ethischen Gesichtspunkten zu bauen. Eine intelligent gewichtete Ausstellung in Mendrisio beleuchtet sein Schaffen neu.

25. Oktober 2007 - Roman Hollenstein
Weit über die Fachkreise hinaus bekannt wurde Alvaro Siza 1983 mit seinem umstrittenen Beitrag zur Internationalen Bauausstellung (IBA) in Berlin – einem abgerundeten Eckhaus mit strenger Lochfassade, auf der bald in grossen Lettern «Bonjour tristesse» zu lesen war. Doch schon zwanzig Jahre zuvor hatte sich der 1933 in Portos Hafenvorstadt Matosinhos geborene Architekt mit dem von seinem Lehrer Fernando Távora und Frank Lloyd Wright beeinflussten Teehaus Boa Vista und der als archaisch-brutalistische Terrassenlandschaft am Meer konzipierten Poolanlage in Leça de Palmeira für eine regionalistisch verankerte Baukunst starkgemacht. In seinem sensiblen, von der Moderne ausgehenden Dialog mit den örtlichen Gegebenheiten, seinem Interesse an Haus und Stadt sowie seinem architektonischen Ethos war Siza damals am ehesten mit Luigi Snozzi vergleichbar. Während es dem Tessiner aber bis heute nicht vergönnt war, seine urbanistischen Visionen zu verwirklichen, öffneten sich Siza in der Heimat schnell alle Türen. Kurz nach der Nelkenrevolution erhielt der damals 41-jährige Architekt die Möglichkeit, mit der SAAL-Sozialsiedlung Bouça in Porto ein Vorzeigequartier zu gestalten, dessen Reihenhauszeilen zusammen mit den davorgesetzten Einzelbauten intime Gassenräume aufspannen und damit eine dörfliche Situation wachsen liessen.

Wenig bekannte Bauwerke

Zwei Dekaden später gab ihm Porto mit dem Bau der Architekturfakultät erneut Gelegenheit, eine Summe seiner baukünstlerischen Recherche zu präsentieren. Siza entwarf die an einem Steilhang hoch über dem Douro gelegene Hochschule als eine aus mehreren kleinen Turmbauten bestehende Miniaturstadt, in der die Aussenräume sich zu einem beziehungsreichen Kontinuum vernetzen. Dieses Juwel der europäischen Baukunst der 1990er Jahre sucht man leider in der Siza-Retrospektive, die derzeit in der Galerie der Architekturakademie Mendrisio zu sehen ist, ebenso vergeblich wie das Kunstmuseum von Santiago de Compostela, die Universitätsbibliothek von Aveiro oder das wiederaufgebaute Lissabonner Chiado-Viertel. Gleichwohl darf die Schau, die – wohl unbeabsichtigt – erstmals das Auf und Ab von Sizas Karriere verdeutlicht, als gültige Übersicht bezeichnet werden. Denn der Kurator Carlos Castanheira analysiert das Werk anhand von gezielt ausgewählten, oft wenig bekannten Werken. So spiegelt sich beispielsweise die Architekturfakultät von Porto in einer luxuriösen, unlängst vollendeten Ferienvilla in Mallorca. Diese demonstriert ebenso wie der 2007 über einem geborstenen Grundriss errichtete Holzbungalow in Sintra, bei dem jedem Zimmer ein eigener Bauteil zugeordnet ist, dass der Pritzkerpreisträger von 1992 das Haus stets als städtebaulichen Kosmos im Kleinen versteht.

Der Einzelbau bildete seit je das Zentrum von Sizas architektonischen und urbanistischen Studien. Die Casa Júlio Gesta, die statt des bekannteren Teehauses am Anfang der Schau auf Sizas moderne und mediterrane Wurzeln hinweist, konzipierte er 1961 als römisch inspiriertes Atriumhaus mit rückseitigem Peristylgarten, Dieses wirkte weiter auf den befremdend monumentalen portugiesischen Pavillon der Expo 98 in Lissabon mit seinem riesigen, zwischen Pfeilerportikus und Hauptgebäude eingehängten Baldachin. Bescheidener geben sich die 1984 fertig gestellte Casa Avelino Duarte in Ovar und der kubisch-abstrakte Tempel Santa Maria, der seit zehn Jahren einen blendend weissen Akzent in die chaotische Stadtlandschaft von Marco di Canaveses setzt. Gehorcht das äussere Erscheinungsbild von Haus und Kirche einer an Adolf Loos geschulten Kompositionsweise, so lassen die fliessenden Wände und der Oberlichtgaden im Inneren des Heiligtums an Bauten von Sizas Namensvetter Alvar Aalto denken. Der Widerspruch zwischen Aussenform und Innenraum zeigt sich auch beim Serralves-Museum in Porto, das wie ein Privathaus angelegt ist. Die Ausstellungssäle mit den wie umgekehrte Tische an den Decken klebenden Oberlichtblenden, die das Licht in all seinen Schattierungen zur Geltung bringen, warten dann aber mit einer überraschenden Grosszügigkeit auf.

Organische Einflüsse

Auch Sizas jüngsten Dialog mit modischen Bauformen stellt die Schau zur Diskussion. Die Fundação Iberê Camargo in Porto Alegre, an welcher der Meister seit 1998 plant und baut und die – typisch für die oft langsame Genese seiner Werke – schon vor der Eröffnung Patina ansetzte, flirtet mit dem Organischen: Aus der gewellten Hauptfassade wachsen Därmen gleich stumpfwinklig geknickte Rampen, die der internen Erschliessung dienen. Die Quintessenz von Sizas biomorph angehauchter Planungsstrategie stellt jedoch der jüngst mit ostasiatischem Tempo realisierte Kunstpavillon im südkoreanischen Anyang dar. Ein komplexer Baukörper wird hier von einem amöbenartig weichen Dach überfangen, so dass trotz der Kleinheit der Anlage die unterschiedlichsten Ansichten entstehen. Intimität und Grösse, Poesie und materielle Zurückhaltung prägen auch das Weingut im portugiesischen Campo Maior. Doch lagert es mit seinem schachtelartigen Volumen und den abgewinkelten Vordächern ruhig in der Landschaft und erinnert eher an Sizas Werk der neunziger Jahre. Manifestiert sich hier die Hand des Könners, so weist der Entwurf des 40-stöckigen «New Orleans»-Hochhauses in Rotterdam eine einfältige Art-déco-Bekrönung auf. Selbst von den Skizzen dieser misslungenen Arbeit aber geht etwas Magisches aus. Schade nur, dass sie – anders als die schönen Modelle – einmal mehr nicht im Original gezeigt werden.

[ Bis 25. November. Begleitpublikation: Alvaro Siza. Twenty two recent projects. Hrsg. Carlos Castanheira. Casa d'arquitectura Edições. Vila Nova de Gaia, 2007. 398 S., Fr. 80.–. ]

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