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Magie der Modelle
Neue Zürcher Zeitung

Santiago Calatravas Sportstadien im Musée Olympique in Lausanne

5. Dezember 2007 - Roman Hollenstein
Man mag von Santiago Calatravas Bauten halten, was man will. Eines ist ihnen nicht abzusprechen: die ikonenhafte Erscheinung, mit der sie vielerorts Zeichen setzen – vom Bahnhof bis zum Opernhaus. Seit den Olympischen Spielen in Athen befinden sich auch Stadien darunter. Der schönste von Calatravas meist unrealisiert gebliebenen Sporttempeln hätte in Zürich entstehen können. Doch leider vermochte sich die Jury vor fünf Jahren für sein Projekt eines neuen Hardturmstadions nicht wirklich zu erwärmen. So wird denn der stilisierte Riesenfisch mit der fast hundert Meter hohen Schwanzflosse nie durch das Zürcher Häusermeer schwimmen, obwohl er aufgrund seiner die Grösse relativierenden und den Schattenwurf minimierenden Stromlinienform bei den Anwohnern bestimmt mehr Anklang gefunden hätte als die selbstbewusste Fussballburg von Marcel Meili und Markus Peter.

Calatravas Hardturm-Entwurf fasziniert jedoch nicht nur wegen der zoomorphen Form, sondern auch wegen der ausgeklügelten Dachkonstruktion. Vorarbeiten zu diesem architektonischen Balanceakt finden sich schon in den achtziger Jahren in den ebenfalls gescheiterten Entwürfen einer Squashhalle in Berlin und des Genfer Sportzentrums «Pré Babel». Solche Fingerübungen aber führten den in Zürich tätigen Spanier zum filigranen Dach der 1995 konzipierten Fussballarena von Marseille. Im Jahr darauf verfeinerte er diese netzartige Struktur im Wettbewerb für ein Olympiastadion in Stockholm zu einer von Himmelsharfen getragenen Überdachung, die er in einem ovalen, auf die Stierkampfarenen seiner Heimat verweisenden Baukörper erden wollte. Seine Stadionträume konnte Calatrava dann endlich zwischen 2001 und 2004 im eleganten, aus Arena, Velodrom und Agora bestehenden Athener Olympiazentrum verwirklichen. Damit gelang ihm ein Gesamtkunstwerk, das erstmals seit der legendären Münchner Zeltkonstruktion von Günter Behnisch und Frei Otto wieder einem olympischen Austragungsort ein architektonisches Gesicht verlieh. Gleichwohl wirken die Einzelbauten heute – verglichen mit dem brachial anmutenden Vogelnest des Pekinger Stadions von Herzog & de Meuron – etwas parfümiert.

Nun steht die Athener Anlage im Mittelpunkt einer Calatravas Sportbauten gewidmeten Ausstellung im Musée Olympique in Lausanne, die wortkarg elf ebenso prachtvolle wie beeindruckende Modelle sowie einige Grossfotos vereint. Calatravas ersten Olympia-Auftrag, bei dem es sich allerdings nicht um ein Stadion, sondern um den skulpturalen, mit seinen 136 Metern Höhe weithin sichtbaren Telekommunikationsturm auf dem Olympiagelände von 1992 in Barcelona handelte, klammert die Schau zu Recht als gattungsfremd aus. Dennoch würde sich dieser pendelartige Himmelstürmer wohl gern mit Calatravas neusten Gleichgewichtsübungen messen – etwa dem aus kubischen Doppelaggregaten zusammengefügten Universitätsgebäude mit angedockter Sporthalle, das in Maastricht Realität werden soll. Scheint dieses wie ein libellenartiges Raumschiff über einer spiegelnden Wasserfläche zu schweben, so erinnert die vor zwei Jahren entworfene Schwimmhalle der Universität Tor Vergata in Rom mit ihren plissierten Dächern bald an einen räumlich verdrehten Fächer, einen Lampion oder eine exotische Blüte. All dieser Formenzauber verdichtet sich zur Erkenntnis, dass stumme Modelle selten eine grössere Eloquenz entfaltet haben als in dieser Calatrava-Schau.

[ Bis 6. Januar im Musée Olympique in Lausanne. Kein Katalog. ]

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