Artikel

Bautechnische Höhenflüge
Neue Zürcher Zeitung

Der britische Architekt Richard Rogers im Centre Pompidou in Paris

Mit dem 1977 vollendeten Centre Pompidou wurden Renzo Piano und Richard Rogers zu gefeierten Stars. Nun widmet das Pariser Museum dem britischen Architekten eine fulminante Retrospektive.

20. Dezember 2007 - Roman Hollenstein
Kaum sonstwo gibt sich Paris derzeit so festlich wie beim Centre Pompidou. In der ebenerdigen Südgalerie des technoiden Musentempels werden zahllose Lichter von pink, gelb und blau lackierten Tischen reflektiert, auf denen architektonische Modelle leuchten. Sie verwandeln den grossen Saal in ein Spielzeugparadies, das die Passanten magisch anzieht und sie zum architektonischen Window Shopping verlockt. Das Prinzip der Offenheit, das Renzo Piano und Richard Rogers in ihrer 1977 vollendeten Museumsmaschine anstrebten, überzeugte selten mehr als bei dieser Ausstellung, welche die Pariser Institution in ihrem Jubeljahr einem ihrer beiden Architekten, Richard Rogers, ausrichtet. Der 1933 in Florenz geborene Londoner Baukünstler nutzte die ihm gebotene Gelegenheit zur Selbstdarstellung und inszenierte eine fulminante Schau, in die das Publikum in Massen strömt.

Architektur in der Vitrine

Seit der Gründung seines eigenen Büros vor nunmehr 30 Jahren hat Rogers zusammen mit seinem basisdemokratisch organisierten Team rund 400 Projekte erarbeitet, von denen viele realisiert wurden. Darunter befinden sich Ikonen wie das Lloyd's Building in London oder der Gerichtspalast von Bordeaux, aber auch umstrittene Bauwerke wie der zeltartige Millennium Dome – dessen Teflongewebe im Film «The Earth is not enough» immerhin James Bonds Sturz aus grosser Höhe abzufedern vermochte. Ebenso sehr wie über diese populäre Szene dürfte sich Rogers über den Pritzker-Preis gefreut haben, der ihm heuer für seine wegweisenden Bauten, aber auch für seinen Kampf gegen den städtebaulichen Niedergang verliehen wurde. Die Idee von der Stadt als baukünstlerisch durchdachtem Konstrukt liegt auch seiner Ausstellung zugrunde. Die vieleckigen Tische, auf denen gut 45 Projekte präsentiert werden, gleichen Häuserblocks, die sich zu den Quartieren einer Stadt verdichten. Sieben dieser Stadtviertel sind mit «Öffentlicher Raum», «Lesbarkeit», «Transparenz», «Urbanismus», «Umweltverträglichkeit», «Leichtigkeit» und «Systembau» bezeichnet. Am Eingang zur Schau verweist zudem ein isolierter Häuserblock auf Rogers' Frühwerk, während in der diagonal gegenüberliegenden Ecke in einem weiteren Quartier die im Bau befindlichen Werke zelebriert werden.

Der jedem Hierarchiedenken abholden Weltsicht des Meisters entsprechend können sich die Besucher frei auf den durch die Schau führenden Strassen bewegen und ganz individuell dem Œuvre nähern. Wer Halt in dieser flirrenden Ausstellungsstadt sucht, wird sich der riesigen Collage zuwenden, die auf der Rückwand des dreiseitig verglasten Saales eine chronologische Werkübersicht vermittelt – von den frühen Arbeiten, die Rogers zwischen 1963 und 1967 zusammen mit Norman Foster im Team 4 schuf bis hin zum Leadendall-Hochhaus in der Londoner City, das bald schon Renzo Pianos formal, aber nicht strukturell verwandter «Glasscherbe» antworten wird, die südlich der Themse entstehen soll.

Am Anfang des Modellreigens im Centre Pompidou steht jedoch das Zip-Up-Haus, das Rogers und seine damalige Frau Su Brumwell 1969 als Prototyp entwickelten. Die gelbe Hülle, die Bullaugen und die Metallstelzen machen es zu einem Vorläufer von High-Tech und Ökoarchitektur. Indem die energiesparende modulare Konstruktion des Zip-Up-Hauses auf Vorbilder wie Buckminster Fuller, Charles Eames und Jean Prouvé verweist, bietet sie den Schlüssel zu Rogers' späterem Schaffen. Es war denn auch Prouvé, der sich als Jurymitglied des Centre-Pompidou-Wettbewerbs für das Projekt von Rogers und Piano starkmachte. Neben dem bautechnischen Höhenflug wurde die soziale Dimension zum zentralen Thema ihrer ganz im Sinn von Archigram als radikales architektonisches Manifest konzipierten Kulturmaschine. Eine genauso wichtige Rolle wie der von aussen lesbaren Konstruktion kam deshalb der ins Häuserdickicht von Paris geschlagenen Piazza zu, die sich durch die Glasfassade hindurch ins Museumsforum weitet und dank den Rolltreppen-Kaskaden auch vertikal über das Gebäude ausbreitet.

Ausgehend von der faszinierenden Dokumentation des Centre Pompidou, die einen zum Erkunden des gebauten Originals animiert, sind unterschiedliche Promenaden durch die Ausstellung möglich. Nach wenigen Schritten begegnet man unter dem Stichwort «Lesbarkeit» den Maquetten des Londoner Lloyd's Building, das Rogers nach der Vollendung des Pariser Jahrhundertwerks zwischen 1978 und 1982 als ersten Grossauftrag in eigener Regie verwirklichte. Die schon im Centre Pompidou angedeutete Trennung von dienenden und bedienten Bauteilen wird hier – im Dialog mit Louis Kahns Laborgebäude in Philadelphia – perfektioniert. Aber auch eine Begeisterung für die Transparenz von Pierre Chareaus Glashaus oder für die organischen Strukturen der japanischen Metabolisten ist zu spüren. Obwohl Rogers im Glasgewölbe, das den Lichthof überspannt, sogar Joseph Paxtons Londoner Kristallpalast zitierte, zog er mit dem Lloyd's-Neubau, dem eigenwilligsten und besten Gebäude, welches in den vergangenen Jahrzehnten in Londons City entstanden ist, den Zorn von Prinz Charles auf sich. Dabei träumen beide von einer lebenswerten Stadt. Allerdings verbindet der königliche Architekturkritiker diese mit einem harmonischen, historisch intakten Erscheinungsbild, während es dem 1996 zum Lord of Riverside geadelten Baukünstler um den lebendigen, unkommerziell gestalteten öffentlichen Raum geht. Davon künden seine urbanistischen Projekte – allen voran die 1986 ausgearbeitete Vision von «London as it could be», in der Rogers die Ufer der Themse in eine pulsierende Flaniermeile verwandeln und den Fluss durch futuristische, zwischen Skulptur und Raffinerie oszillierende Bauten beleben wollte.

Gebaute Widersprüche

Die aus dem Lloyd's Building gewonnenen Erkenntnisse beeinflussten den 1994 eröffneten neuen Sitz des Senders Channel 4, der sein Innenleben dank den übereinander gestapelten, an Fernsehapparate erinnernden Boxen der Sitzungszimmer und der strukturell verglasten, über mehrere Galerien sich öffnenden Lobby gleichsam nach aussen stülpt. Ähnlich transparent gibt sich der Justizpalast von Bordeaux (1998), ein gläserner Schrein, der sieben hölzerne, an konische Fässer gemahnende Gerichtssäle umhüllt. Diese Architektur zeugt ebenso wie das vor anderthalb Jahren vollendete walisische Parlamentsgebäude in Cardiff von Rogers' Interesse am umweltbewussten Bauen. Den hier aufgestellten Standards vermag dann aber der neue Terminal des Barajas-Flughafens in Madrid (1996–2005), der in der Ausstellung den Systembau veranschaulicht, trotz natürlicher Belüftung und Sammlung des Oberflächenwassers kaum zu genügen.

Konsequenter durchgeformt ist dagegen der gleichfalls 1996 entworfene, aber schon 1999 vollendete Millennium Dome. Seine Leichtbauweise weist zurück auf das 1990 an einem Meccano-Modell entwickelte Projekt des kleinen, kranförmigen Tomigaya-Ausstellungsturms in Tokio. Doch ausgerechnet diese wichtige Miniatur konnte Rogers, dem sonst in Japan das Glück lacht, nicht realisieren. Auch auf ästhetischem Gebiet reüssierte Rogers nicht immer, wie der Europäische Gerichtshof in Strassburg oder die Bauten am Potsdamer Platz in Berlin beweisen. Formal geschliffener, architektonisch jedoch brüchiger als die früheren Arbeiten sind Rogers' neuste, meist von seinen Büropartnern betreute Projekte: vom überinstrumentierten Umbau der neo-maurischen Stierkampfarena von Barcelona in ein Shoppingcenter bis hin zu den Londoner Luxushäusern. Die Pariser Schau demonstriert aber eindrücklich, dass all diese Schwächen die Bedeutung des Gesamtwerks nicht trüben können.

[ Bis 3. März 2008 im Centre Pompidou in Paris. Katalog: Richard Rogers + Architectes. Hrsg. Oliver Cinqualbre. Editions Centre Pompidou, Paris 2007. 240 S., € 39.90. ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: