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Phantasmagorien des Vergangenen
Neue Zürcher Zeitung

Frankfurt am Main plant neue Rekonstruktionen im historischen Zentrum

Viele Architekten haben sich schon am Römerberg in Frankfurt den Kopf zerbrochen. Nun sollen die Neubauten der siebziger Jahre eliminiert werden. Doch die Alternativen können nicht überzeugen.

10. März 2008 - Hubertus Adam
Ein Modell im Historischen Museum zeigt Frankfurts Innenstadt nach den verheerenden Luftangriffen vom 22. März 1944 als endloses Trümmerfeld zwischen Dom und Römerberg, zwischen Paulskirche und Main: Vereinzelte Fassaden früherer Steinbauten erinnern noch an die Messe- und Kaiserstadt, und als einziges Fachwerkgebäude hat das Haus Wertheym zwischen Römer und Fluss wie ein Wunder das Inferno überstanden. Inzwischen weiss man, dass dieses Modell die Wirklichkeit nur bedingt wiedergibt. Deutlich mehr Relikte hatten nämlich den Feuersturm überlebt und fielen erst 1950 dem Abriss zum Opfer, der den Wiederaufbau vorbereitete.

Gleich daneben dokumentiert ein seit 1926 erarbeitetes und 1955 erstmals ausgestelltes Modell der Brüder Treuner den gleichen Bereich vor der Zerstörung. Dicht gedrängt umgeben die Fachwerkhäuser exponierte Bauten und Plätze – den Dom, den Römer oder den Saalhof. Doch was retrospektiv zum pittoresken Stadtbild stilisiert wird, stand schon um 1900 zur Disposition. Im Zuge der gründerzeitlichen Modernisierung der Stadt war die Braubachstrasse als Ost-West-Achse durch den historischen Baubestand zwischen Paulskirche und Römer geschlagen worden. Der Neubau des Rathauses folgte dem Geist eines nationalromantischen Historismus, während entlang dem neuen Strassenzug Bauten entstanden, welche alte Frankfurter Bautraditionen zitierten, hinsichtlich Proportion und Volumetrie indes einem anderen Massstab folgten.

Kontinuität der Transformation

Mochte vordergründig auch das Bild der altertümlichen Handwerkerstadt beschworen werden, so galt das historische Zentrum mit seinen engen Gassen und schmalen Häusern keineswegs als attraktiv. Wie in anderen deutschen Städten führt auch in Frankfurt eine Linie von der Zeit der urbanistischen Erneuerung um 1900 über das Neue Bauen bis hin zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Nicht überall avancierte die Ideologie der verkehrsgerechten Stadt, welche Historizität nur noch in Form versprengter baulicher Traditionsinseln zuliess, zum alleinigen Dogma. Doch erst das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 markierte ein Umdenken. Es führte zu einem breiten Interesse an historischen Stadtvierteln oder Gründerzeitquartieren.

Seinen deutlichsten Ausdruck fand der Paradigmenwechsel in Frankfurt mit dem heftig umstrittenen, 1986 fertiggestellten Nachbau von sieben Altstadthäusern am Römerberg. Bereits 1978 hatte sich die Stadtverordnetenversammlung gegen eine bisher vorgesehene moderne Lösung entschieden, dann aber im Dom-Römerberg-Wettbewerb von 1980 – aus dem die Schirn Kunsthalle hervorging – den Architekten noch einmal nahegelegt, Alternativen zur pseudohistorischen Rekonstruktion zu erarbeiten. Ausser Konkurrenz blieb der Vorschlag von Adolfo Natalini und Superstudio, der die sich überlagernden Zeitschichten lesbar gemacht hätte. Das Büro aus Florenz thematisierte ebenso den rigiden Raster der Tiefgarage, die inzwischen das Gelände ausfüllte, wie die historische Gassenstruktur der Altstadt. Der Vorschlag sei «eines der schönsten Architekturgedichte der jüngsten Architekturgeschichte», urteilte seinerzeit Oswald Mathias Ungers. Doch am Ende setzte sich das nach Fotografien nachgeschaffene historische Bild durch.

Die beiden heute am meisten angefeindeten Bauwerke der Frankfurter Innenstadt waren 1975 gerade einmal drei Jahre alt: das aus drei miteinander verbundenen Turmbaukörpern bestehende Technische Rathaus, das sich südlich der Braubachstrasse zwischen Dom und Römer erhebt, sowie das Historische Museum, welches den Komplex der von der staufischen Pfalz übrig gebliebenen Saalhofkapelle, des Rententurms und zweier Palais zum Römerberg hin schliesst. Bei beiden Gebäuden handelt es sich um typische Zeugen ihrer Zeit. Abgesandte des Architekturolymps sind sie nicht, und dennoch befremdet die Entschiedenheit, mit der ihr Abriss betrieben wird. Wirklich störend im Stadtbild wirkt weder das eine noch das andere; und doch sind weder das von öffentlichen Durchgängen ohne Aufenthaltsqualität durchzogene Technische Rathaus noch das graue Betongeschiebe des Historischen Museums besonders attraktiv. Wie sich Gebäude präsentieren, hängt aber auch von ihrem Gebrauch ab. So stellt denn nicht das Technische Rathaus selbst das Problem dar, sondern die falsche Nutzung und die damit verbundene Verwahrlosung der öffentlichen Erdgeschosszonen. Wie es auch anders gehen könnte, zeigen das Barbican Centre und die Brunswick Terraces in London, die durch gezielte architektonische Interventionen zu neuem Leben erweckt wurden und nun als hip gelten. Für die Frankfurter Bauten, welche die Kunsthalle Schirn und den im «Steinernen Haus» beheimateten Kunstverein als Nachbarn haben, wären ähnliche Szenarien denkbar gewesen. Doch hat man nun den vermeintlich leichteren Weg des Abrisses gewählt. Doch es kommen Zweifel auf, ob das, was entstehen soll, tatsächlich besser werden wird.

Die Stadtverordnetenversammlung hatte 2005 entschieden, das Jahre zuvor verkaufte Technische Rathaus erneut zu erwerben und das Areal neu zu bebauen. Als das Architekturbüro KSP Engel und Zimmermann 2006 den Wettbewerb mit einer kleinteilig parzellierten, sonst aber modern anmutenden Gebäudestruktur gewonnen hatte, setzte harsche Kritik ein. Eine Planungswerkstatt mit Bevölkerungsbeteiligung wurde durchgeführt, und am Ende legte die Stadtregierung den neuen Kurs fest: Einige bauhistorisch bemerkenswerte Häuser der Altstadt sollen rekonstruiert, die übrigen auf den alten Parzellengrenzen in einer zeitgenössisch-vermittelnden Formensprache errichtet werden. Auf jeden Fall will man in Frankfurt Fehler wie beim Dresdner Neumarkt vermeiden, wo gross dimensionierte Geschäftsflächen mit nachgeahmten Barockfassaden verkleidet werden. Angesichts der Rekonstruktionsmanie, die in Deutschland derzeit ständig neue Kopien zerstörter Gebäude gebiert, während originale Bausubstanz abgerissen wird, bleiben zentrale Fragen unbeantwortet: etwa die, wie eine Rekonstruktion möglich sein soll, wenn detaillierte Bauaufnahmen fehlen.

Neubau oder Sanierung?

Dass sich heutige Nutzungsanforderungen und der Wunsch nach kleinteiliger Parzellierung nur schwer vereinen lassen, beweist der im Februar entschiedene Wettbewerb für den Neubau des Historischen Museums. Viele der Teilnehmer versuchten, das Konglomerat der historischen Bauten zu einem Geviert zu ergänzen, aber durch Vor- und Rücksprünge an den Fassaden oder eine kleinteilige Giebelstruktur zu gliedern. Einige Vorschläge – etwa diejenigen von Christoph Mäckler oder von Max Dudler – waren durchaus bedenkenswert. Zum Sieger gekürt wurde indes das Projekt von Lederer, Ragnarsdóttir, Oei aus Stuttgart. Sie verlegen die Hauptausstellungsräume in einen wuchtigen Riegel mit doppeltem Giebeldach, der durch einen neu angelegten Platz vom alten Teil des Historischen Museums getrennt ist und sich vor die Nikolaikirche schiebt. Ohne Not wird der Baukörper unterirdisch erschlossen, um einen trichterförmigen Platz zwischen beiden Museumsteilen zu schaffen. Dieser Platz aber folgt weder der historischen Stadtstruktur, noch stellt er einen Zugewinn für die Passanten dar. Begeisterung vermag der Entwurf nicht hervorzurufen, und so muss sich Frankfurt fragen, ob nicht doch Sanierung und Umbau der bestehenden Struktur sinnvoller wären.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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