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Architektur mit Glamour
Neue Zürcher Zeitung

Der Fotograf Julius Shulman in einer Lausanner Ausstellung

14. März 2008 - Roman Hollenstein
Mit verführerischen Aufnahmen in Magazinen wie «Life» und «Time» machte Julius Shulman die modernistische Architektur im konservativen Amerika der Wirtschaftswunderjahre zum Stadtgespräch. Der 1910 in New York geborene Meister der Inszenierung hatte vergleichsweise spät zur Fotografie gefunden. Anfang der dreissiger Jahre begann er, vom Studium angeödet, mit einer Pocketkamera zu experimentieren und hielt zunächst auf winzigen Abzügen stählerne Brückenkonstruktionen und Wendeltreppen fest, die irgendwie an Bauhaus-Fotos erinnern. Doch 1936 veränderte eine Bildserie über Richard Neutras Kun House sein Leben: In ihr hielt er die Villa in den Hügeln von Los Angeles aus unkonventionellen Blickwinkeln fest, von denen einer das Gebäude wie nach einem Erdbeben zeigt. Das hatte nichts mehr mit den nüchternen Sujets der gängigen Architekturfotografie zu tun. Neutra zeigte sich ebenso begeistert wie sein Kollege Raphael Soriano, der ihn umgehend bat, das Haus der Pianistin Helen Lipetz in Silverlake aufzunehmen.

Häuser und Geschichten

Diese und andere frühe Aufnahmen für Neutra und Soriano, der das Atelierhaus des Fotografen bauen sollte, bilden die eigentliche Überraschung der Shulman-Schau, die derzeit in der Galerie «Archizoom» der ETH Lausanne zu sehen ist. Handelt es sich dabei doch um kaum bekannte Fotos aus einer 100 Abzüge umfassenden Schenkung des italoschweizerischen Architekten Alberto Sartoris an die Lausanner Hochschule. Die Aufnahmen, an welchen sich die Entwicklung von Shulmans Stil ablesen lässt, bilden eine ideale Ergänzung zur schönen Auswahl von 70 Highlights aus dem Schaffen des Amerikaners, die vor zwei Jahren bereits in Frankfurt gezeigt worden war.

Nach diesem fulminanten Start wartete Shulman bald schon mit ersten Meisterwerken wie der Nachtaufnahme des mit einem beleuchteten Korkenzieher-Turm bekrönten Academy Theatre in Hollywood auf, in denen sich Licht, Raum und Perspektive zu magischen Bildern verdichten. Kurz darauf begann er die Bauten mit Menschen und Gegenständen erzählerisch aufzuladen und damit auch für ein Laienpublikum attraktiv zu machen. So fotografierte er William E. Fosters «Shangri La»-Hotel in Santa Monica mit einem Rolls-Royce, aus dem eine junge Dame und ein älterer Herr steigen, oder mit Tennisspielern, die von einem jungen Pagen kühle Drinks entgegennehmen. Nach dem Krieg verlieh er dem ufoartigen Haus des Schweizer Architekten Albert Frey in Palm Springs mit einer Swimmingpool-Szene einen Hauch von Sinnlichkeit; und die legendären, als Prototypen für den Mittelstand gedachten Case Study Houses bevölkerte er mit seltsam isoliert wirkenden Paaren. Kein Wunder, dass der glamouröse Zusammenklang von spektakulären Bauten und perfekt gekleideten Modellen schliesslich die Modefotografie beeinflusste.
Verlust der Seele

Zur Ikone der Architekturfotografie des 20. Jahrhunderts aber wurde das gleichsam über dem Lichtermeer von Los Angeles schwebende Stahl House von Pierre Koenig, welches von der unergründlichen Atmosphäre der Bilder Edward Hoppers erfüllt zu sein scheint. Doch auch Oscar Niemeyers Brasilia oder Eladio Diestes Backsteingewölbe in Uruguay sah er mit den Augen eines Künstlers. Wie einzigartig Shulmans Blick auf eine durch Menschen, Tiere oder Objekte belebte Architektur einst war, machen die letzten Bilder der Lausanner Schau klar. Sie zeigen Frank Gehrys Disney Concert Hall in Los Angeles oder das Kindermuseum von Abraham Zabludovsky im mexikanischen Villahermosa, die der Meister vor drei Jahren zusammen mit Jürgen Nogai aufgenommen hat. Auch sie sind sicher komponiert und informativ – aber ohne Seele. Hier tritt der greise Shulman ganz offensichtlich in die Falle jener zeitgenössischen Architekturfotografie, die – im Wettstreit mit Renderings – immer mehr auf Hochglanzperfektion setzt.

[ Bis 4. April (täglich ausser sonntags) in der Galerie «Archizoom» der ETH Lausanne. Kataloge: Ein Leben für die Architektur. Der Fotograf Julius Shulman. Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, 2005. 48 S., Fr. 24.–. – Julius Shulman dans les collections des Archives de la construction moderne. Hrsg. Archives de la construction moderne, Lausanne 2008. Fr. 20.–. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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