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Formen der Erinnerung
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung zum Architekten Fabio Reinhart in Biasca

In den späten siebziger Jahren war Fabio Reinhart ein Stern am Himmel der Tessiner Architektur. Nun kann man dem geschichtsbewussten Baukünstler in einer Ausstellung in Biasca wiederbegegnen.

17. März 2008 - Roman Hollenstein
Originelle Geister sind in der heutigen, von Starkult, Modeströmungen und Investorengeldern bestimmten Architekturwelt rar geworden. Selbst Vordenker wie Rem Koolhaas scheinen sich nur noch für das schnelle Bauen und die Wucherungen der Riesenstädte zu begeistern. Das war in der Zeit nach den Studentenunruhen anders. In Ermangelung von Aufträgen träumten junge Baukünstler damals von wandernden Städten und riesigen, die Landschaft überziehenden Megastrukturen oder spielten nicht ohne Ironie mit dem historischen Formenschatz. Eine der eigenwilligsten Persönlichkeiten war der 1942 in Bellinzona geborene Fabio Reinhart. Inspiriert von Aldo Rossis Analyse der europäischen Stadt, entwarf er zusammen mit Bruno Reichlin eine Architektur, in deren Zentrum die vielschichtige, dem Gebauten innewohnende Erinnerung stand. Mit einem Schlag berühmt wurden sie Mitte der siebziger Jahre mit zwei Wohnhäusern, der Casa Tonini in Torricella bei Lugano und der Casa Sartori bei Riveo im Maggiatal. In beiden näherten sie sich mit den Mitteln der zeitgenössischen Architektur der palladianischen Villentypologie und stilisierten dabei die klassizistische Formensprache, ohne aber einem postmodernen Flirt mit antiken Versatzstücken zu verfallen.

Die Stimmung des Ortes

Doch bald schon galt Reinhart mit seinem Hang zur Geschichte als Exot in der rational gefärbten Tessiner Architektenszene. So war den subtilen Projekten, die er und Reichlin für die Umgestaltung des Castelgrande in Bellinzona (1974) oder für den Schulhausneubau in Montagnola (1978) entwarfen, kein Erfolg beschieden. Die einzigartige Fähigkeit, mit der sie die Stimmung eines Ortes zu verdichten wussten, verhalf den von ihnen konzipierten Interventionen in Rheinfelden (1978) und in Laufenburg (1990) ebenso wenig zum Durchbruch wie den urbanistischen Entwürfen für Rotterdam, München und Berlin. War die Restrukturierung eines Häuserblocks an der Berliner Kochstrasse noch ganz im Geiste Aldo Rossis, so fand Reinhart beim Spandauer Bahnhof (1991) wie zuvor schon beim Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe zu zeichenhaften Darstellungen, die mitunter an die futuristischen Grossstadtbilder von Antonio Sant'Elia und Mario Chiattone gemahnen. In ihrer magischen Ausstrahlung veranschaulichen diese Visionen gleichsam die Quintessenz der Mitte der achtziger Jahre von Reinhart und Miroslav ik an der ETH Zürich erarbeiteten Entwurfsstrategie der «Analogen Architektur», die einige der besten Deutschschweizer Architekten der mittleren Generation ganz entschieden prägen sollte.

Parallel zur Lehrtätigkeit, die ihn später über Deutschland zurück in die italienischsprachige Welt führte, konnte Reinhart 1990 noch mit Reichlin das Mövenpick-Autobahnhotel bei Bellinzona realisieren, das die Burgen und Mauern der Stadt ebenso zitiert wie klassizistische Palazzi oder, mit einem Augenzwinkern, die bildhafte Ziegelbaukunst Mario Bottas. Eine gleichzeitig von Reinhart geplante Reihenhaussiedlung über dem Park von Antonio Crocis Villa Argentina, dem heutigen Verwaltungssitz der Architekturakademie Mendrisio, hätte ganz im Sinne von Crocis Bauwerk mit den Stilen der Vergangenheit gespielt. Doch diese Follies sollten wie so viele andere Projekte nicht über die betörenden Zeichnungen hinauskommen. Ihnen kann man derzeit in einer grossen Retrospektive begegnen, die – anlässlich von Reinharts 65. Geburtstag von der Architekturfakultät «Aldo Rossi» in Cesena zusammengestellt – letztes Jahr schon in Neapel, Ravenna und Cesena gezeigt wurde und nun in der Casa Cavalier Pellanda in Biasca zu sehen ist. Auch wenn das Ausstellungshaus etwas entlegen scheinen mag, könnte es nicht idealer sein, wurde dieses Juwel der Tessiner Spätrenaissance doch zwischen 1984 und 1987 von Reinhart und Reichlin mit viel Herzblut restauriert und zu einem Kulturzentrum umgebaut.

Metaphysische Innenräume

Im sonst nicht zugänglichen Annexbau der Casa Pellanda, in welchem sich der Aufgang zu den Verwaltungsräumen des Museums befindet, durfte Reinhart vom pyramidenförmigen Entrée bis hin zur rot gepolsterten Türe im Fifties-Stil seine innenarchitektonische Phantasie ausleben. Anlässlich der Ausstellung wurde dieses leicht surreal anmutende Treppenhaus zum Museumseingang umgewidmet und ist nun ein Hauptexponat der Schau. In den historischen Räumen werden dann alle wichtigen Bauten und Projekte präsentiert, die Reinhart anfangs mit Reichlin und später mit anderen Kollegen konzipierte. Neben Fotos und Modellen – darunter im stimmungsvollen Kellergewölbe eine grosse Maquette des Mövenpick-Hotels – dominieren phantastische, in dieser Qualität seit dem 19. Jahrhundert kaum je mehr angefertigte Pläne und Ansichten.

Viel Platz nimmt die Restaurierung der Casa Croci in Mendrisio ein. Der Eklektizismus dieses Meisterwerks entspricht Reinharts «analogem» Architekturwollen derart, dass man es für sein eigenes Werk halten könnte – zumal der Architekt sich im Innern einige dekorativ-metaphysische Spielereien erlaubt hat. Ähnliches gilt für das Opernhaus von Genua, das Reinhart zusammen mit seinen Mentoren Rossi und Ignazio Gardella gestalten durfte. Vorgestellt werden aber auch ganz neue Arbeiten – etwa die städtebaulichen Entwürfe für Vicenza und Siracusa sowie seine bisher letzte bauliche Realisation: eine poetische Villa hoch über dem Luganersee in Vernate (1999), die man als Hymne auf das Schreinerhandwerk bezeichnen möchte. Auch wenn Reinhart bis anhin nur wenige Werke ausführen konnte, schuf er doch ein eindrückliches architektonisches Universum. Diesem versucht sich der schön illustrierte Katalog mit einer Sammlung von Aufsätzen zu nähern, verzichtet dabei aber leider auf einen gültigen Überblick über die in fast vierzig Jahren entstandenen Bauten und Projekte. Umso wünschbarer wäre es deshalb, wenn das in Biasca vereinte Material seinen Weg auch in ein Deutschschweizer Museum finden könnte.

[ Bis 6. April in der Casa Cavalier Pellanda in Biasca (jeweils am Mittwoch-, Freitag-, Samstag- und Sonntagnachmittag). Katalog: Fabio Reinhart. Architettura della coerenza. Cooperativa libreria universitaria editrice, Bologna 2007. 223 S., Fr. 45.–. ]

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