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Wolkenkuckucksheim
Neue Zürcher Zeitung

Das Hochhaus und die Landschaft

2. April 2008 - Roman Hollenstein
Es war heftig umstritten, das Hochhausprojekt von Mario Botta, das Celerina im Oberengadin einen himmelweisenden Akzent verleihen sollte. Nach leidenschaftlichen Debatten wurde nun der prismatisch-kristalline Hotelturm, der – anders als das von Herzog & de Meuron hoch über Davos als isolierter Akzent geplante Haus – mit seinen 17 Geschossen sogar die Kirche von Celerina überragt hätte, soeben von der Gemeindeversammlung abgelehnt.

Mit scharfen Artikeln in der Tagespresse war das Bauwerk nicht zuletzt von Mailändern und Tessinern bekämpft worden, die dort in Pseudo-Engadinerhäusern ihre Zweitwohnungen besitzen. Sie verwiesen auf Bottas überdimensioniertes Spielkasino in Campione d'Italia am Luganersee. Ihm gegenüber – beim Seedamm von Melide – soll nun eine der wertvollsten klassizistischen Villen des Tessins, die lange als Nachtklub bekannte «Romantica», einem Neubau weichen. Nicht ein Hotel wie in Celerina, sondern Luxusapartments sollen hier entstehen.

Nachdem die Gemeinde Melide grünes Licht gegeben hatte, wuchs in den vergangenen Wochen der Widerstand gegen das Projekt mit dem Resultat, dass der Investor Behjget Pacolli die Flucht nach vorn ergriff und der Gemeinde nun gleich mehrere Planungsvarianten vorschlug. Darunter findet sich neben solchen, die weiterhin den Abbruch der «Romantica» vorsehen, auch ein höchst spektakulärer Entwurf von Zaha Hadid. Sie will die Villa erhalten und dafür im kleinen Park einen 75 Meter hohen Turm aus übereinandergestapelten Wolken aus Aluminium und Glas errichten.

Im Interesse der Villa und des zukunftsweisenden Bauprojekts möchte man Melide die Zustimmung zu Hadids Wolkenkuckucksheim empfehlen, zumal schon Rino Tami vor vierzig Jahren für diese exponierte Stelle ein 22-stöckiges Hochhaus vorgeschlagen hatte. Zu klären bleibt allerdings die Frage, ob die – trotz Verkehrsbauten und wuchernden Dörfern – noch immer einzigartige Seelandschaft ein derartiges Zeichen überhaupt verkraften würde.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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