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Monumente der Macht
Neue Zürcher Zeitung

Das Dilemma westlicher Architekten in China

14. April 2008 - Roman Hollenstein
In Architektenkreisen gelten sie vor allen andern Stars als Leitfiguren: der Niederländer Rem Koolhaas und die beiden Basler Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Mit ihren Schöpfungen eröffnen sie der Baukunst neue Wege und verleihen zudem den Metropolen dieser Welt begehrte Wahrzeichen. Wie keine andere Stadt profitiert derzeit von ihrem Können Peking, wo das Olympiastadion des Schweizer Duos und der vom Rotterdamer Alleskönner entworfene Sitz des chinesischen Staatsfernsehens CCTV vom waghalsigen Höhenflug der zeitgenössischen Architektur berichten. Mit solch innovativen Meisterwerken, die andernorts allein schon aus Kostengründen unrealisierbar wären, will Chinas Regierung der eigenen Bevölkerung und dem internationalen Publikum das Bild einer hochmodernen Nation vorführen. Verschwiegen wird dabei die Tatsache, dass diese architektonischen Markenzeichen nur dank einem Heer von schlechtbezahlten Wanderarbeitern möglich sind, die mit fronartiger Akkordarbeit ihre Gesundheit riskieren.

Tiefgreifender Wandel

Schon bevor sich Peking 2001 die diesjährigen Olympischen Sommerspiele sichern konnte, hatten sich Zentren wie Shenzhen oder Schanghai durch den Wirtschaftsboom tiefgreifend zu wandeln begonnen: Hochhäuser, Wohnquartiere sowie Verkehrsbauten wurden aus dem Boden gestampft – und bald auch ganze Neustädte. Zur gleichen Zeit entdeckte das Regime das Prestige westlicher Architektur. Den Anfang machte der Franzose Paul Andreu, der 1999 den Zuschlag für das im Volksmund kritisch «Ei» genannte Nationaltheater am Tiananmenplatz in Peking erhielt. Ohne grosse politische Bedenken suchte danach eine wachsende Zahl von europäischen, amerikanischen, australischen und japanischen Architekten ihr Glück im neuen Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Unter diesen befanden sich auch Herzog & de Meuron, die 2002 den Wettbewerb für das olympische Nationalstadion für sich entscheiden konnten.

Ihr visionäres Projekt begeisterte nicht nur die internationale Jury, sondern anschliessend auch die zur Besichtigung und Kommentierung der Projekte eingeladene Bevölkerung. Gleichwohl ging die Realisierung nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten, wie der Dokumentarfilm «Bird's Nest» jüngst zeigte. Doch selbst Intrigen und politisch bedingte Bauverzögerungen liessen die Basler anscheinend nicht darüber nachsinnen, ob sie mit ihrem Bauwerk wirklich einen Beitrag zu der vom Internationalen Olympischen Komitee erhofften Öffnung des Landes leisteten oder nicht vielmehr ein Unterdrückungssystem stützten. Spätestens seit den Entwicklungen rund um Tibet ist aber klar, dass sie mit dem «Vogelnest», das laut Herzog «wie kein anderes Gebäude China verkörpert», ungewollt ein Monument geschaffen haben, welches unter dem Deckmantel des Sports die Macht des Regimes zum Ausdruck bringt.

Die Blauäugigkeit, mit der sich die Schweizer auf ihr China-Abenteuer einliessen, zeigt, dass sie wenig aus der unheilvollen Verquickung von Architektur und Gewaltherrschaft im 20. Jahrhundert gelernt haben. Sie erstaunt aber auch deswegen, weil Jacques Herzog noch 2001 in dieser Zeitung meinte: Aus Gründen des Branding «müssen wir schauen, wo wir mitmachen». Statt von den Olympischen Spielen zu profitieren, könnte ihre Marke jetzt, da sich die versprochene Verbesserung der Menschenrechtssituation als reines Lippenbekenntnis der Machthaber erwiesen hat, Schaden nehmen. Gleichzeitig müssen Herzog & de Meuron einsehen, dass sie mit ihrem Engagement zu Handlangern eines unzimperlichen Regimes geworden sind. Mehr noch als Koolhaas' CCTV-Hochhaus, der neue Pekinger Flughafen von Norman Foster oder der blaue Blasenkörper der Schwimmhalle von PTV Architects aus Sydney könnte das zeichenhafte Olympiastadion zudem – ähnlich wie bereits die elegant gestylte olympische Fackel – zum Symbol eines China werden, das Dissidente, Bürgerrechtler sowie Minderheiten unterdrückt und in Tibet ein ganzes Volk in die Knie zwingt.

Komplexe Situation

Damit finden sich die Basler zusammen mit vielen anderen westlichen Architekten, die sich noch so gerne haben täuschen lassen, in einem Dilemma wieder. Wenn sie dieser Entwicklung zuvorkommen und gleichzeitig als moralisch integre Vordenker glaubwürdig bleiben wollen, so müssten sie (und Koolhaas mit ihnen) die Stimme erheben, dies umso mehr, als schon die Architekturbiennale von Venedig im Jahr 2000 von den Baukünstlern «More Ethics» gefordert hatte. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn für bauende Architekten ist die Situation eine andere als für Künstler wie Steven Spielberg, der vor zwei Monaten mit seinem Plädoyer für Darfur bei Chinas Machthabern auf taube Ohren gestossen war und daraufhin als künstlerischer Berater der Olympischen Sommerspiele in Peking zurücktrat. Eine öffentliche Kritik der Vorgänge in Tibet durch Herzog & de Meuron, in denen die Chinesen dem Vernehmen nach zurzeit die grössten Architekten der Gegenwart sehen, könnte nämlich nicht nur für sie mit unvorhersehbaren Konsequenzen verbunden sein, sondern unter Umständen auch die Träume vieler anderer Bauwilliger im Reich der Mitte gefährden. Gewinnen dürfte aber allenfalls Chinas neue, mit der Baukunst des Westens längst vertraute Architektengeneration, die nur darauf wartet, sich in Sachen Kreativität mit ihren Vorbildern zu messen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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