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Vollgas in der Wüste
Der Standard

Der Bauboom in den Vereinigten Arabischen Emiraten rast ohne Speedlimit von einer Etappe zur nächsten. Die Architekten und Ingenieure dieser Welt stehen vor den Boxenstopps der Scheichs Schlange, um auf den Immobilienexpress aufspringen zu dürfen.

26. April 2008 - Ute Woltron
His Excellency Mohamed Ali Alabbar ist wohlgelaunt, als er zum Mikrofon greift. Vor dem Podium sitzt ihm eine raunende Menschenmenge von etwa 900 zu Füßen, mindestens 890 von ihnen sind Männer. Architekten, Ingenieure, Gebäudetechniker. Die kommen aus England, Australien, Südafrika, Spanien, Russland, China und dem Rest der Welt.

Die Gästeliste des 8. Weltkongresses des Council on Tall Buildings and Urban Habitat (CTBUH) liest sich wie das Who's Who der internationalen Bauindustrie: Atkins, Aarup, SOM, Schirmer, Terry Farrell, Make Architects und Co. Das sind die, die die wirklich großen Dinger in die Landschaft stellen. Weit weg von Europa, in China, Taiwan, Russland - und natürlich in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Hier am Arabischen Golf, so rechnete die International Herald Tribune unlängst vor, werden derzeit Immobilienprojekte im Wert von insgesamt 2 Billionen Dollar abgewickelt, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die in der Menschheitsgeschichte einzigartig ist. Wir befinden uns in einem der Hotspots dieser Weltgegend - in Dubai. Der Kongresssaal ist in 15 Metern Höhe mit exquisiten arabischen Mustern in Holz und Messing dekoriert. Draußen bläht ein Sandsturm die bodenlangen Cocktailtischtücher aus Damast, drinnen kräuselt die Klimaanlage sanft die makellos weißen Gewänder des Scheichs.

Es sei ihm eine Freude, so beginnt er, die prominente Gästeschar begrüßen zu dürfen, und er lade sie alle ein, sich am großen Traum von Dubai zu beteiligen. Denn träumen würden andere auch. Doch hier in den Emiraten seien vor allem diejenigen willkommen, die nach dem Aufwachen den Traum dann auch wahrmachen würden.

Mohamed Ali Alabbar ist einer jener mächtigen Männer, die den Mund durchaus so voll nehmen dürfen. Als Chairman von Emaar, einem der größten Immobiliendeveloper der Welt, dirigiert er, wenn er will, mit einem Fingerschnippen mehr Geld, als eine durchschnittliche österreichische Baufirma pro Jahr umsetzt.

Zur Freude aller

Der smarte Emirati mit den fein ziselierten Gesichtszügen macht auch absolut kein Hehl daraus, dass er sich seiner privilegierten Position sehr bewusst ist. Einer der Träume, so sagt His Excellency, sei es vor ganz wenigen Jahren beispielsweise gewesen, nichts Geringeres als das höchste Gebäude der Welt in Dubai zu errichten. Und das stehe nun, zur Freude aller, in Form des Burj Dubai tatsächlich hier. „The Börtsch“, wie die zumindest 700 Meter hohe Hochhausnadel von der Bauszene genannt wird, soll nach einer Bauzeit von knapp fünf Jahren 2009 eröffnet werden. Über die exakte Höhe schweigt sich sowohl Auftraggeber Emaar als auch das Projektteam von SOM derzeit noch aus, lieber redet man über die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der dieses technische Bravourstück hochgezogen wurde - und über das fast noch erfreulichere Tempo, mit dem die Appartements verkauft wurden, noch bevor das Gebäude überhaupt erste Formen angenommen hatte.

Innerhalb von zwei Tagen, so heißt es, sei der Turm ausverkauft gewesen. Die Penthäuser sollen um Summen von je 15 Millionen Dollar zu haben gewesen sein.

Was Dubai und in zunehmendem Maße auch der Rest der Vereinigten Arabischen Emirate derzeit an Projekten vorlegen, ist atemberaubend. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein nächstes Mega-Ding angekündigt, ein abgeschlossener Immobiliendeal medial abgefeiert wird.

Man verliert schier den Überblick. Zaha Hadid allein hat ein halbes Dutzend Großbauvorhaben in den Emiraten am Köcheln. Darunter ein schwungvolles Opernhaus und mehrere Bürotürme für Dubai, sowie einen gigantischen Kulturkomplex mit Titel Performing Arts Centre, der sich in welligen Betonmassen über die Ufer Abu Dhabis ergießen wird. Ebenfalls in Abu Dhabi ist Pritzker-Kollege Frank Gehry zugange - der erprobte Guggenheim-Architekt baut dort eine Mega-Filiale für den US-Museumskonzern. Norman Foster ist selbstverständlich auch da wie dort aktiv. In Dubai entsteht der Welt höchstes Wohnhaus, das Index Building, in Masdar die erste - angeblich - völlig CO2-neutrale Stadt der Welt.

All die anderen geplanten Häuser, Türme, Komplexe, Stadtteile und Zentren an dieser Stelle anzuführen ist unmöglich, erwähnt sei lediglich noch Rem Koolhaas, der gemeinsam mit Büropartner Reinier de Graaf soeben einen geräumigen neuen Stadtteil für Dubai vertraglich unter Dach und Fach gebracht hat.

Wenn de Graaf über Dubai spricht, bringt er den wohlkalkulierten Wahn des dortigen Geschehens vorzüglich auf den Punkt. In den Vereinigten Arabischen Emiraten, so der Tenor, steht und fällt alles mit den herrschenden Clans. Die stellen die Regierungen, ihnen gehören praktischerweise sowohl die Immobilien-Developerunternehmen als auch die Baufirmen. „Es ist nicht so“, ätzt de Graaf, „dass sich diese Herrschaften alle so ähnlich schauen. Es sind tatsächlich immer dieselben.“

Dieser Umstand eliminiert selbstredend lästige Bewilligungsverfahren und andere bürokratische Hindernisse, und in Kombination mit Heerscharen von Billigstarbeitskräften aus Indien, Pakistan, China, die buchstäblich eine Art Sklavenkaste in diesem brutalen Szenario bilden, ergeben sich für Grundstücksbesitzer, Baufirmen und Entwickler Gewinnmargen, die tatsächlich im Land der Träume angesiedelt scheinen.

Irgendwo dazwischen agiert die Kaste der importierten internationalen Bau-Intelligenzia. Die verdient auch nicht schlecht, weil Steuern müssen keine bezahlt werden. Doch im Spannungsfeld zwischen kapriziösen Auftraggebern und den straffesten Zeitplänen der gesamten Bauwelt werden Architekten und Ingenieure hart auf die Probe gestellt. In Dubai, sagen sie, baue man im Schnitt etwa doppelt so schnell wie in Europa oder den USA.

„Wir arbeiten hier mindestens zwölf Stunden pro Tag und sechs Tage die Woche“, sagt ein Brite, der für ein internationales Unternehmen die Akustik von feudalen Hotellobbys und den geräumigsten Shoppingmalls der Welt optimiert. „Es ist wie ein Goldrausch“, sagt ein Neuseeländer, der für globale Hotelketten neue Architekturkonzepte entwirft und sich vor vier Jahren in Dubai niedergelassen hat. Warum ausgerechnet Dubai? Are you crazy? Was soll die verrückte Frage: „Jeder, der auch nur irgendwie in der Architektur- oder Bauindustrie tätig und bei klarem Verstand ist, kommt hierher, um mitzumachen!“

Seit nunmehr 15 Jahren ist Dubai als Vorreiter der Region dabei, sich selbst zu erfinden. Immer wieder war angesichts der Turbo-Großbaustelle von einer Immobilienblase zu hören, die alsbald grandios zerplatzen würde. Doch diese arrogant-westlichen Prognosen dürften sich in nächster Zukunft nicht bewahrheiten. Im Gegenteil. Büroflächen sind in Dubai dermaßen knapp, dass man als potenzieller Käufer viel Geld allein dafür zahlen muss, um rechtzeitig auf die Interessentenlisten zu kommen - und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gebäude bestenfalls erst als Renderings existieren.

Die Strategie der Emiratis ist glasklar: Im Herbst des Erdölära positionieren sie ihr Herrschertum als Steueroase, als Wirtschaftsdrehscheibe und als Konsum- und Tourismuszentrum im ruhigen und sicheren Herz- und Filetstück einer außerordentlich krisengebeutelten Region. Wer kann, der parkt sein Geld lieber hier in den goldenen Emiraten als in Pakistan, im Irak, im Iran. Die Architektur ist dabei Tresor und Transportmittel zugleich.

Dazu kommt, dass jeder Konzern, der Geschäfte in diesem Teil der Welt machen will, in den Emiraten den idealen Stützpunkt dafür findet. „Hier funktioniert alles nur über persönlichen Kontakt. Wer seinen Geschäftspartnern und Auftraggebern nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzt, hat keine Chance“, sagt der Manager eines Softwarekonzerns.

Alles in Dubai dreht sich um Geld und Geschäft. Jeder nascht mit. Und geschenkt kriegt von denen, die hierherkommen, keiner was.

Sehr finster

Doch am unteren Ende der Skala wird das schrille, grelle Dubai sehr schnell sehr finster, weil hinter den glitzernden Hochhaus-, Hotel- und Shoppingkulissen ist diese Stadt letztlich nichts anderes als eine ungeheure Sklavenstadt. Importierte Arbeiterscharen aus den ärmsten Regionen der Welt rackern sich bei Temperaturen jenseits der 40 Grad auf den Hochhausbaustellen nicht selten zu Tode. Indische Taxifahrer jagen livriert, aber schweißgebadet zwölf Stunden täglich dem vorgeschriebenen Kilometerkontingent nach, weil sie sonst ihren Bonus verlieren. Auch wenn sie ihn erreichen, verdienen sie gerade einmal so viel, dass sie sich das Zimmer leisten können, das sie mit sechs anderen teilen.

Auf die Frage, warum sie nicht nach Goa, nach Karnataka, nach Kerala zurückgingen, geben alle dieselbe Antwort: weil es dort gar keine Arbeit gibt.

His Excellency Mohamed Ali Alabbar bedauert, dass die Baustelle des Burj bis dato drei Menschenleben gekostet hat. Wir lernen aus unseren Fehlern, sagt er: „Wir werden die Unterkünfte und Arbeitsbedingungen weiter verbessern. Immerhin stehen wir erst am Anfang.“

[ Heute Samstag, in Radio Österreich 1, „Stadtporträt Dubai - Die Metropole aus dem Nichts“ von Wolfgang Ritschl, Peter Waldenberger und Ute Woltron. Diagonal - Radio für Zeitgenossen, 26. 4., Ö1, 17.05 bis 19.00. ]

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