Artikel

Styropor für die Ewigkeit
Der Standard

Das Feine am neuen Eingang zum Wiener Wurstelprater: Man kann ihn umgehen - was aber gar nicht notwendig ist, denn die stümperhafte Klischeeorgie dort ist weltweit einzigartig und als solche würdig, genauer betrachtet zu werden.

6. Mai 2008 - Ute Woltron
Was für ein Segen, dass sich die Erneuerungsbestrebungen der Wiener Vizebürgermeisterin Grete Laska (SPÖ) für den Prater letztlich doch nur auf den Eingangsbereich beim Riesenrad konzentriert haben. Dort türmt sich jetzt eine schaumrollenhafte Kulissenarchitektur zu einem Entree, wie es die Welt wahrlich noch nicht gesehen hat - und eigentlich auch nie sehen wollte.

Doch die Angelegenheit, die wie eine ungewollte Verulkung einer Designeroutlet-Fassadenarchitektur aussieht, bleibt kompakt und ein in sich geschlossener Mikrokosmos. Damit wird sie verschmerzbar, weil für die Besucher aktiv vermeidbar.

Das, was den Prater tatsächlich ausmacht, bleibt glücklicherweise von diesem hässlichen Appendix verschont. Und an dem so gut wie unbeschreiblichen Konzentrat an Abgeschmacktheit lässt sich mit wundervoller Klarheit ablesen, wie hilflos die Stadt Wien mit ihren ungehobelteren Zonen umgeht, wenn sie diese - zum Beispiel für das EM-Fußballpublikum von Welt - zu neuem Glanz aufpolieren will.

Einfassung für das Wilde

Der Prater ist und war seit jeher ein ärgerlich wilder, unpolierter Edelstein am Revers der Stadt - und dem wollte man nun eine ordentliche Fassung verpassen, endlich eine deutlich ablesbare offizielle Grenze setzen: Da hört das seriöse Stadtleben auf, hier fängt diese von vornherein verdächtige Zwischenwelt halbseidener Vergnügungen an. In Wirklichkeit ist es natürlich genau umgekehrt.

Das Entree präsentiert sich dem vom Praterstern kommenden Betrachter zuerst in Form von zwei Portalhäusern erstaunlich ungeschickten Formats, zwischen die eine Art Otto-Wagner-Brücke gespannt zu sein scheint. Doch wen oder was die trägt, bleibt ungewiss, wiewohl jedes einzelne gestaltende Element hier weder Inhalt noch Zusammenhang erkennen lässt.

Die Häuser sind in zu hellem Schönbrunner Gelb gepinselt und zwischen grünen Kunststofffenstern mit allerlei schnörkeliger Fassadenmalerei ausgestattet.

Irgendjemand hat hier im Fiebertraum unzählige Elemente längst untergegangener Wiener Hochkulturen zu einer gräulichen Stilmasse verdaut und ausgekotzt. Ein paar Brocken Barock hier, ein wenig Jugendstil da, ein Klacks Klassizismus dort, zusammengepanscht und zusammengepickt mit ha-ha-lustigen k. u. k-Reminiszenzen auf Plakattafeln.

An den Pseudostukkaturen des Durchgangs sind die ersten Lastwägen bereits hängengeblieben, aus Pseudo-Wagners Brückenbauch quellen jetzt schon die Gedärme der Putzträger und die Styroporeingeweide. Apropos: So schleißige Verarbeitung billigster Materialien sah man noch nie. Auf der runden Platzmitte hinter dem Tor befindet sich ein Oktogon mit einer nur fast aus Bronze gegossenen Figur. Hier apert bereits der Styroporkern aus dem angeschrammten Podest, das so tut, als sei es massiv und für die Ewigkeit gemacht. 32 Millionen Euro wurden hier verbraten - eine Meisterleistung in Sachen unnötiger Investition ins Schäbige.

Wer den Unterschied zwischen Prater und der vorgeblendeten Stil-umnachtung mit Händen greifen möchte, begebe sich zum prächtigen alten Grand Autodrom. Das hat man, um dem neuen Ensemble gesamtheitlich zu huldigen, versteckt und eingepackt. Hinter einer neuen, mit dem Titel „Chauffeur Schule“ bepinselten Spanholzfassade glänzt da ewiges Chrom, leuchten rote Neonschriften, duftet der alte, geölte Autodromboden unter prächtig mit gefälteltem Nirosta verkleideten Stützen.

Wann wird diese Stadt begreifen, welch Charme und ungeheures Potenzial gerade im Wilden, Ungehobelten steckt? Man muss den neuen Pratereingang als das Nichts begreifen, das den echten Prater nun doch nicht umbringen wird.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: