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Jenseits kann alles sein
Der Standard

Die Architekturbiennale Venedig verspricht heuer alles und nichts, kuratiert wird sie jedenfalls erstmals von Aaron Betsky.

17. Mai 2008 - Ute Woltron
Unlängst war Aaron Betsky, der diesjährige Direktor der Architekturbiennale Venedig, im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) zu Gast, um über „Architektur jenseits von Gebäuden“ zu referieren. Denn genau dieses Thema verhängt der US-Amerikaner und langjährige Leiter des Rotterdamer Architekturinstituts NAI heuer von September bis November über die Traditionsschau in der Lagunenstadt.

Ein etwas seltsames Thema, das alles und nichts sein kann: „Out There: Architecture Beyond Buildings“.

„Ich dachte eigentlich“, meinte Betsky zum Standard , „ich hätte die Architektur schon hinter mir.“ Schließlich leitet der eloquente Mittfünfziger seit knapp zwei Jahren das renommierte Cincinnati Art Museum - und Kunst und Architektur sind gegebenenfalls doch nicht so ganz eins.

Aber als ihn vergangenen Dezember ein Anruf des ebenfalls gerade hastig installierten Biennale-Präsidenten Paolo Baratta ereilte, der auf der anderen Seite des Telefonkabels händeringend erklärte, er brauche jemanden, der ihm die wichtigste Architekturschau der Welt kuratiere, und zwar schnell, konnte der gebauchpinselte Betsky auch schlecht „Nein danke“ sagen.

Eine sehr überstürzte Angelegenheit alles in allem, was mit inneritalienischen Kunst- und Politwickeln zusammenhängt. „Tatsächlich haben wir sehr wenig Zeit“, gibt Betsky zu, „ich habe noch am Telefon zu Baratta gesagt, eine Biennale sei ebenso eine Performance wie eine Ausstellung, wir sollten also glatt eine Architekturschau ohne Architektur machen.“

Es sei sowieso stets ein wenig mühsam, Häuser in Häusern zu präsentieren, und er selbst stelle sich seit vielen Jahren außerdem immer wieder die Frage, was Architektur sein könne, wenn man sie von den Zwängen und Normen der gelebten Wirklichkeit befreie.

Was wiederum ganz stark in Richtung Künstlichkeit, wenn nicht gar Kunst geht - und die Frage nach sich zieht, warum dieser nicht zwingend originelle Ansatz ausgerechnet in den Giardini und im Arsenale zur Anwendung kommen muss, wo zwischen den Architekturbiennalen sowieso jeweils deren Kunstschwestern das Sagen haben.

Doch zu früh gemeckert ist schnell verstummt, deshalb ein kurzer Abriss des zu Erwartenden. Betsky will, dass die Besucher „in ein Bad von Images eintauchen“, in eine multimediale Traumwelt aus alten und aktuellen Science-Fiction-Filmen, aus utopischen Architekturentwürfen diesseits und jenseits der Architekturbürozeichentische und Computer.

„Ich will, dass die Menschen verstehen, wie sich jeder von uns die Welt anders zu denken vermag, als sie wirklich ist. Ich hoffe, das Ergebnis davon wird die Erkenntnis sein, dass alles möglich ist.“

Betsky mischt frische junge Architekturkräfte mit den eher schon älteren Hasen wie Frank Gehry, Zaha Hadid, Herzog & deMeuron, Coop Himmelb(l)au et al, die entweder alte Ideen oder neue Installationen zeigen. Er lässt die Besucher gemeinsam mit Base-Jumpern die Stadtwelten erfühlen und bringt die MTV-Ästhetik als architektonischen Faktor mit ins Spiel. Irgendwie hat man den Eindruck, er ergreife von allem, was zu kriegen sei, ein wenig, um es sodann mit der Spange einer etwas frei interpretierbaren, um nicht zu sagen: kräftig hingebogenen Theorie einzufangen.

Architektur sei nicht gleich Bauen, sagt er, sondern all das Denken und Theoretisieren rundherum, das Abbilden und Zeigen von Architektur, bis hin zu den Gesprächen über Gebautes. Und die fertiggestellten Häuser selbst seien allzu oft nur noch die Grabmäler einer vormals vielleicht brillanten architektonischen Idee, die an all den Normen und Zwängen, an den ewigen Preisdrückereien und Energie- effizienzdebatten ihre Strahlkraft ausgehaucht hätten.

Dieser Eindruck mag völlig richtig sein, aber möglicherweise tut sich an exakt dieser Stelle eine interessante Kluft in der Denkweise innerhalb der Architektenschaft auf. Die einen, so könnte man das interpretieren, meinen, die Umstände wären sowieso immer so dermaßen widrig, dass Architekturmachen heutzutage so gut wie unmöglich und sogar so etwas wie eine Zumutung sei. Die anderen, die übrigens keineswegs alle zwingend auf dem Trampelpfad der Pragmatik unterwegs sein müssen, meinen, die Architektur sei aber doch auch eine Disziplin des gerade noch Möglichen, was man eben jeweils auszureizen habe.

Wenn Betsky ein wenig verträumt zum Ausdruck bringt, er selbst habe beispielsweise über die italienische Architektur noch am meisten aus den Filmen Michelangelo Antonionis gelernt, so mag das auf ihn zutreffen. Doch wenn es schon um Architektur gehen soll, auf der Architekturbiennale, so könnte man als ausnehmend inspirierende Lehrmeister beispielsweise auch Architekten wie den Briten Cedric Price hervorkramen.

Nur so zum Beispiel, aber ganz unbedingt sogar: Denn Cedric Price war exakt einer derjenigen, die schon allein anhand der Konstruktion einer Zigarre Montecristo No 2 das Wesen alles Architektonischen zu erklären imstande waren. Die Zeppelinform der gesegneten Montecristo, so sagte er kurz vor seinem Tod im Jahr 2003 zum Standard, sei immer dieselbe und sehr einfach. Doch dank der variabel wählbaren Querschnitte samt deren unterschiedlichen Durchmessern könne die Rauchintensität gewissermaßen individuell angesteuert werden.

Price war fleischgewordener Vertreter einer Architecture Be-yond Buildings, aber er war dabei total realitätsbewusst und jeglicher architektonischer Jammerei zutiefst abgeneigt. Kein klar denkender Mensch, so meinte er, seine Zunft vernichtend, käme auf die Idee, Waffen, Helikopter oder Flugzeugträger von selbstverliebten Architekten designen zu lassen, „denn diese Dinger müssen perfekt, sofort und ununterbrochen funktionieren, sonst werden Kriege verloren.“

Jede Generation, sagte Price, brauche ihre eigene Architektur. Zeit, Geschwindigkeit, Veränderung, Bewegung seien Begriffe, die in der Schnellebigkeit dieser Epoche auch von der Architektur nicht unter den Tisch gekehrt, missachtet werden dürften. Als Denkmalschützer für die Erhaltung eines Kulturzentrums in London eintraten, das er gebaut hatte und das er bewusst nur für einen bestimmten Zeitrahmen konzipiert hatte, schritt er entrüstet ein und forderte das Recht dieses Gebäudes auf seinen zeitgerechten Abriss.

Cedric Price, wie gesagt, ist nur einer von denjenigen, die Architektur auch jenseits von Gebäuden gedacht haben, aber die eigentliche Disziplin dabei nicht aus den Augen verloren. Und genau das macht einen außerordentlich wichtigen Unterschied aus, allein den zu demonstrieren schon ein Biennale-Thema für sich wäre.

Selbstverständlich werden wir alle Anfang September gern und erwartungsvoll nach Venedig reisen. Aber ein bisschen bang darf einem heuer davor schon auch sein, oder?

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