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Sozialistischer Funktionalismus, kapitalistische Realität
Architekturarchiv Kroatien

Zur aktuellen Architektur Kroatiens

Um die aktuelle Architektur in Kroatien zu verstehen, ist es notwendig, auch die Entwicklung vor 1990 zu betrachten. Das „kroatische“ Bewusstsein in der Architektur beginnt mit Viktor Kovačić, einem Schüler Otto Wagners, Zeitgenossen und Intimus Adolf Loos’. Er prägte und verkörperte die Szene in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ihm folgten starke Persönlichkeiten, wie etwa Drago Ibler, Ernest Weissman oder Mladen Kauzlarić.

Die Avantgarde in den 50er und 60er Jahren ist mit Namen wie Drago Galić, Neven Šegvić, Vladimir Turina, Ivo Vitić und Alfred Albini verbunden – um nur einige zu nennen. Diese Architekten waren Träger der „Zagreber Schule“, die heute eher als intellektuelle Einstellung denn als formales Vokabular von Stilen verstanden werden sollte. Diese Schule wirkte auch im Rahmen Ex-Jugoslawiens als Spezifikum, da andere regionale Zentren wie Belgrad, Sarajewo und Ljubljana unterschiedliche Schwerpunkte im Verständnis der Architektur setzten. Sie zu untersuchen, bedarf einer längeren Expertise. Dabei handelt es sich um die grundsätzliche Herangehensweise, Architektur nicht als dekorative Disziplin zu verstehen, sondern als Resultat der funktionellen Bedürfnisse des Benutzers. Das Dekorative liegt in der Ausführung der Details, des Fassadenputzes, der Art, wie die Schalung des Sichtbetons gefertigt wird u.ä. Das Entscheidende dabei ist die geistige Haltung gegenüber dem zeitgenössischen Kontext, geprägt durch den Sozialismus und das kollektive Verständnis des Handels. Der kapitalistische Gedanke kam in seiner ungezügelten Form erst Anfang der 90er Jahre zum Vorschein. Erst ab diesen Zeitpunkt kann man von einer eigenständigen neuen Architektur in Kroatien sprechen.

Die Selbständigkeit Kroatiens brachte einen blutigen Krieg mit sich. Dieser gab Spekulationen jeder Art heftigen Rückenwind, sodass es in den ersten Jahren weniger zur Nachfrage nach Architektur denn nach gebauten Quadratmetern kam. Das erste öffentliche Bauprogramm waren die sogenannten Radić-Häuser, nach dem damaligen Minister für Bauwesen benannt, das allerdings auch weiteren Bauspekulationen Platz machte. Dennoch konnte damit ein Grundstein für das progressive POS Programm unter dem Minister Čačić gelegt werden, wobei POS für den staatlich geförderter Wohnungsbau steht. Dieses Programm brachte eine ansehnliche Zahl von neuen Kräften auf die Architekturbühne, da alle Bauten aus öffentlichen Wettbewerben resultieren, die mit viel Enthusiasmus und frischem Geist von meist jungen Teams bestritten wurden.

Einen weiteren Beitrag zum aktuellen Architekturschaffen tragen jene Architekten bei, die ihre Postgraduate Kurse an anerkannten internationalen Schulen absolvieren, wie dem Berlage Institut, dessen Leiter Vedran Mimica aus Zagreb stammt. Andere besuchen Kurse an der Harvard University oder der ETH Zürich. Meistens kehren diese Architekten nach Kroatien zurück und sind hierzulande aktiv. Sie bringen neben den Einflüssen der Zagreber Schule neue Ideen ein, die mit der Bescheidenheit der sozialistischen Architektur wenig zu tun haben.

Doch die Realität bleibt bescheiden. Kroatien ist ein Land, das finanziell überfordert ist, die Möglichkeiten werden oft überschätzt. Somit sind die Gedanken der Zagreber Schule - mit einfachen Mitteln gute Architektur zu machen - weiterhin aktuell.

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturarchiv Kroatien

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