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Wie wollen wir alt werden?
Spectrum

Alle wollen alt werden, aber die wenigsten wollen ins Heim. Bauen für alte Menschen: eine der großen architektonischen Aufgaben der Zukunft.

1. Juni 2008 - Karin Tschavgova
Es ist ein Thema mit beinahe täglicher Medienpräsenz: die Betreuung und Pflege alter Menschen. Wir werden immer älter. Die durchschnittliche Lebenserwartung österreichischer Männer liegt derzeit bei über 77 Jahren, die der Frauen bei 83. In weniger als 20 Jahren wird der Anteil der über 65-Jährigen von einem Sechstel auf ein Viertel angewachsen sein. Schön, länger zu leben! Aber wie?

Bauen für Alte – die Konzeption von Wohnformen, die den Ansprüchen alter, hilfsbedürftiger Menschen entsprechen, ist die Aufgabe der Zukunft, wenn auch schon allerorts gebaut wird und es längst nicht mehr das Altersheim früherer Zeiten ist, das heute Vorbild für Pflegeeinrichtungen ist.

Eine Studie am Institut für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien wies vor sieben Jahren 166 steirische Alten- und Pflegeheime aus, davon ein im österreichischen Vergleich ungewöhnlich hoher Anteil von 58 Prozent an privaten, gewinnorientierten Einrichtungen. Derzeit sind es rund 200. Die spitalsähnliche Verwahrung alter Menschen hat ausgedient, aber sie macht, vermehrt im privaten Sektor, einem gebauten Mittelmaß Platz. Der vermeintliche Wunsch alter Menschen nach Geborgenheit wird darin erschreckend „billig“ – unreflektiert, klischeehaft und vordergründig – umgesetzt. Fehlendes Qualitätsbewusstsein für den gebauten Lebensraum und Kostenminimierung sind dafür verantwortlich, altengerechte Heime in anspruchsvoller Architektur daher rar.

Liest man Kritiken über gelungene Beispiele des Bauens für Alte, so erkennt man, dass es immer dieselben Anforderungen sind, die es umzusetzen gilt. Es sind Qualitäten für alle Nutzer – Bewohner, Personal und Besucher. Einfache Orientierung, Möglichkeit der Teilhabe an der Außenwelt, großzügige Bewegungsräume, Verweilzonen, vielfältige Allgemeinbereiche, Tageslichtqualität in Gängen und Sanitärräumen, geschützte Zwischenzonen von innen nach außen, begrenzte, überschaubare Gärten und Materialien, die keine klinische Atmosphäre verbreiten, sind einige. Sie zu erfüllen ist noch keineGarantie für die Qualität einer Pflegeeinrichtung, wohl aber ihre Voraussetzung.

Schon die Lage von Pflegeheimen oder betreutem Wohnen sollte ein klares Bekenntnis dazu sein, Alte und Gebrechliche nicht an den Rand zu schieben. Das steirischen Pflegegesetz schreibt vor, den Heimbewohnern die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben des Ortes zu ermöglichen. In der Realität ist dies, wie bei unserem abgebildeten Negativbeispiel eines Pflegeheims, oft nicht der Fall. Das liegt so weit abseits vom Ortszentrum – von Gemeindeamt, Kultursaal, Bank, Supermarkt und Café, dass diese kommunikativen Zentren für die meisten Bewohner selbstständig nicht erreichbar sind.

Orte der Begegnung, die die Teilhabe an der Außenwelt, wenn auch eingeschränkt, ermöglichen, und Orte des Rückzugs: Beides brauchen auch Menschen, die ihren letzten Lebensabschnitt im Heim verbringen. Wohneinheiten sind solche Orte, in denen „durch geeignete Maßnahmen die Wahrung der Privat- und Intimsphäre sicherzustellen ist“ (Paragraf 11 des steirischen Pflegegesetzes). Warum dann immer noch Zimmer geplant werden, die beim Öffnen der Türe vom Gang aus uneingeschränkte Sicht ins Bett freigeben? Ein Entrée mit Sichtschutz, ein selbstverständlicher Standard jeder Wohnung, fehlt in Altersheimen oft.

Zimmer sind Rückzugsorte, wer aber im Rollstuhl sitzt oder gar im Bett liegen muss, der sollte Ausblick haben. Wenn Fensterbrüstungen unüberlegt hoch gemacht werden, ist dies nicht möglich. Niedrige Fensterbänke hingegen haben mehrere Vorteile. Sie weiten die Grenzen des Raums auf und können als gemütliche Sitzbank am Fenster gestaltet werden, auf der sich auch Besucher gerne niederlassen. Feyferlik&Fritzer haben im neuen Hospiz der Stadt Graz ein solches Sitzfenster verwirklicht, das zum gestaltgebenden Element der Fassade wurde. Im Pflegeheim in Leibnitz, das nach 13 Jahren des Betriebs immer noch als vorbildlich gilt, hat Klaus Kada hingegen auf Brüstungen ganz verzichtet und vor den Privaträumen tiefe, sonnengeschützte Terrassen vorgesehen, die erlauben, Pflegebetten ins Freie zu stellen. Unsensibel sind Architektenlösungen hingegen, wenn Fassaden zwar großzügig zu einem Balkon verglast werden, Geländer jedoch Durchblicke verwehren.

2005 legte der steirische Soziallandesrat den Betreibern von Pflegeeinrichtungen neue Verträge vor, die die Sicherung der Pflegequalität beinhalteten. Das Qualitätsbewusstsein der Politik für die Bauaufgabe Altenheim hingegen scheint gering. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, auch hier steuernd einzugreifen. Öffentliche Institutionen und gemeinnützige Träger erhalten für Pflegeheime Wohnbauförderung (bis 50 Quadratmeter pro Person inklusive Allgemeinflächen), die bis zu 25 Prozent aufgestockt werden kann. Auch betreute Wohnungen und Wohngemeinschaften unterliegen dem Wohnbauförderungsgesetz, und selbst private Betreiber finanzieren ihre Bauten indirekt über die Pflegegeldzuschüsseder öffentlichen Hand. Was liegt also näher, als Anreize für Architekturwettbewerbe zu schaffen oder diese zur Bedingung für Förderungen zu machen? Selbsteinschätzungen, die jeder Grundlage entbehren, wie die des mediokren Seniorenparks in Unterpremstätten bei Graz als ein „herrliches, architektonisch einzigartiges Haus in grandioser Umgebung“ würden dann obsolet.

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