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Der blanke Kunststoffschein
Neue Zürcher Zeitung

Der Designer Matthew Hilton im Londoner Geffrye Museum

11. März 2000 - Jörn Ebner
Just während seiner Retrospektive im Londoner Geffrye Museum wurde der britische Möbeldesigner Matthew Hilton von Design-Guru Tom Dixon zum «Head of Design» im Möbelbereich der Firma Habitat ernannt. Damit treffen zwei Kreative zusammen, die nicht nur seit den achtziger Jahren die Designwelt erkunden, sondern auch entwerferische Vorlieben teilen. Beide kommen von einer handwerklichen Ausgangsposition her und stehen für einen bildhauerischen Umgang mit Form und Material. Dies ist exemplarisch für das wiedererwachende britische Design im ausgehenden 20. Jahrhundert. Hiltons Möbeldesign ist zudem dem englischen Arts & Crafts Movement des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet, knüpft aber auch an die klaren Konturen der klassischen Moderne und die technologischen Entdeckungen der jüngsten Zeit an: Sein Cocktail wurde in Grossbritannien - wie das Museum ermittelte - in den neunziger Jahren stilprägend. Die Ausstellung im neuen Flügel des Geffrye Museum, der sich ausschliesslich Inneneinrichtungen des 20. Jahrhunderts widmet, wurde von der Kuratorin Catherine McDermott eingerichtet.

Die in einer kleinen, aber aussagekräftigen Auswahl präsentierten Themenbereiche Metall, Plastic und Holz veranschaulichen Hiltons Umgang mit bildnerischen und kunsthandwerklichen Formen. So lassen sich Tischbeine und Kerzenständer aus Aluminium oft von abstrakten Skulpturen der klassischen Moderne ableiten, was Hilton etwa mit der Bezeichnung «Brancusi» für einen Kerzenständer offen darlegt. Der frühe «Tension»-Tisch von 1979, mit dem Hilton seine Studien abschloss, verweist auf die Bauhaus- Möbel aus Metallrohr. Die zentrale Position nehmen Polstermöbel ein: voluminöse weisslederne Sofas und Sessel vom Typ «Balzac» (1991) zeugen mit ihren sacht geschwungenen Konturen von Hiltons Flair für eleganteste Formen. - Besondere Aufmerksamkeit finden im Katalog die Produktionsorte - vornehmlich kleine Manufakturen, die nochmals den handwerklichen Aspekt hervorheben. Frühe Unterstützung und Verbreitung indes fand Hiltons Mobiliar seit den achtziger Jahren durch den englischen Hersteller Sheridan Coakley und dessen Unternehmen SCP, das immer noch massgeblich zur Verbreitung des jungen britischen Designs beiträgt. Die Möglichkeiten einer durchweg industriellen Entwicklung aber konnte Hilton erst kürzlich mit dem stapelbaren Plasticstuhl «Wait» (1999) für den deutschen Hersteller Authentics untersuchen: in der Ausstellung nachvollzogen durch die verschiedenen Modellstufen des Stuhls. Erneut zeigt sich daran Hiltons prozessorientierte Gestaltung. Hier offenbart sich nicht das Œuvre eines idealistisch- radikalen Erneuerers, sondern die zeitgenössische Fortführung englischer Möbeltradition.


[ Bis 25. Juni. Katalog: Catherine McDermott, Matthew Hilton: Furniture for our Time. Lund Humphries Publishers, London 2000. ISBN: 085331-807-7. 80 S., £ 16.50. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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