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Der Fluch des frühen Erfolgs
Neue Zürcher Zeitung

Der französische Architekt Dominique Perrault im Pariser Centre Pompidou

Das Centre Pompidou zeigt jüngere Arbeiten des Architekten Dominique Perrault. In acht Kapiteln werden Grundeigenschaften seines Werks wie das Verschleiern und das Stapeln herausgearbeitet.

10. Juli 2008 - Marc Zitzmann
Unterkühlt elegant, streng geometrisch und ohne Ironie: Die grosse Werkschau, die das Pariser Centre Pompidou dem französischen Architekten Dominique Perrault mit dessen aktiver Unterstützung ausrichtet, wirkt als Selbstporträt ganz lebensnah. Der riesige Ausstellungsraum der ebenerdigen Süd-Galerie ist in zwei Sektionen unterteilt. Die 32 Meter lange Wand des fensterlosen Eingangsbereichs tapezieren neun Leinwände, auf die kurze Stummfilme zu dreizehn Projekten projiziert werden. Trennwände aus halbdurchsichtigem Metallgewebe, ein Soundtrack aus Sphären-Sirren und kosmischem Blubbern sowie grosse schwarze Sitzkissen erzeugen eine minimalistische Lounge-Atmosphäre. In der grösseren, auf drei Seiten raumhoch verglasten Ausstellungssektion sind achtzehn niedrige weisse Podeste rasterförmig angeordnet. Auf diesen dokumentieren gut lesbare Texte, Handskizzen, Fotos, Videos, Computerbilder sowie mitunter auch grossformatige Modelle insgesamt 63 Projekte, die mehrheitlich aus dem letzten Jahrzehnt stammen.

Verschleierte Bauten

Zum Auftakt der Schau ist vor dem Eingang der Süd-Galerie ein neunzehntes Podest der Bibliothèque nationale de France gewidmet. Der Sieg im offenen Wettbewerb für den Bau der von Mitterrand gewünschten Très Grande Bibliothèque war 1989 für den erst 36 Jahre alten Perrault zugleich ein Segen und ein Fluch. Ein Segen, weil er ihn schlagartig bekannt machte und ihm in einem Alter, in welchem andere Architekten oft erst Gartenhäuser für ihre Verwandten entwerfen, einen Milliardenauftrag sicherte. Ein Fluch, weil er Perrault über Jahre hinweg dem Feuer der Kritik und dem Gift der Missgunst aussetzte. Auf die Einweihung der Bibliothek folgte 1995 denn auch eine längere Durststrecke. Heute haben sich die Aufgeregtheiten gelegt, die anfänglichen Betriebsprobleme sich eingerenkt und die meisten Kommentatoren sich darauf geeinigt, dass die Symbolik der vier Büchertürme ein wenig naiv sein mag, aber dem versenkten Wald zwischen ihnen unzweifelhaft Majestät eignet und der Riesenbau als Ganzes ein valables Wahrzeichen für das architektonisch sehr durchwachsene Tolbiac-Viertel darstellt.

Repräsentativ für das spätere Schaffen des Architekten indes ist die Bibliothek nicht unbedingt. Verdienstvollerweise hat der Kurator der Schau, Frédéric Migayrou, die gezeigten Projekte in acht Kapitel eingeteilt, die je ein bestimmtes Charakteristikum beleuchten. So treten Grundeigenschaften von Perraults Werk zutage – auch wenn diese sich natürlich kaum je in Reinkultur kristallisieren. Manche sind so banal wie die Titel der entsprechenden Kapitel, «Tische», «Schachteln», «Umhegungen». Die drei interessantesten seien hier herausgepickt.

Eine jüngere Tendenz in Perraults Schaffen ist es, die Silhouette seiner Bauten zu verschleiern. Die «zweite Haut» ist ein Gemeinplatz im heutigen Architekturdiskurs, aber Perraults Variationen auf dieses abgegriffene Thema sind zum Teil recht ingeniös. Die mehrere hundert Meter lange Fassade der Usine Aplix in der Loire-Gegend verkleidet er mit vertikalen Metallplatten, in denen sich die Umgebung widerspiegelt, aufgrund der leicht verbeulten Oberfläche aber auch in kubistischen Figuren bricht. Vor die Hauptfassade der GKD-Fabrik in Cambridge, Maryland, stellt Perrault einen freistehenden «Wandschirm» aus halbdurchsichtigem Metallgewebe – dasselbe, das auch in der Schau verwendet (und durch GKD hergestellt) wird.

Tektonisches und Gestapeltes

Andere Bauten verschleiert Perrault, indem er ihnen buchstäblich einen Schleier überzieht. Dabei wendet er den Kunstgriff mit unterschiedlichem Gelingen an. In etlichen Fällen erfüllt dieser lediglich den Zweck, einen banalen Kastenbau zu kaschieren – beziehungsweise diesem eine interessantere Silhouette zu verleihen. So im Fall des 2010 zu eröffnenden Hotels Las Teresitas am Strand von Santa Cruz de Tenerife, bei dem sich eine Art gigantisches Moskitonetz über einen ganz kommunen Blätterteigbau stülpt, wie ihn jeder bessere Baulöwe an den Strand hingeklotzt haben könnte. Reizvoll sind hingegen die Projekte für einen «Forschungs»-Turm in Padua und den Sitz des chinesischen TV-Senders CCTV in Peking, bei denen ein knöchellanges «Abendkleid» aus Metallgewebe beziehungsweise stilisierten Sonnenschirmen unter seinen gelüpften Säumen öffentliche Plätze birgt.

Ein zweites Kapitel ist mit «Tektonik» überschrieben und versammelt Arbeiten, bei denen die Topografie die Form eines Gebäudes bestimmt. Das faszinierendste Beispiel hierfür liefert das Wettbewerbsprojekt für eine «Galizische Kulturstadt», die Perrault in einem Hügel über Santiago de Compostela vergraben wollte – bis auf einen immensen Glasquader voller schräg schwebender Spiegel, der wie ein optisches Instrument das Licht bis in die tiefsten Tiefen der Kulturstadt leiten sollte. Die wie eine monumentale Schneise aus Stein und Glas durch einen Park sich ziehende Ehwa-Frauenuniversität in Seoul und die nicht realisierte Ciudad del Motor in der aragonesischen Wüste, eine Mischung aus Rennfahrer-Vegas und Beduinen-Zeltstadt, zählen ebenfalls zu Perraults besseren Arbeiten.

Das letzte Kapitel, das erwähnt werden soll, trägt den Titel «Stapel». Das Aufeinanderstapeln geometrischer Körper kennzeichnet etliche jüngere Arbeiten des Büros. Die Wettbewerbsprojekte für die Europäische Zentralbank in Frankfurt und für den «Sanpaolo-IMI»-Turm in Turin wirken wie die Assemblagen gigantischer Quader durch ein Riesenkind. Im Fall des nicht realisierten «French Quarter»-Turms in Brisbane scheint dasselbe Kind aus Münzen unterschiedlicher Grösse zwei glänzende Schornsteine gebildet zu haben: die grösste Münze ganz unten, die kleinste ganz oben. Doch gilt auch hier: Die besten Arbeiten sind die einfachsten. Der «Fukoku»-Turm in Osaka, der 2010 vollendet sein wird, übertrifft Perraults übrige Stapel-Bauten an Raffinement: Die Fassaden dieses scheinbar klassischen Glashochhauses geraten immer stärker ins Vibrieren, je mehr sich der Blick seiner geschuppten Basis zu senkt.

[ Bis 22. September im Centre Pompidou. Katalog: Dominique Perrault Architecture. Ed. HYX, Paris 2008. 210 S. € 40.–. ]

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