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Junge Welteroberer
Neue Zürcher Zeitung

Deutsche Exportarchitektur in einer Frankfurter Ausstellung

Die Baukunst in Deutschland steckt seit geraumer Zeit in einer Krise. Nun suchen kreative Architekten ihr Glück vermehrt im Ausland, wie eine Schau im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zeigt.

21. Juli 2008 - Roman Hollenstein
Ist der internationale Erfolg eines Produktes ein Qualitätsbeweis? Wenn dies zuträfe, dann wären die kantenlosen Designerweine der Neuen Welt den charaktervollen europäischen Terroir-Erzeugnissen überlegen. Ähnlich wie mit dem Wein verhält es sich mit der Architektur. Vermag doch manch ein sorgsam in den Kontext eingefügtes Gebäude eines regional verankerten Büros mehr zu überzeugen als die aalglatten, oft ganz ohne Ortsbezug gefertigten Entwürfe weltweit tätiger Firmen. Nur – wer nimmt noch Notiz von den stillen Werken?

Pilgerten die Architekturliebhaber vor zwanzig Jahren ins Tessin, nach Nordportugal oder in Hollands Kleinstädte, um zukunftsweisende Miniaturen zu studieren, so dreht sich jetzt alles nur noch um jene spektakulären Zeichen, mit welchen die Weltbaustellen von Abu Dhabi bis Schanghai protzen. Deshalb erstaunt es nicht, dass immer mehr junge Architekten von internationalen Aufträgen träumen. Das gilt nicht zuletzt für den Nachwuchs in Deutschland, wo die einheimische Baukunst seit Jahren kränkelt und die von den Medien gefeierten Häuser fast durchwegs von ausländischen Architekten stammen.

Deutsche Eigenschaften

Im Aufsehen, das junge und junggebliebene Baukünstler unlängst in Sevilla, Seoul oder Sydney erregten, glaubt nun das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main (DAM) den Beweis für den architektonischen Wiederaufstieg des Landes zu erkennen. Deshalb konzipierte sein Direktor, Peter Cachola Schmal, zusammen mit Anna Hesse eine «Ready for Take-Off» betitelte Präsentation über im Ausland tätige deutsche Architekten, die im letzten Herbst auf der siebten Architekturbiennale von São Paulo zu sehen war. Nun ist die als Wanderausstellung angelegte Schau im DAM zu Gast – begleitet von einem eigens für Frankfurt verfassten Katalog.

Auf einem in den deutschen Farben Schwarz, Rot, Gold gehaltenen Spannteppich stehen in der grossen Erdgeschosshalle des DAM buchartig aufgeklappte Rimowa-Koffer aus Aluminium locker herum. In jedem dieser Gepäckstücke präsentiert jeweils eines der sechzehn ausgewählten Architekturbüros mittels Fotos, Plänen, Texten und Modellen sein erstes oder neustes im Ausland projektiertes Werk sowie einen in Deutschland entstandenen, für das eigene Schaffen besonders charakteristischen Referenzbau. Zwischen diesen Installationen liest man in den Teppich eingewobene Wörter wie fleissig, ordentlich, pflichtbewusst und zuverlässig, die an «typisch deutsche», offensichtlich auch im Zusammenhang mit der Exportarchitektur erfolgversprechende Eigenschaften erinnern sollen.

Doch nach der kleinen Überraschung, für welche die gelungene Präsentation sorgt, macht sich eine leise Ernüchterung breit. Denn anders als die vor vier Jahren von Francesca Ferguson für die Architekturbiennale in Venedig konzipierte «Deutschlandschaft», die anhand von Bauten so unterschiedlicher Büros wie Bottega & Erhardt, Manuel Herz oder Brückner & Brückner der baukünstlerischen Phantasie nachspürte, erweist sich die Frankfurter Schau als eine ebenso unkritische wie unvollständige Auflistung von Auslandsbauten. Zwar berichten Projekte wie Carsten Roths steinerne Erweiterung des Hauptsitzes der Volksbank in Wien oder das gläserne Öko-Hochhaus von Christoph Ingenhoven in Sydney von konstruktiver Sorgfalt und kontextueller Umsicht. Doch das kreative Feuerwerk sucht man vergeblich. Ein solches dürften dereinst wohl nur das wie eine riesige Gewitterwolke über der Plaza de la Encarnación in Sevilla schwebende «Metropol Parasol»-Dach von Jürgen Mayer, das Geschäftshaus von Wandel Hoefer Lorch + Hirsch in Tbilissi und allenfalls das durch origamiartig gefaltete Dachklammern zusammengehaltene Luftfahrtmuseum von Pysall Ruge in Krakau versprühen. – All diese Projekte, von denen erst das in eine wabenartig geknickte Spiegelhaut gehüllte Trutec-Hochhaus von Barkow Leibinger in Seoul und der doppelte Glastrichter des Museion von Krüger Schuberth Vandreike in Bozen vollendet sind, demonstrieren bautechnische Virtuosität. Und dennoch wirkt die Mehrzahl von ihnen ähnlich unbeseelt wie die in Deutschland realisierten Referenzbauten.

Vielleicht resultiert diese allgegenwärtige formale Unverbindlichkeit daraus, dass die deutschen Architekten zu sehr auf die neusten internationalen Trends fixiert sind und kaum Mut zu eigenen Gedanken haben. So zeugen denn die meisten der in Frankfurt vorgestellten Bauten nicht nur von Exaktheit, Perfektion und Sorgfalt, sondern ebenso von Heimatlosigkeit oder gar Epigonentum – Qualitäten, die sich im globalisierten Architekturmarkt zu bewähren scheinen.

Zum Abheben bereit

Es ist der Ballast der vielen Vorbilder, der den deutschen Architekten das Abheben erschwert. Diesen abzuwerfen, gelang bisher nur wenigen: etwa Hansjörg Göritz, dessen eigenwilliges, Mitte Februar in Vaduz eingeweihtes Liechtensteiner Landtagsgebäude erstaunlicherweise nicht im DAM zu sehen ist. Aufmerken lassen aber auch einige jener Kleinbauten noch wenig bekannter Baukünstler, denen man in der jüngst am Turiner Architektur-Weltkongress präsentierten Wanderausstellung «Auslandsbeziehungen – junge Architekten aus Deutschland» begegnen kann.

[ Bis 2. November im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main. Katalog: Ready for Take-Off. Aktuelle deutsche Exportarchitektur – Contemporary German Export Architecture. Hrsg. Anna Hesse und Peter Cachola Schmal. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2008. 206 S., € 22.–. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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