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Polygonale Dachlandschaft
Neue Zürcher Zeitung

In Köln wird um das Projekt eines jüdischen Museums gestritten

22. Juli 2008 - Hubertus Adam
Urkundlich erstmals erwähnt in einem Dekret Kaiser Konstantins aus dem Jahr 321, gilt Kölns jüdische Gemeinde als die älteste nördlich der Alpen. 1424 brach die Traditionslinie abrupt ab: Die Juden wurden per Ratsbeschluss vertrieben, und die Synagoge diente nunmehr als Ratskapelle. Erst das liberale Regime während der französischen Besetzung ermöglichte 1798 die Gründung einer neuen Gemeinde.

Das spätantike und das mittelalterliche jüdische Köln lag im Herzen der heutigen Innenstadt – dort, wo sich derzeit eine Freifläche zwischen Rathaus und Wallraf-Richartz-Museum erstreckt. Unter einer gläsernen Pyramide ist die wohlerhaltene Mikwe zugänglich, im Bereich der Synagoge wird derzeit gegraben. Die freigelegten historischen Relikte unter dem gesamten Rathausvorplatz sollen erhalten bleiben und mit den unter dem Spanischen Bau, der Rathauserweiterung aus den Jahren 1951 bis 1953, zugänglichen Grundmauern des römischen Praetoriums zu einer ausgedehnten archäologischen Zone vereint werden.

Dafür, dass an dieser Stelle auch ein jüdisches Museum entstehen kann, tritt seit gut zehn Jahren die «Gesellschaft zur Förderung eines Hauses und Museums der Jüdischen Kultur in Nordrhein-Westfalen» ein, und am 18. Mai 2006 stimmte der Rat dieser Platzwahl zu. Tatsächlich gibt es auch keinen anderen Ort in Köln, der sinnfälliger wäre als derjenige des alten jüdischen Viertels. Und die Kölner Sammlung an Judaica, bisher grösstenteils im Kölner Stadtmuseum untergebracht, zählt zu den bedeutendsten und umfangreichsten Deutschlands.

In einem Wettbewerb, der jüngst entschieden wurde, konnte sich das Büro Wandel Hoefer Lorch + Hirsch mit seinem Konzept durchsetzen. Die Architekten, die schon die Synagoge in Dresden und (allerdings ohne Nikolaus Hirsch) das Jüdische Kulturzentrum in München errichteten, überzeugten die Jury mit der fast schon genial zu nennenden Idee einer Verzahnung und Überlagerung von Ausgrabungsstätte und jüdischem Museum. Über weiten Teilen der bisherigen Freifläche wollen sie eine hallenartige Stahlkonstruktion errichten, deren verschiebbare Stützen die archäologischen Befunde nur minimal tangieren. Die Räume des jüdischen Museums werden in diese Struktur gleichsam eingehängt und lassen das Erdgeschoss zum Luftraum über der Ausgrabungszone werden. Über der Mikwe und den Grundmauern der Synagoge bleibt die Raumstruktur der Obergeschosse ausgespart, so dass man von den Ausstellungsräumen aus auf die Relikte hinuntersehen kann.

Der Entwurf von Wandel Hoefer Lorch + Hirsch besticht durch verschiedene Qualitäten. Er lässt sich dank der Arbeit mit Fertigteilen rasch und ohne weitreichende Eingriffe in die archäologische Zone realisieren – damit könnte das jüdische Museum gleichsam als Schutzdach fungieren, unter dem sich die Ausgrabungen ohne Zeitdruck fortsetzen liessen. Er holt die Bodenfunde, die sonst häufig in einem tiefgaragenähnlichen Ambiente präsentiert werden, ans Tageslicht, verbindet jüdisches Museum und Ausgrabungszone und macht die 2000-jährige Geschichte der Stadt Köln auch visuell erlebbar. Und schliesslich leistet der Entwurf im besten Sinne Stadtreparatur: Mit seiner polygonalen Dachlandschaft reagiert der Neubau auf die ehemals kleinteilige Struktur der Altstadt und mit den Fassaden aus Naturstein und Glas auf die Umgebung. Darüber hinaus entsteht vor dem Rathaus statt einer ungefassten Freifläche ein wirklicher Platz.

Die Tatsache, dass die erst durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs entstandene Freifläche, die eine Lücke in der Stadt darstellt und keinerlei Aufenthaltsqualität besitzt, bebaut werden soll, wird jetzt aber von Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) gegen das Projekt ausgespielt. Und dies, obwohl die Bebauung durch Ratsbeschluss bewilligt worden ist und Schramma selbst das Siegerprojekt zunächst begrüsst hatte. Unter dem Vorwand, das jüdische Museum störe den Blick auf die (nicht eben inspirierte) Fassade des Wallraf-Richartz-Museums von Oswald Mathias Ungers und die Renaissance-Laube des Rathauses – die in Wahrheit erst jetzt eine sinnvolle Fassung erhielte –, wird derzeit in Köln Stimmung gemacht gegen einen herausragenden Entwurf. Das ist nicht nur peinlich, sondern skandalös und reiht sich in Köln ein in eine Sequenz nachlässigen städtischen Handelns im Bereich von Bauen und Kultur.

[ Die Ergebnisse des Wettbewerbs sind bis zum 15. August im Spanischen Bau des Rathauses ausgestellt. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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