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Pittoreskes Indien der Gärten und Paläste
Neue Zürcher Zeitung

Frühe Architekturfotografie auf dem indischen Subkontinent

«Picturesque Views» heisst eine Ausstellung im Museum Rietberg, die anhand von frühen Fotografien ein pittoreskes Indien in Schwarz-Weiss und Sepia vor Augen führt. Einen thematischen Schwerpunkt dieser wertvollen Fotodokumente bildet die indische Mogul-Architektur.

23. Juli 2008 - Philipp Meier
Die islamischen Gartenanlagen, prächtigen Alleen und majestätischen Paläste der Mogul-Herrscher waren wie geschaffen, den Durst westlicher Fotografen nach exotisch-orientalischen Bildern zu stillen. Und so liess die europäische Faszination für alles Orientalische Indien zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum prädestinierten Ziel fotografischer Exploration werden. Die gegenwärtige Ausstellung «Picturesque Views» im Museum Rietberg macht denn deutlich, dass das koloniale Indien auch Pionierland der Kunstfotografie war.

Die Ausstellung, die das Museum Rietberg vom Museum für Asiatische Kunst in Berlin übernehmen konnte, vereint rund 70 Fotografien, darunter solche von international bekannten Grössen wie Samuel Bourne oder Felice Beato. Es sind aber auch Arbeiten zu sehen von anderen wichtigen Vertretern ihres Faches sowie von weniger bekannten Fotografen, die den Grossen nicht blind nacheiferten, sondern teilweise ganz eigene Wege beschritten.

Ein eigener Block der feinen Schau ist selbstverständlich dem meistfotografierten Monument Indiens gewidmet: dem Taj Mahal in Agra. Erbaut vom Mogul-Herrscher Shah Jahan als Mausoleum für seine Lieblingsgattin nach deren Tod 1631, war das Bauwerk aus weissem Marmor rasch zum Inbegriff europäischer Orientphantasien geworden und insofern ein ideales Motiv romantisch inspirierter Fotografen. Zu den Ikonen früher Fotografie in Indien gehören denn Aufnahmen des Taj Mahal von John Murray (1809–1898), Samuel Bourne (1834–1912) und Felice Beato (1834–1907?).

Sie alle konzentrierten sich auf der Suche nach pittoresken Motiven auf die Prachtsbauten der Moguln. Angestrebt wurde dabei mit Vorliebe die Verbindung von Architektur, Ruinenlandschaft und Natur, um stimmungsvolle, teils melancholisch, teils idyllisch anmutende Kompositionen zu erhalten, die durchaus an Gemälde der deutschen Romantik erinnern.

Dank neuen Techniken erhöhten sich Brillanz und Tiefenschärfe rasch, wie besonders gut an Beispielen von Samuel Bourne und Felice Beato ersichtlich wird. Der Stein der Monumente und Säulenhallen lässt sich hier gleichsam anfassen, so deutlich treten die körnige Oberflächenstruktur und die gemeisselten Reliefverzierungen hervor.

Bournes Aufnahmen aus dem Kaschmirtal, der einstigen Sommerfrische der Grossmoguln, gehören dabei zu den Spitzenwerken seines fotografischen Schaffens. Sein gekonnter Umgang mit Licht und Schatten tritt am deutlichsten in dem zeitlosen und von jedem Exotismus befreiten Werk mit einer Pappelallee hervor. Hier schwebte Bourne wohl weniger das Pittoreske seiner anderen Indien-Bilder vor als vielmehr das Sublime, wie er es vor allem auch in seinen Himalaja-Aufnahmen suchte und fand.

Kaum ein anderer hat die Gärten und Paläste der Moguln in Lucknow (Lakhnau) so stimmungsvoll eingefangen wie Felice Beato. Seine Panoramen von Lucknow gehören zu den eindrucksvollsten Stadtansichten der frühen Fotografie. Auf vielen seiner Bilder, die nicht nur der reinen Schaulust verpflichtet waren, sind überdies die Spuren der Kämpfe des grossen Aufstands von Lucknow und der Zerstörungswut der englischen Armee abzulesen. Das Pittoreske erhält in diesen Bildern einen seltsamen Beigeschmack.

Das Fremde und Exotische offenbarte sich für den westlichen Blick aber auch in den Menschen, sofern sie nicht mehr nur als Statisten auf den Fotografien fungierten. Besondere Faszination geht in der Ausstellung von den Bildern Lala Din Dayals, des Hoffotografen des Nizam von Hyderabad, aus. Die Aufnahme einer Strassenszene in Hyderabad mit dem berühmten Char-Minar-Bau im Hintergrund gibt das städtische Treiben wieder. Ein besonders berückendes Zeitzeugnis ist aber die Porträtaufnahme der sechsten Tochter des Nizam von Hyderabad. Hier treffen zwei Welten aufeinander: Die Foto zeigt das kleine Mädchen um 1899 in westlicher Kleidung und mit einem gezähmten Geparden an der Kette. Ein beispielhaftes Bild für eine verloren gegangene Epoche Indiens, deren originäre Exotik durch die Kolonialmacht nach und nach verdrängt worden war.

[ Zürich, Museum Rietberg (Gablerstrasse 15), bis 26. Oktober. Katalog Fr. 48.–. ]

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