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Brücken, Türme und Paläste
Neue Zürcher Zeitung

Eine baukünstlerische Freilichtausstellung in Lausanne

2. August 2008 - Roman Hollenstein
Die mit exotischen Pflanzen prunkenden Parkanlagen von Lausanne sind seit geraumer Zeit in regelmässigen Abständen Ort von gartenkünstlerischen Ausstellungen. Heuer nun spielt die Metropole am Léman eine andere Karte aus und macht ihre architektonischen Schätze der letzten hundert Jahre zum Thema. Abseits der mittelalterlichen Stadt rund um die Kathedrale kann man auf vier Balades genannten Velotouren (mit gratis zur Verfügung gestellten Rädern) oder Spaziergängen sonst kaum beachtete Baukunst von höchster Qualität kennenlernen. Dabei fällt auf, wie sehr Lausanne seinen französisch-mediterranen Charme den hellen Wohnpalästen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdankt. Oder dass die Place St-François nicht nur das pulsierende Herz der Stadt, sondern darüber hinaus eine der bemerkenswertesten urbanistischen Anlagen der Belle Epoque in unserem Lande ist. Von hier aus führen die vier frei kombinierbaren Routen durch das grossstädtische Freilichtmuseum, zu denen man im Internet kleine, informative Guides als PDF-Dateien herunterladen kann. Mit ihrer Hilfe sieht man die historistischen Bankpaläste, Warenhäuser und Passagen von St-François ebenso neu wie den 1929 jenseits des Grand-Pont errichteten Bel-Air-Turm.

Dieses älteste Hochhaus der Schweiz wirkt aufgrund der für Lausanne charakteristischen Hanglage vom Vallée du Flon aus gesehen wie ein Wolkenkratzer. Dabei sind die oberen Etagen einem repräsentativen Art déco verpflichtet, die vier untersten Geschosse jedoch – dem tiefer liegenden ehemaligen Industrieviertel entsprechend – in einer nüchtern-modernen Formensprache gehalten. Seit das Flon-Quartier dank Bernard Tschumis dynamischen Erschliessungsbauten leicht zugänglich geworden ist, hat es sich zu einer Art Lausanner Soho gewandelt. Alte Lagerhäuser und Weindepots wurden restauriert und locken nun mit Restaurants, Modegeschäften und Kunstgalerien ein buntes Publikum an. Aber auch neue Architekturen wurden eingefügt – Verwaltungsbauten ebenso wie ein Multiplexkino. Den eigenwilligsten Akzent setzt das noch nicht eröffnete Miroiterie-Gebäude von Brauen & Wälchli mit seinen pneumatischen, nachts wie eine Laterne leuchtenden Membranfassaden. Davor breitet sich der zentrale Quartierplatz aus, der von einer vom Atelier Oï geschaffenen Pergola mit 20 000 vergnügt im Wind klimpernden Aluplättchen belebt wird.

Über ein enges, von einem künstlichen Baum beschattetes Plätzchen geht es zum Sitz der Stadtverwaltung, einem Meisterwerk der Sechziger-Jahre-Architektur, dessen über hängenden Gärten emporgestemmter Haupttrakt mit einer Metallfassade von Jean Prouvé umhüllt ist. Dass in Lausanne die Nachkriegsjahrzehnte – trotz etlichen städtebaulichen Sünden – eine goldene Zeit waren, bezeugen auch das in einem modernistischen Klassizismus gehaltene Eracom-Berufsschulhaus von Frédéric Brugger oder – im Quartier Les Cèdres – Jean Tschumis genial inszeniertes Verwaltungszentrum der Mutuelle Vaudoise (1956). Während man sich diesem im Schatten von zwei gewaltigen Libanon-Zedern nähert, erblickt man plötzlich durch die verglaste Eingangshalle hindurch das weite Panorama des Genfersees. Dort unten warten dann das von Max Bill für die Expo 1964 errichtete und 1995 von Rodolphe Luscher um eine brückenartig aufgestelzte Probebühne ergänzte Théâtre de Vidy, das klassisch-moderne Bellerive-Strandbad, das von Francis Isoz neugotisch erweiterte Schloss und die Gründerzeithotels von Ouchy auf den Stadtwanderer. Auf dem dazwischen in den See vorspringenden Gelände kann man sich schon jetzt ausmalen, dass hier mit dem neuen, von den Zürcher Jungarchitekten Berrel, Kräutler und Wülser entworfenen Musée cantonal des Beaux-Arts bis 2012 der wohl schönstgelegene Kunsttempel Europas entstehen wird. Die vier Balades führen noch zu rund zwanzig weiteren architektonischen Zielen, an denen auf illustrierten Informationstafeln bald Einzelbauten, bald ganze urbanistische Situationen erklärt werden. Dabei weckt die auf Spitzenwerke beschränkte Auswahl immer wieder den Wunsch, auch über unterwegs wahrgenommene Bauten wie etwa die Synagoge am Ende der Avenue de la Gare etwas zu erfahren. Man kann nur hoffen, dass diese anregende Lausanner Initiative bald auch von anderen Städten nachgeahmt wird.

[ Unter www.lausanne-architectures.ch lassen sich die vier kleinen Guides herunterladen. Der mit Schwarzweissfotos von Anne-Laure Lechat illustrierte Architekturführer «Lausanne Architectures. Quatre itinéraires pour découvrir une ville» ist ab September für Fr. 28.– erhältlich (info@lausanne-architectures.ch). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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