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Im Glashaus leben
Neue Zürcher Zeitung

Reiche New Yorker entdecken den Reiz des Wohnens hinter transparenten Fassaden

Nach langen Jahren der Stagnation erlebt Manhattan einen Bauboom. Bekannte Architekten realisieren neuartige Wohnhäuser, deren Luxusapartments völlig transparent sind.

2. August 2008 - Hubertus Adam
Das Zauberwort in Manhattan lautet seit einiger Zeit «condo». Von der Hypothekenkrise weitgehend unberührt, erzielen «condominiums», also Eigentumswohnungen, Höchstpreise. Und die «luxury condos» werden zunehmend von prominenten Architekten entworfen: von internationalen Architekturstars, aber auch von Architekten, die bisher primär durch ausgefallene Entwürfe bekannt geworden sind. Das überrascht, denn New York galt über mehrere Dekaden in architektonischer Hinsicht eher als konservativ und medioker; bemerkenswerte Baukunst fand sich lediglich in Nischen. Grosse Architekturfirmen beherrschten mit gestalterischem Mittelmass den Markt, junge experimentierfreudige Architekten konnten sich glücklich schätzen, ein Loft umzubauen oder eine Zahnarztpraxis einzurichten. Und es war symptomatisch, dass sich sogar das Museum of Modern Art (MoMA), nach seiner Gründung 1929 zur treibenden Kraft eines modernen Kunst- und Architekturverständnisses avanciert, einen funktionalen, aber wenig inspirierten Erweiterungsbau vom Japaner Yoshio Taniguchi errichten liess, während das im Nachbarhaus residierende kleine American Folk Art Museum mit einer architektonischen Preziose von Todd Williams und Billie Tsien aus dem Jahr 2001 brillieren konnte. Immerhin setzten aber in den vergangenen Jahren einige kulturelle Institutionen Zeichen, ob die Columbia University mit einem Bau von Steven Holl oder 2002 das Austrian Cultural Forum mit einem kataraktartigen Gebäude von Raimund Abraham.

Einblicke und Ausblicke

Die beiden Wohntürme, von Richard Meier 1999 an der Perry Street mit Blick auf den Hudson errichtet, gelten als Marksteine des heutigen Condo-Booms. Es waren die ersten Gebäude des weltweit tätigen Architekten in New York, wo er seit 1963 ein Büro führt, und diese Tatsache wurde zur Vermarktung des Projekts eingesetzt. Die Öffentlichkeit erfuhr aber auch, dass Prominente wie Nicole Kidman, Calvin Klein oder Martha Stewart Apartments erworben hätten. Schliesslich fielen die Gebäude durch eine vollständige Verglasung der Fassaden auf, wie man sie bisher nur von Bürohäusern kannte.

Sieht man von vereinzelten Vorläufern wie dem Hallidie Building in San Francisco (1918) ab, dessen Fensterfront als erste Curtain-Wall gilt, so setzte sich die verglaste Fassade in den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Das Uno-Hochhaus in New York, Gordon Bunshafts Lever-Building und Mies van der Rohes Seagram-Turm stehen am Beginn der Karriere spätmoderner Stahl-Glas-Bürobauten, die erst mit den natursteinverkleideten Lochfassaden der Postmoderne in den achtziger Jahren einen Einbruch erlebten, heute jedoch in veränderter und klimatechnisch optimierter Manier den Markt beherrschen – jüngste Beispiele sind der Hearst-Tower von Norman Foster oder der neue Sitz der «New York Times» von Renzo Piano.

Keines der neuen Wohnhausprojekte versucht expliziter an Konzepte der klassischen Moderne anzuknüpfen als das «Urban Glass House», welches als letztes Werk des 2005 gestorbenen Philip Johnson gilt. Für das Aussehen des zwölfgeschossigen Gebäudes an der Spring Street, das der Meister – nachdem ein früheres Konzept für das Grundstück an der Höhenreglementierung gescheitert war – noch kurz vor seinem Tod skizziert hatte, sind allerdings eher Johnsons Partner Alan Ritchie sowie die Innenarchitektin Annabelle Selldorf verantwortlich. Obwohl der Name des Hauses Bezug nimmt auf Johnsons legendäres Glashaus in New Canaan, ist den beiden Bauten nicht viel mehr als die Tatsache gemeinsam, dass bei beiden Glas als vorherrschendes Fassadenmaterial eingesetzt wurde.

Voll verglaste Fronten, die zunächst an Bürohäuser denken lassen, und minimalistische Einrichtungen zählen zu den Insignien fast aller neuen Condominium-Projekte in New York. Ein cooler, zwischen Minimalismus und räumlicher Opulenz changierender Einrichtungsstil, für den sich das Kunstwort «luxese» eingebürgert hat, etablierte sich in den neunziger Jahren zunächst im Kontext von Galerien, Klubs und Lofts, bevor er auch auf Neubauwohnungen übergriff. Letztlich geht es um eine prestigeträchtige Nobilitierung, um eine mit der Öffentlichkeit kokettierende Inszenierung des Privaten – «The Un-Private House» hiess 1999 eine Ausstellung im MoMA, in welcher Beispiele für die Vermischung von Öffentlichkeit und Intimität in der zeitgenössischen Villenarchitektur präsentiert wurden.

Die grossen Fenster der Condominiums bieten nicht nur Aus-, sondern auch Einblicke. Deshalb ist es nur konsequent, dass viele Anbieter gleich auch die adäquate Innenausstattung offerieren, um die künftigen Bewohner vor der Peinlichkeit zu bewahren, ihren möglicherweise inadäquaten Hausstand wie im Schaufenster zu präsentieren. Wer allerdings nachts Komplexe wie die Perry Street besucht, stösst häufig auf dunkle Wohnungen. Ungefähr ein Drittel der Luxusapartments sind «second» oder «third homes», die nur temporär bewohnt werden – je höher der Preis, desto häufiger handelt es sich um eine Zweitwohnung. Das erklärt auch, warum viele der Anbieter auf ein breites Spektrum von Dienstleistungen setzen, die vom Dog-Walker über den Catering-Service bis hin zum persönlichen Fitness-Coach reichen und teilweise von benachbarten Hotels angeboten werden (und dann gleich zu deren Auslastung beitragen).

Luxus und Markennamen

In Zeiten der Nivellierung, in denen es darum geht, Individualität zu demonstrieren, kann der Distinktionsgewinn, der sich mit einem Luxusapartment erzielen lässt, durch architektonisches Branding noch erhöht werden. Deshalb können Wohnungen in Gebäuden, die von bekannten Architekten entworfen wurden, erheblich teurer verkauft werden. Als Co-Branding wird der Trend bezeichnet, in einem Produkt mehrere Markenidentitäten zusammenzuführen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Gebäude «40 Bond», bei dem Ian Schrager mit Herzog & de Meuron zusammenarbeitete. Schrager, als Mitbegründer des legendären Nightclubs Studio 54 in New York bekannt geworden, lancierte 1984 mit dem von Andrée Putman gestalteten «Morgans» an der Madison Avenue den Trend des Designhotels. 2005 verliess Schrager die Hotelgruppe und begann mit einer neuen Geschäftsidee, dem «carefree living». Im boomenden Markt der Luxusapartments sieht er ein Potenzial; dann nämlich, wenn noch mehr Luxus und Qualität geboten werden. Zunächst entstand das Gramercy Park Hotel, dem ein Apartmentgebäude angeschlossen ist. Das neueste Projekt ist nun das bereits erwähnte Wohnhaus «40 Bond» in NoHo, in dem Serviceleistungen ebenfalls über «Gramercy Park» angeboten werden; Schrager selbst hat das Penthouse auf dem Dach bezogen.

Die Bond Street, die sich zwischen Lafayette Street und Bowery erstreckt, zählte bis vor wenigen Jahren nicht zu den prestigeträchtigen Adressen. Doch das hat sich vollständig gewandelt, und Galerien stehen heute neben Kreativdienstleistern. Herzog & de Meuron ging es um eine Alternative zu den derzeit gängigen Apartment-Typologien in Manhattan. Den stereotypen Vollglasfronten der Luxus-Condos setzte das Basler Büro ein Konzept entgegen, das auf subtile Weise die für diesen Teil Manhattans typische Bautradition aufgreift und mit eigenen Mitteln fortspinnt. Die unteren beiden Geschosse bestehen aus vier zweistöckigen Townhouses, die gleichsam durch das Volumen hindurch gesteckt sind. Einwärts geknickte Fronten hinter aus Graffiti-Elementen generierten Zäunen lassen kleine Vorplätze entstehen, auf der Rückseite ist jeder dieser Wohnungen ein kleiner Hof zugeordnet. Noch grosszügiger wirken die jeweils zwei Wohnungen im durch das Setback bedingten schmaleren Dachaufsatz. Den eigentlichen Luxus von «40 Bond» stellen die opulenten Raumhöhen von drei Metern dar; und von den oberen Etagen aus sind die Ausblicke über die Dachlandschaft von New York schlicht atemberaubend.

Prägend für die Wirkung des Gebäudes ist die Fassade der Apartmentgeschosse. Sie besteht aus einem Raster von Stahlbetonstützen, die in schmalerem oder weiterem Abstand zueinander stehen. Kaschiert wird diese Konstruktion mit polierten Stahlblechen, die wiederum mit einer im Schnitt parabelförmigen Struktur aus grünlich laminiertem Glas abgedeckt sind. Im wechselnden Licht beginnt die Fassade mitunter beinahe surreal zu leuchten – und kann doch als eine zeitgemässe Transformation klassischer Hausfronten im Cast Iron District verstanden werden.

Ein weiteres Projekt von Herzog & de Meuron entsteht demnächst – in Zusammenarbeit mit dem Künstler Anish Kapoor – in Tribeca. Die Alexico Group, in deren Portfolio sich schon ein Gebäude von Richard Meier in der Charles Street befindet, will dort einen «tower of true global character» errichten. Die Pläne dafür sollen im Herbst der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Rund um die Highline

Eines der attraktivsten Quartiere ist derzeit West Chelsea. Nachdem SoHo viel zu touristisch geworden ist, gelten der Meatpacking District und die nördlich angrenzenden Quartiere entlang dem Hudson als Hotspot. In einem umgebauten alten Lagerhaus findet man beispielsweise die New Yorker Filiale der Möbelfirma Vitra, und schräg gegenüber hat das junge Architekturbüro Shop einen boxartigen Aufsatz mit Condos auf ein bestehendes Volumen gestemmt. Einige Blocks flussaufwärts ist 2007 der neue Hauptsitz von Interactive Corp entstanden, einem Konglomerat aus Firmen, die Abrechnungssysteme für das Internet anbieten. Es handelt sich dabei um den ersten realisierten eigenständigen Bau von Frank O. Gehry in New York, und auf entsprechend grosse Aufmerksamkeit ist das Gebäude gestossen. Es als Sensation zu bewerten, wäre übertrieben – mit seiner expressiv zerklüfteten Gestalt, die je nach Perspektive andere Formen entstehen lässt, gehorcht es jener Sprache, die man von dem Altmeister des Dekonstruktivismus erwartet, während sich das Innere – abgesehen von den Foyers – vergleichsweise konventionell gibt. Ungewöhnlich ist allerdings das Fassadenmaterial: Nicht Blech, wie häufig bei Gehry, auch nicht Backstein oder Putz bildet die Haut des Gebäudes, sondern Glas. Durch ein spezielles Siebdruck- und Schmelzverfahren wurde dieses so behandelt, dass das breit gelagerte, nachts von innen heraus magisch leuchtende Volumen am Ufer des Hudson bald wie ein Felsmassiv, bald wie ein riesiger Eisberg wirkt.

Das nächste aufsehenerregende Bauwerk entsteht gerade gegenüber, an der Kreuzung von Eleventh Avenue und Nineteenth Street – Jean Nouvel errichtet einen 23-geschossigen Wohnturm mit 72 Apartments, dessen Äusseres von einem an Bilder Mondrians erinnernden Muster aus bunten Glasscheiben überzogen wird. Die Beziehung des Pariser Architekten zu New York ist charakteristisch für die jüngste Entwicklung: In den neunziger Jahren konzipierte er mehrere Bauten für die Stadt, die aber nicht verwirklicht wurden. Zur Ausführung kam schliesslich 2004, nach zähen Jahren des Ringens, der Apartmentkomplex «40 Mercer» in SoHo, dessen strenges Fassadenraster aus Stahl auf die historischen Gusseisenbauten ringsum Bezug nimmt. Es folgte der Auftrag für West Chelsea, und Ende letzten Jahres wurde bekannt, dass Nouvel eine der prominentesten Baulücken der Stadt schliessen wird, das bisher unbebaute MoMA-Grundstück neben dem American Folk Art Museum. 75 Geschosse hoch, wirkt das Gebäude mit seinem hinter der Glasfassade erkennbaren Stahltragwerk wie eine extrem ausgedünnte, nadelartig in den Himmel stechende Pyramide. Die unteren drei Geschosse werden vom Museum genutzt, während sich darüber ein Hotel sowie die obligatorischen Eigentumswohnungen befinden, mit deren Verkauf das gesamte Projekt finanziert wird.

Nur wenige Schritte östlich der Gebäude von Gehry und Nouvel am Hudson verläuft die «Highline», ein 1929 eröffnetes und 1980 stillgelegtes Hochbahntrassee. Einer privaten Initiative, den 1999 gegründeten «Friends of the Highline», ist es zu verdanken, dass dieses Zeugnis der industriellen Vergangenheit erhalten bleibt und die frühere Gleisebene zwischen West 14th und 30th Street nach Entwürfen von Diller, Scofidio und Renfro sowie Field Operations zu einem öffentlichen Park umgestaltet wird. Wo in den siebziger Jahren eine den Fluss säumende Stadtautobahn geplant war, herrscht Goldgräberstimmung: Grundstücke an der Highline gelten als Filetstücke des heutigen Stadtorganismus.

Computergenerierte Visionen

Einer der interessantesten Neubauten ist an der West 23rd Street geplant: Auf einer Parzelle von nur 12 Metern Breite soll sich eine sukzessive über das alte Bahntrassee auskragende Baustruktur mit elf Wohnungen erheben. Für die Inneneinrichtung der minimalistisch-coolen, loftähnlich konzipierten Wohnungen ist der junge New Yorker Architekt Thomas Juul-Hansen verantwortlich, der schon an den Meier-Bauten in der Perry Street beteiligt war. Die Architektur selbst stammt von Neil Denari, der als früherer Direktor des Southern California Institute of Architecture zu den führenden Theoretikern des Landes und als Protagonist des digitalen Entwerfens gilt, bisher aber so gut wie nichts gebaut hat.

Der Auftrag für Denari ist kein Einzelfall. Investoren scheuen sich nicht mehr, Architekten zu engagieren, die vornehmlich durch computergenerierte Visionen, nicht aber durch klassische Gebäude bekannt geworden sind. Dazu zählt etwa die aus den Niederlanden stammende Winka Dubbeldam mit ihrem Büro Archi-Tectonics, das 2004 in der Greenwich Street in SoHo ein Warenhaus zu einem Apartmentkomplex umgebaut hat. Markant ist die kaskadenartig zur Strasse hin ausgebildete gläserne Vorhangfassade. Und neben dem Perry-Street-Haus von Richard Meier baut nun – entwickelt vom gleichen Developer – Asymptote ein achtgeschossiges Condo-Building. Hani Rashid und Lisa Anna Couture, die Asymptote 1989 gründeten, haben bisher wenig mehr als experimentelle Pavillons errichten können. Verglichen mit manchen anderen Apartmenthäusern bietet 166 Perry Street so Ungewöhnliches wie die Möglichkeit, die Transparenz der Fensterscheiben in Transluzenz zu verwandeln. Glas dient auch im Inneren als Raumteiler, und die Vermarktungsbroschüre hebt insbesondere das «signature Asymptote-designed white kitchen island» hervor.

Dass in New York wieder sehenswerte Architektur entsteht, ist zu begrüssen. Allerdings ist Manhattan für Menschen mit niedrigeren Einkommen unerschwinglich geworden. Kostengünstige Wohnungen entstehen hier nicht mehr. Aber das ist kaum den Architekten anzulasten, die Raum für das Wohnen der Reichen, Sehr-Reichen und Superreichen schaffen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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