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Streit um den Wiederaufbau
Neue Zürcher Zeitung

Düsseldorfs Stadtkern war 1945 zu weiten Teilen zerstört. Die für Deutschland paradigmatische Kontroverse um den Wiederaufbau wird in einer materialreichen Ausstellung des Stadtmuseums dokumentiert.

13. August 2008 - Hubertus Adam
Mit Helmut Hentrichs Dreischeiben-Hochhaus für Thyssen (1957-1960), Bernhard Pfaus Schauspielhaus (1959-1970) und den drei den Rhein querenden Schrägseilbrücken von Friedrich Tamms (1957-1976) besitzt Düsseldorf hervorragende Zeugnisse der Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg. Angesichts solcher Bauten, die zu den Inkunabeln der deutschen Nachkriegsmoderne zählen, erstaunt es, dass man sich einst darüber stritt, wie das weitgehend zerstörte Düsseldorf wiederaufgebaut und wer daran beteiligt werden sollte. Eine materialreiche Ausstellung im Düsseldorfer Stadtmuseum thematisiert derzeit den «Architektenstreit» des Jahres 1952. Ausgelöst wurde die Kontroverse durch die Berufung von Julius Schulte-Frohlinde zum Leiter des städtischen Hochbauamts. Dieser hatte einst als williger Entwerfer im Dienst des NS-Regimes fungiert; nun legte er mit dem südlichen Rathausflügel einen traditionalistischen Entwurf vor, der auch eine Dekade zuvor hätte realisiert werden können.

Moralische und ästhetische Fragen

Empört reagierten einige ortsansässige Architekten, die nach Neuerung und nach einem wirklichen Bruch mit der Vergangenheit strebten, darunter Bernhard Pfau, Paul Schneider-Esleben und Josef Lehmbrock. Filigrane und elegante Architekturen wie das «Haus der Glasindustrie» von Pfau (1951) und die Haniel-Grossgarage (1952) von Schneider-Esleben waren gleichsam die gebaute Antithese zu der in Naturstein gekleideten Raster-Monumentalität, mit der beispielsweise Helmut Hentrich 1949 den Firmensitz der Trinkaus-Bank an der Königsallee in Szene gesetzt hatte. Die Protestierenden, die sich im «Architektenring» zusammenschlossen und auf die Unterstützung prominenter Berufskollegen wie Hans Scharoun zählen konnten, hatten einen wunden Punkt berührt: Tatsächlich war das Bauen in Düsseldorf seinerzeit von Architekten geprägt, deren Karriere in der NS-Zeit begonnen hatte; das wichtige Netzwerk stellte der auf Geheiss Hitlers von Albert Speer 1943 installierte «Arbeitsstab Wiederaufbauplanung zerstörter Städte» dar.

Friedrich Tamms, Vertrauter Speers und Architekt der stadtbeherrschenden Flaktürme in Berlin, Hamburg und Wien, avancierte 1948 zum Leiter des Stadtplanungsamts und versorgte seine einstigen Kollegen mit Aufträgen. Vergleichbare Kontinuitäten gab es auch anderenorts: In Düsseldorf aber wurden sie thematisiert. Damit besitzt die Kontroverse des Jahres 1952 eine paradigmatische Bedeutung, die weit über die Landeshauptstadt des neu gegründeten Bundeslands Nordrhein-Westfalen hinausweist. Es ging um personelle, moralische und ästhetische Fragen zugleich: Nach welchen Kriterien sollte der Wiederaufbau erfolgen? Und welche Architekten sollten die Leitlinien bestimmen? Die Interventionen des Arbeitsrings fruchteten allerdings wenig: Schulte-Frohlinde blieb bis zu seiner Pensionierung 1959 im Amt, und auch seine Kollegen litten keineswegs unter Auftragsmangel. Ändern sollte sich lediglich ihr Stil: Im Zuge der Westintegration der Bundesrepublik orientierten auch sie sich bald schon international-modern an amerikanischen Vorbildern, wie Hentrichs Dreischeiben-Hochhaus beweist.

Schau ohne Katalog

Die materialreiche, mit einer grossen Zahl von Archivalien bestückte Ausstellung dokumentiert den Architekturstreit des Jahres 1952 und stellt seine Protagonisten vor. Als Rahmen wird das Baugeschehen von den zwanziger Jahren, als Düsseldorf zur Industrie- und Verwaltungsmetropole im Westen Deutschlands aufstieg, über die Kriegszerstörung - 85 Prozent der Gebäude im Stadtkern lagen 1945 in Trümmern - bis hin zum Generalverkehrsplan von 1961 bilanziert. Bedauerlich nur, dass kein Katalog die Forschungsergebnisse auf Dauer festhält.

[ Bis 31. August; kein Katalog ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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