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Das Gebäude als Zeichen
Neue Zürcher Zeitung

Eine neue Kunsthalle auf dem Schlossplatz in Berlin

Auf dem Schlossplatz, der meistdiskutierten Parzelle von Berlin, realisierte der Wiener Adolf Krischanitz eine minimalistische Kunsthalle. Ihr Reiz besteht im Dialog zwischen Architektur und Malerei.

31. Oktober 2008 - Carsten Krohn
Der Bau erscheint auf den ersten Blick nüchtern und einfach: Ein schlichter Kubus ist auf einer weiten, leeren Fläche gelandet – exakt im historischen Mittelpunkt der Stadt. In jeder anderen europäischen Metropole würde eine derart kompromisslose Box an zentralster Stelle einen Kontrast darstellen. Aber auf dem Berliner Schlossplatz wirkt das blau-weiss bemalte Objekt nicht wie ein Fremdkörper. Seit fast zwanzig Jahren werden auf dieser Brachfläche alle Arten von mobiler Architektur realisiert – von Zirkuszelten über Baucontainer bis hin zur Attrappe der Fassade des 1950 gesprengten Stadtschlosses.

Architektur und Kunst

Wie das alte Barockschloss des Bildhauers Andreas Schlüter wurde auch die Fassade der neuen Temporären Kunsthalle Berlin von einem Künstler gestaltet. Gerwald Rockenschaub entwickelte am Computer zwei weisse Felder auf blauem Grund, die als grob gepixelte Wolken vor dem weiten Himmel oder als abstraktes Muster gelesen werden können. «Es ist eine gewisse Ambivalenz, mit der ich da immer wieder spiele, es oszilliert immer zwischen diesem und jenem. Könnte es dies sein? Könnte es jenes sein? Aber andererseits geht mir auch alles, was eindeutig ist, total auf den Geist.»

Das Haus als Bild benötigt keine Beschriftung und suggeriert ein Konzept von unsichtbarer Architektur. Nichts liegt dem Architekten Adolf Krischanitz jedoch ferner als ein «dekorierter Schuppen». Diesen Ausdruck führten Denise Scott Brown und Robert Venturi in die Architekturtheorie ein. Sein Gegenteil – das Gebäude als Zeichen – nannten sie die «Ente», nach einem von ihnen entdeckten Verkaufsstand für gebratene Enten in der Form einer Ente.

Wer in die neue Kunsthalle eintritt, wird überrascht sein. Der Innenraum wirkt nicht nur höher und geräumiger, sondern auch vielschichtiger, als es von aussen zu vermuten ist. Durch die Abfolge von sehr unterschiedlichen Räumen werden verschiedene Atmosphären erzeugt. Auch steht die präzise Detaillierung des Inneren in einem Gegensatz zur einfachen Eternitverkleidung des Äusseren. Die Türen sind mit besonderen Griffen und eleganten Holzrahmen gestaltet, und sogar die Bodenfliesen des Cafébereichs wurden mit einem ornamentalen Muster speziell für diesen Bau entwickelt. An den Details zu sparen, sei das Dümmste, was ein Bauherr tun könne, sagt Krischanitz und verweist auf die geölten Holzbänke, die von Wiener Kaffeehäusern inspiriert sind und ebenfalls eigens für diesen Bau entworfen wurden. Beim Blick durch die sparsam eingesetzten Fenster verwandeln sich die umliegenden Bauwerke – vom Dom bis zum ehemaligen Staatsratsgebäude – in Postkartensujets und verleihen so der Architektur eine ortsgebundene Präsenz.
Aufbruchstimmung

Es ist das Ziel der von Constanze Kleiner und Coco Kühn initiierten und aus privaten Mitteln finanzierten Kunsthalle, Arbeiten von international erfolgreichen und in Berlin arbeitenden Künstlern zu präsentieren. Die erste Ausstellung zeigt Videoinstallationen der aus Südafrika stammenden Künstlerin Candice Breitz. In der klar proportionierten, 30 Meter langen, 20 Meter breiten und 10 Meter hohen Halle ertönt John Lennons «Working Class Hero», gesungen von einem Chor aus unabhängig voneinander gefilmten Fans. In den Laienperformances drückt sich eine grenzenlose Euphorie aus, die mit der Aufbruchsstimmung des Kunstbetriebs in dieser Stadt vergleichbar ist. Seit Jahren wird hier alle paar Tage eine neue Galerie eröffnet – nur ein aktives Ausstellungszentrum für zeitgenössische Kunst fehlte bis anhin.

Während die meisten Branchen gegenwärtig düster in die Zukunft blicken, setzt hier der Kunstbetrieb ein ebenso optimistisches wie unübersehbares Zeichen, das der Existenzberechtigung einer Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst Ausdruck verleiht. Denn die eigentliche Aufgabe für die Betreiber der Kunsthalle steht erst noch bevor. Wenn sie in zwei Jahren wieder abgerissen werden soll, um einer Schlosskopie – für die der Wettbewerb demnächst abgeschlossen wird – Raum zu bieten, muss ein neuer, wenn immer möglich dauerhafter Ort gefunden werden. Als gelte es, sich dem Schicksal seiner Wiener Kunsthalle, dem Schicksal des Temporären entgegenzustemmen, hat Krischanitz mit den architektonischen Mitteln eine neuartige Wahrnehmung dieses besonderen Ortes ermöglicht.

[ Die Temporäre Kunsthalle Berlin auf dem Schlossplatz ist täglich von 11 bis 18 Uhr geöffnet (www.kunsthalle-berlin.com). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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