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Neuschöpfungen im Geist der Antike
Neue Zürcher Zeitung

Eine grandiose Ausstellung zum 500. Geburtstag des Architekten Andrea Palladio in Vicenza

Mit seinen Bauten und mehr noch mit den «Quattro Libri» wurde der in Vicenza und Venedig tätige Andrea Palladio zum wohl einflussreichsten Architekten aller Zeiten. Seinen 500. Geburtstag feiert Vicenza mit einer faszinierenden, an kostbaren Exponaten reichen Werkschau.

7. November 2008 - Roman Hollenstein
Es gleicht einer Künstlerlegende: das Leben und Wirken Andrea Palladios (1508–1580). Oder mehr noch einem Wunder; wie sonst liesse es sich erklären, dass der Sohn eines Müllers aus Padua, der mit dreissig noch auf den Baustellen Vicenzas Kapitelle meisselte, zum wohl einflussreichsten Architekten aller Zeiten wurde. Zu einem genialen Interpreten Vitruvs ebenso wie zum Entwerfer eines modernen architektonischen Universums, das sich in seinen strahlenden Bauwerken, aber auch in den klar geschriebenen und sorgfältig illustrierten «Quattro Libri dell'Architettura» von 1570 spiegelt. Dem Geheimnis Palladio spürt nun eine grandiose Ausstellung zum 500. Geburtstag des Meisters in dem von ihm errichteten Palazzo Barbaran da Porto in Vicenza nach – bestückt mit rund 200 Originalzeichnungen, Gemälden, Kunstgegenständen und Architekturmodellen sowie vielen Fotos und Dokumenten.

Lebensbild des Architekten

So berühmt Palladio noch heute ist, so wenig wissen wir von ihm selbst – sieht man einmal ab von seinen Bauten und Publikationen. Fast scheint es, als handle seine fragmentarische Biografie von zwei Personen, einem einfachen Arbeiter und einem humanistischen Denker, deren Lebenslinien sich im Nebel der Geschichte verlieren. So galt unlängst noch der 8. November als der Tag, an dem Andrea di Pietro 1508 geboren wurde. Doch neuste Forschungen gehen davon aus, dass er erst am Andreastag, dem 30. November, in Padua das Licht der Welt erblickte. Noch weniger wissen wir über den Tod des früh schon Hochgeehrten – ausser dass dieser ihn irgendwann im August 1580 in Venedig, Vicenza oder in Maser ereilte, wo er an dem fast schon Borromini ankündigenden Barbaro-Tempel arbeitete.

Dennoch gelingt es der von Guido Beltramini in einem fulminanten Wechsel von chronologischen und thematischen Episoden inszenierten Ausstellung, ein plastisches Bild des Architekten zu skizzieren, welches das Laienpublikum begeistert und die Fachwelt mit neuen Einsichten konfrontiert. Palladios frühen Kontakt mit der Kultur der Renaissance deuten unter anderem antikische Zierobjekte seines Paten Vincenzo Grandi an, dieweil Leandro Bassanos Gemälde des «Turms zu Babel» einen Eindruck vermittelt, wie hart der Alltag des jungen Steinmetzen nach seiner Flucht von Padua nach Vicenza gewesen sein mag. Dort lernt er den Dichter und Linguisten Giangiorgio Trissino kennen – vielleicht bei der Arbeit an dessen Villa in Cricoli. Trissino nimmt ihn unter seine Fittiche, führt ihn in die vornehmen Kreise Vicenzas ein und gibt ihm den Namen Palladio nach dem architektonisch versierten Schutzengel des Feldherrn Belisarius in seinem homerischen Epos «L'Italia liberata dai Goti».

Gleichsam wiedergeboren als Architekt, realisiert Palladio die immer raffinierter den Grund- und Aufriss des Trissino-Landsitzes variierenden Villen Godi, Valmarana, Gazzotti und Pisani sowie den Bramante verpflichteten Palazzo Civena. Respekt verschafft er sich zudem mit der Weiterführung des monumentalen, nach Plänen Giulio Romanos begonnenen Palastes der schwerreichen Thiene-Brüder in Vicenza, dessen Eingangshalle von Palladios Studien während der ersten, wohl 1541 zusammen mit Trissino unternommenen Romreise zeugt. Prachtvolle Zeichnungen belegen, wie akribisch er die antiken Ruinen, die ihm schon aus den Publikationen von Serlio und anderen vertraut waren, aber auch neuzeitliche Werke wie Raffaels Villa Madama erforschte. Palladio muss alles wie ein Dürstender aufgesogen haben. Wie anders ist es zu erklären, dass er im Nu über das architektonische Wissen seiner Zeit verfügte und bereits 1545 fähig war, ein Problem mit Logik und Eleganz zu lösen, an dem sich zuvor Grössen wie Sansovino, Serlio und Sanmicheli die Zähne ausgebissen hatten: die harmonische Umformung des mittelalterlichen Palazzo della Ragione in Vicenza zur «Basilica» mittels einer neuen, vom Kolosseum abgeleiteten Hülle.

Dieses Meisterwerk verbreitete den Glanz der Antike in der gotisch engen Stadt – ähnlich wie die im Dialog mit dem Konstantinsbogen entstandene Fassade des Palazzo Iseppo Porto oder die zukunftsweisende Konzeption des Palazzo Chiericati, der mit seiner doppelten Säulenloggia formal zwischen Stadtpalast und Landsitz vermittelt. Nicht weniger innovativ war die zeitgleich entworfene Chiericati-Villa in Vancimuglio, deren Tempelportikus weitgehend Palladios Vorstellung des von Vitruv beschriebenen römischen Hauses entspricht. Hatte er doch nach Trissinos Tod (1550) die italienische Übersetzung des altrömischen Architekturtheoretikers von Daniele Barbaro illustriert. Für diesen neuen Gönner und dessen Bruder Marcantonio baute er in Maser die Villa Barbaro, die mit dem gesprengten Giebel und dem überreich geschmückten Nymphäum barocke Expressivität vorwegzunehmen scheint. Mit Zeichnungen, einem Architekturmodell und Veroneses Gemälde «Susanna im Bade», das die beiden Auftraggeber als lüsterne Alte und deren Villa als idyllisches Refugium wiedergibt, erreicht die Schau einen ihrer Höhepunkte, dem mit Venedig gleich ein weiterer folgt.

Venezianische Visionen

Die beiden neben der Rotonda wohl perfektesten Villen, die stadtnah gelegene Malcontenta und die Villa Emo in Fanzolo, bereiten die Besucher auf die Lagunenstadt vor. Dort stieg Palladio nach Jacopo Sansovinos Tod mit Meisterwerken wie dem Carità-Kloster, der Fassade von San Francesco della Vigna, den Kirchen San Giorgio Maggiore und Il Redentore zum wichtigsten Architekten auf. Diese Aufträge sicherte er sich nicht zuletzt dank den Barbaro-Brüdern und der Unterstützung jener fortschrittlichen Kräfte, die in Palladios Architektur eine Metapher für Venedigs politische Erneuerung erkannten. Wird bei San Giorgio anhand eines gigantischen Modells die längst verschwundene Farbigkeit thematisiert, so weisen die minarettartigen Türme des Redentore auf ein mögliches Interesse am Werk seines türkischen Zeitgenossen Sinan hin. Der Palladio bei diesem offiziellen Auftrag verwehrt gebliebene Wunsch, einen Zentralbau nach dem Vorbild des Pantheons zu gestalten, wurde ihm kurz vor seinem Tod mit dem Tempietto Barbaro in Maser erfüllt, den er wie das Teatro Olimpico in Vicenza ganz aus seinen Antikenstudien heraus erschuf. Hingegen blieben seine bis anhin kaum bekannten «Sozialwohnbauten» und mehr noch die grossen Visionen einer antikischen Rialtobrücke und eines neuen Dogenpalasts Traumgebilde, die aber in den «Quattro Libri» weiterlebten und so die Phantasie von ungezählten Architekten, aber auch von Canaletto beflügeln sollten.

Dieses Theoriewerk, von dem soeben eine sorgfältige italienisch-deutsche Neuausgabe erschienen ist, wird am Schluss der Schau zusammen mit der Villa Rotonda und einem eindringlichen, neu als Palladio-Porträt interpretierten Gemälde El Grecos als Vermächtnis des Meisters gefeiert – womit die Ausstellung auf die Wirkungsgeschichte zu sprechen kommt. Strahlten die Bücher, die um 1600 meist noch unvollendeten Bauten und – dank Vincenzo Scamozzi – auch die Zeichnungen zunächst auf Inigo Jones und dann auf die ganze Welt aus, so konzentrierte sich Le Corbusier nur mehr auf die Bauten. Doch dieses Schlusskapitel, das nur punktuelle Lichter setzen will, gäbe Stoff für eine weitere Grossausstellung.

[ Bis 6. Januar 2009 in Vicenza, anschliessend in der Royal Academy in London. Katalog: Palladio. Hrsg. Guido Beltramini und Howard Burns. Marsilio Editori, Venedig. 427 S., € 45.–. Andrea Palladio: I Quattro Libri dell'Architectura. Die vier Bücher zur Architektur. Übersetzt und eingeleitet von Hans-Karl Lücke. Marix-Verlag, Wiesbaden 2008. 456 S., Fr. 50.90. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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