Artikel

Im Geiste Palladios
Neue Zürcher Zeitung

Die neopalladianische Casa Carlasc von Antonio Croci in Mendrisio

29. November 2008 - Roman Hollenstein
Seit dem Erscheinen der «Quattro Libri dell'Architettura» (1570) liessen sich ungezählte Architekten von Palladios neuartiger baukünstlerischer Methode anregen. Oft hielten sie sich dabei streng an die Vorlagen des Meisters, veränderten allenfalls Grundrisse oder Fassaden leicht. Doch gab es immer wieder eigenwillige Interpreten, die Palladio nicht nachahmten, sondern ihm nacheifernd das Wesen seines Werkes zu erfassen suchten. Zu ihnen zählt der Tessiner Antonio Croci (1823–1884), von dem ausser einigen Bauten in der Südschweiz, am Comersee, in Nizza und im Oberwallis nur wenig bekannt ist, da sein Nachlass 1969 als Abfall entsorgt wurde. Dieser hätte vielleicht Aufschlüsse über eine Moschee und eine Synagoge geliefert, die Croci während eines längeren Türkei-Aufenthaltes in den späten 1850er Jahren errichtet haben soll.

Eine Dekade später begab Croci sich nach Argentinien, wo er die dort zu Reichtum gelangte Familie Bernasconi kennenlernte. Für sie errichtet er 1873 in Mendrisio die Villa Argentina, die von einer höchst unkonventionellen Lektüre der Werke Palladios zeugt: Über nahezu quadratischem Grundriss erhebt sich ein halber Kubus, der von einem Pyramidendach abgeschlossen und von einer Kuppel bekrönt wird. Verweisen all diese Elemente auf die Villa Rotonda, so belegt die zweischalige Fassade, die in Form einer doppelstöckigen Loggia den ganzen Baukörper umhüllt, Crocis Studium des Palazzo Chiericati in Vicenza. Dessen zwischen Stadthaus und Landsitz oszillierende Unentschiedenheit klärt Croci in Richtung einer allansichtigen Villa von skulpturaler Präsenz, indem er die Hauptfassade mit ihrem komplexen Rhythmus auf der Südseite wiederholt und für die leicht kürzeren Seitenfassaden eckbetonte Säulengänge wählt.

Dieser geniale Wurf trug Croci offensichtlich so viel Geld ein, dass er zwei Jahre später für sich selbst in den Weingärten vor der Stadt die Carlasc genannte Casa Croci realisieren konnte. Hier experimentiert er mit dem Skulpturalen und der Allansichtigkeit weiter, wobei er Palladios systematischen, aus dem Quadrat entwickelten Grundriss der Rotonda nach dem Prinzip der Rotation in einen aus dem Dreieck herauswachsenden hexagonalen Plan überführt. Das Äussere entschlackt er von allen unnötigen Details, stilisiert den Portikus, den er zuoberst im eingezogenen Solaio wiederholt, und akzentuiert die übrigen Fassaden durch einfache Rahmenformen und zurückspringende Terrassen nur diskret. Im Innern erweitert er das palladianische Spiel mit zentralen Sälen und von diesen abhängigen Neben- und Erschliessungsräumen zu jener vertikalen Promenade architecturale, die 1970 für Fabio Reinhart zur Offenbarung werden sollte. Der kämpfte daraufhin für den Erhalt des Meisterwerks und restaurierte es später auch. Aus Reinharts Beschäftigung mit der Casa Croci resultierten neue Beispiele eines kritischen Palladianismus: die zusammen mit Bruno Reichlin konzipierten Villen Tonini in Torricella und Sartori in Riveo. Ihre exzentrischste Antwort auf Croci und auf Palladios Regelwerk aber war das Projekt der Casa Rivola, das leider unrealisiert geblieben ist.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: